Geschichte

Heiratsschwindler, Hochstapler, Mörder - 100 Jahre Kriminalfälle in Mannheim

Warum wurde Georg Becker 1905 im Mannheimer Schloss durch die Guillotine hingerichtet? Und wie arbeitete die Polizei vor 120 Jahren? Ein Vortragsreihe des Marchivums beleuchtet vergangene Kriminalfälle in Mannheim

Von 
Agnes Polewka
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Die Guillotine stand Anfang des 20. Jahrhunderts im Hof des damaligen Amtsgefängnisses. © Marchivum

Mannheim. Am 4. März 1905 kam die 60-jährige Witwe Mina Hirsch von einem Besuch in der Synagoge nach Hause. Und fand dort ihr Dienstmädchen, Susanna Senges, tot in ihrem Wohnhaus auf. Jemand hatte mit einem Beil auf ihren Körper eingeschlagen, ihr den Kopf zertrümmert.

Der Fall Susanna Senges gehört zu den spektakulärsten Mordfällen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Stadt zugetragen haben. Auch deshalb, weil der Peiniger der jungen Bauerntochter aus dem Rhein-Neckar-Kreis der letzte Täter war, der unter dem Mannheimer Fallbeil hingerichtet wurde.

„Ich bin in den vergangenen Jahren im Zuge meiner Arbeit immer wieder über mehr oder weniger kuriose Fälle gestolpert“, sagt Karen Strobel, Historikerin am Marchivum. Und so reifte in ihr der Gedanke, daraus ein Angebot für die Öffentlichkeit zu entwickeln.

Mannheims Guillotine stand im Hof des Amtsgefägnisses

Am Mittwoch, 11. Oktober, startet sie ihre dreiteilige Vortragsreihe „100 Jahre Kriminalfälle in Mannheim“, um mit den Teilnehmenden in eine längst vergessene Zeit einzutauchen, in der Heiratsschwindler und Hochstapler ihr Unwesen trieben, Morde aus Habgier und Leidenschaft Schlagzeilen machten. Wie der Fall Susanna Senges.

100 Jahre Kriminalfälle

  • Der erste Teil der Vortragsreihe „100 Jahre Kriminalfälle in Mannheim“ findet am 11. Oktober 2023, 18 Uhr, im Marchivum, Friedrich-Walter-Saal (6. OG), statt.
  • Parallel zur Live-Veranstaltung wird der Vortrag gestreamt. Eine Aufzeichnung ist im Anschluss eine Woche lang kostenfrei abrufbar.
  • Der zweite Teil der Vortragsreihe, der Fälle ab 1945 beleuchtet, findet am 17. April 2024 statt, der letzte Teil ist bislang noch nicht terminiert.
  • Weitere Infos unter: www.marchivum.de

„Kaum zwei Stunden nach der Entdeckung des Mordes hatte man den Täter, den 26 Jahre alten Schreiner und Taglöhner Georg Becker, gefasst“, sagt Karen Strobel im Marchivum. Vor ihr auf dem Konferenztisch hat sie Schwarz-Weiß-Aufnahmen ausgebreitet, die sie zusammen getragen hat, während sie sich in den Fall einarbeitete. Ein Porträt von Georg Becker.

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Die Mannheimer Guillotine, die im Hof des damaligen Amtsgefängnisses stand. Dieses befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts hinter dem linken Schlossflügel, etwa auf Höhe der heutigen Ausleihe der Universitätsbibliothek.

Am Fall Susanna Senges lässt sich dabei auch gut ablesen, wie die Mannheimer Polizeiarbeit um 1900 funktionierte - 1879 war die Kripo eingerichtet worden. Schon im beginnenden 20. Jahrhundert nahmen die Beamten Fingerabdrücke. Von Kollegen in Braunschweig forderten die Mannheimer Ermittler im Fall Senges Spürhund „Harras“ an, der Becker schließlich auch als Täter identifizierte.

Historikerin Karen Strobel vom Marchivum © Agnes Polewka

Und die Beamten machten auch das Motiv Beckers aus: „Der zweifache Familienvater hatte mit der Freundin von Susanna Senges, dem Dienstmädchen Crezentia Geckle, ein Verhältnis“, sagt Strobel. Seine Frau erfuhr von der Affäre - und Becker machte Senges dafür verantwortlich. Becker stritt das Motiv vor Gericht und auch danach aber ab. Er gab an, aus finanzieller Not einen Raubmord geplant zu haben.

Pathologe sagt vor Gericht aus

Vor dem Schwurgericht wurde der 26-Jährige schließlich wegen Mordes zum Tode verurteilt. Zu seinen Lasten wertete das Gericht seine Vorstrafe - Becker war bereits einige Jahre zuvor wegen versuchten Totschlags an seiner Ex-Freundin verurteilt worden - und die Brutalität, mit der er Senges getötet hatte. Der Pathologe zählte mehr als zwanzig Verletzungen. Becker hatte Senges’ Kopf bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert und ihren Hals zerschnitten. Auch weil er versuchte, die Schuld auf einen angeblichen Komplizen abzuwälzen, ließ das Gericht keine mildernden Umstände zu.

Der 26-jährige Georg Becker war der letzte Täter, derin Mannheim durch das Fallbeil hingerichtet wurde. © Marchivum

„Der Verteidiger beantragte zwar noch einen Aufschub der Vollstreckung, da die Ehefrau schwanger war, doch auch dies wurde abgelehnt“, sagt Strobel. Und so wurde Becker am 25. September 1905 im Hof des Amtsgefängnisses hinter dem linken Flügel des Schlosses morgens um 6 Uhr mittels Einsatzes der Guillotine hingerichtet.“

Seine Familie verließ die Stadt schon bald, Becker wurde auf dem Mannheimer Hauptfriedhof beigesetzt.

Mannheimer Krimi-Fälle bis in die 1980er-Jahre

„Es gibt Fälle, da erscheinen uns die Menschen ganz nah, das sind Verbrechen, die könnten auch heute so oder so ähnlich passiert sein. Andere wieder nicht, da merkt man sehr, dass es sich um eine ganz andere Zeit gehandelt hat“, sagt Strobel, die im ersten Teil der Vortragsreihe die Jahre 1880 bis 1933 beleuchten will. „Dabei werde ich auch die politischen Morde streifen“, sagt sie.

Die NS-Zeit habe sie bewusst ausgeklammert, sagt sie. Und so beginnt Strobel im zweiten Teil der Reihe - der Vortrag ist für den 17. April 2024 geplant - im Jahr 1945. Schon jetzt hat sie dafür im Generallandesarchiv gestöbert. Und auch für den dritten Teil, der im Herbst 2024 stattfinden soll, verspricht sie spannende Fälle, die bis in die 1980er-Jahre hinein reichen sollen.

Redaktion

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