Mannheim. Herr Schwalb, am Mittwoch stehen sich im Handball-Supercup der SC Magdeburg und der THW Kiel gegenüber. Wie wichtig war Ihnen früher dieses Duell zwischen Meister und Pokalsieger?
Martin Schwalb: Zwei Tage vorher haben wir immer gesagt, dieser Wettbewerb sei nicht wichtig (lacht). Je näher das Spiel kam, verfestigte sich aber der Gedanke, es gewinnen und ein Zeichen setzen zu wollen. Zumal es immer schöner ist, mit einem Erfolgserlebnis zu starten, als den anderen zu gratulieren.
Sehen wir im Supercup auch die Favoriten auf die Meisterschaft?
Schwalb: Es sind zwei von drei Anwärtern auf den Titel.
Wen zählen Sie noch dazu?
Schwalb: Ich traue den Füchsen Berlin sehr viel zu. Dieser Verein hat sich unglaublich gut entwickelt, sich erneut gezielt verstärkt und ein paar Problemzonen beseitigt. Mathias Gidsel ist ein Sensationsspieler für die halbrechte Position, mit Max Darj kommt absolute Qualität für die Abwehr dazu und mit Viktor Kireev haben die Berliner jetzt auch einen zweiten Toptorwart, der ihnen noch fehlte. Das hat alles einen Sinn, was die Füchse gemacht haben.
Was trauen Sie Flensburg zu, dem vierten Verein aus dem Spitzenquartett der vergangenen Saison?
Schwalb: Ich sehe die SG ein ganz kleines Schrittchen hinter den drei anderen Teams. Aber wirklich nur ein ganz kleines, weil die Flensburger viele Verletzungsprobleme hatten und haben, woraus eine echte Überbelastung für einzelne Leistungsträger resultierte. Die SG wird ihre Mitte finden müssen. Gelingt ihr das schnell, kann aus dem Titelrennen aber durchaus ein Vierkampf werden.
Stehen die genannten vier Vereine über allen anderen?
Schwalb: Die MT Melsungen hat sich erneut gut verstärkt. Ich rechne stündlich damit, dass diese Mannschaft mal ihr ganzes Potenzial abruft und in die oberste Tabellenregion vorstößt.
Magdeburg, Kiel, Berlin, Flensburg, vielleicht Melsungen – wer hat die besten Titelchancen?
Schwalb: Ich sehe Magdeburg auf Platz eins. Die Art und Weise, wie es der SCM geschafft hat, der gesamten Liga sein Spiel aufzuzwingen und diesen Stil konsequent durchzudrücken, ist außergewöhnlich. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal. Dieses Tempospiel können nur ganz, ganz wenige Mannschaften mitgehen. Entsprechend war das eine unglaublich logische Meisterschaft, weil die Magdeburger ein höheres Niveau hatten als alle anderen. Das war herausragend. Denn diese Mannschaft war ja nicht kräftiger oder hatte mehr Wurfgewalt, sondern sie hat einfach besser gespielt als der Rest. Das hat mir imponiert. Und da bin ich gespannt, wem es von den Verfolgern gelingt, ein ähnliches Alleinstellungsmerkmal zu kreieren.
Martin Schwalb
- Martin Schwalb wurde am 4. Mai 1963 in Stuttgart geboren.
- Von Februar 2020 bis Juni 2021 war er Trainer der Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Bundesliga. Während dieser Zeit ließ er sein Amt als Vize-Präsident des HSV Hamburg ruhen. Nun ist er wieder für die Hanseaten aktiv, für die er knapp acht Jahre als Trainer arbeitete.
- Vereinserfolge als Spieler: dreimal Meister, dreimal Pokalsieger, zwei Europacup-Titel. Seine Erfolge als Trainer: je einmal Meister, Champions-League-Sieger und Gewinner des Europapokals der Pokalsieger; zweimal Pokalsieger (alles mit dem HSV)
Der SCM-Handball basierte auf Tempo. Nun kommen 14 Vorrundenspiele in der Champions League dazu. Wird die Mannschaft ihren Handball trotz dieser Zusatzbelastung beibehalten können?
Schwalb: Das ist die entscheidende Frage. Denn genau das wird die große Herausforderung für den SCM. Gelingt es den Magdeburgern, diesen Stil trotz Mehrfachbelastung durchzudrücken, sind sie das Maß aller Dinge. Sie müssen einfach auch die Euphorie nach dieser Meisterschaft mitnehmen. Natürlich können Verletzungen alles verändern. Aber wenn beim SCM die meisten Spieler fit bleiben, ist diese Mannschaft auch in der Breite gut genug, um jeden dritten Tag diesen Tempo-Handball zu spielen.
Die Rhein-Neckar Löwen starten erstmals seit zwölf Jahren ohne Weltklasse-Spielmacher Andy Schmid in eine Saison…
Schwalb: …was für mich immer noch unglaublich ist. Ich kann mir das gar nicht so richtig vorstellen. Für die Löwen ist das eine große Herausforderung, diesen Verlust zu kompensieren. Und zwar nicht nur auf dem Feld. Denn Andy ist weit über das hinaus, was die Menschen von ihm als Handballer gesehen haben, für die Löwen von Bedeutung gewesen. Ohne ihm fehlt dem Club eine Persönlichkeit, die sich um viele Dinge im Umfeld gekümmert, die sich ins Taktiktraining eingebracht hat und der das Wohl der ganzen Mannschaft am Herzen lag. Eine Führungsfigur wie er hat alles im positiven Sinn beeinflusst. Da müssen bei den Löwen jetzt ein paar Jungs, die sonst nur so mitgeschwommen sind, aus sich herausgehen und mehr Verantwortung übernehmen.
Schmids Rolle als Spielmacher wird Juri Knorr übernehmen.
Schwalb: Für die Löwen geht es darum, Wege zu finden, die nur annähernd so gut sind wie der Weg mit Andy Schmid. Ein Spieler allein wird dem Verein diesen Weg aber nicht zeigen können. Man sollte deshalb auf keinen Fall den Fehler machen und jetzt auf Juri schauen. Das fände ich ganz schlimm. Wirklich. Der Junge ist 22 Jahre alt, seit einer Saison bei den Löwen und ich kann alle nur bitten, ihm Zeit zu geben.
Mit Sebastian Hinze haben die Rhein-Neckar Löwen auch einen neuen Trainer. Ist das eine gute Kombination?
Schwalb: Sebastian Hinze ist der richtige Trainer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und das ist doch das Entscheidende für einen Verein. Alle wissen nun bei den Löwen, dass es ein wenig dauern wird und etwas Neues aufgebaut werden muss. Sebastian Hinze kann das. Er kann ein Team entwickeln.
Was trauen Sie die Löwen nach Platz zehn in der vergangenen Saison zu?
Schwalb: Die Mannschaft kommt aus einer anderen Position als in den Vorjahren. Und ich glaube, dass das allen guttut. Die Erwartungshaltung ist eine andere. Man muss nicht mehr den hohen Zielvorgaben hinterherrennen. Ich sehe die Löwen zwischen Rang sechs und acht.
Auf welchen neuen Spieler freuen Sie sich am meisten in der Liga?
Schwalb: Ich bin sehr gespannt, was Mathias Gidsel macht. Seine Leistungen für die dänische Nationalmannschaft waren herausragend. Halil Jaganjac bei den Löwen finde ich interessant. Oder Marin Sego und Gilberto Duarte in Göppingen. Das sind alles Spieler, die sich in ihren Nationalmannschaften und anderen Ligen bewiesen haben. Sie haben aber noch nie in Deutschland gespielt. Ich freue mich, zu sehen, wie es für sie hier laufen wird.
Einige Topstars meiden die Bundesliga, anderen gehen weg. Nikola Karabatic sagte sogar unlängst, er könne keinem Spieler empfehlen, nach Deutschland zu wechseln, weil die Belastung einfach zu hoch sei.
Schwalb: Das sagt er jetzt mit 38 Jahren. Ich schätze Nikola Karabatic wirklich sehr, kann mit seiner Aussage aber nicht viel anfangen. Denn er wäre ohne die Bundesliga nicht das, was er heute ist. Nikola hat in Kiel alles mitgenommen, dort die Emotionen aufgesaugt und seinen Ruf als Handball-Weltstar in Deutschland aufgebaut. Das sollte er immer bedenken, wenn er so etwas sagt, auch wenn Nikola im Kern sicherlich recht hat.
Die Belastung für die Topclubs ist in der Bundesliga mit der Zusatzbelastung in den internationalen Wettbewerben also zu groß?
Schwalb: Ja, aber zur Wahrheit gehört doch auch: Alle anderen Länder beneiden uns um die Bundesliga. Ich will keinem etwas Böses: Aber macht es wirklich Spaß, vor 300 Zuschauern in Barcelona zu spielen und schon vorher zu wissen, dass ich sowieso locker gewinne? Da spiele ich doch lieber in Göppingen oder bei den Löwen und weiß anschließend im Bus, was ich getan habe. Ein Highlight nach dem anderen: Hier 8000 Zuschauer und Champions League, drei Tage später 10 000 Zuschauer und Bundesliga – das war für mich die schönste Zeit.
Trotzdem gehen und gingen Bundesligastars wie Sander Sagosen, Magnus Rød, Gøran Søgard Johannessen und Kristian Bjørnsen zu den neureichen skandinavischen Topvereinen Aalborg und Kolstad.
Schwalb: Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Spieler Gäste in unserem Land sind. Wir freuen uns über sie, keine Frage. Weil sie die Bundesliga prägen. Aber Deutschland ist nicht ihre Heimat. Und wenn sie dann die Möglichkeit bekommen, zurück nach Hause zu gehen und vor den Augen ihrer Landsleute etwas aufbauen zu können, verstehe ich diesen Schritt absolut. Ich sehe darin jetzt aber keine grundsätzliche Bedrohung für die Bundesliga. Wir reden da von zwei Vereinen.
Die Zeitspielregel wurde erneut reformiert. Bei gehobenen Armen der Schiedsrichter sind nur noch vier Pässe erlaubt. Begrüßen Sie das?
Schwalb: Ehrlich gesagt finde ich die gesamte Regel nicht gut. Denn immer, wenn die Schiedsrichter den Arm heben, bedeutet dies das Ende des Handballspiels. Dann nimmt sich einer den Ball und versucht, Freiwürfe in Serie herauszuholen, und der Rest bleibt stehen. Wer sich mit Handball nicht auskennt und das sieht, der muss sich fragen: Was machen die da? Diese Freiwurf-Herausholerei ist nicht im Sinne eines schönen und flüssigen Handballspiels. Und da ist es völlig egal, ob noch vier oder sechs Pässe erlaubt sind. Ich finde die ganze Regel überdenkenswert, denn ich habe nicht das Gefühl, dass die Angriffe bei angezeigtem Zeitspiel kürzer werden.
Was ist Ihrer Meinung nach die Alternative?
Schwalb: Zeitspiel ist Zeitspiel und wird sofort abgepfiffen. Keine vier oder sechs Pässe mehr, sondern abpfeifen. Wer nicht in die Richtung des gegnerischen Tores spielt und keinen Druck erzeugt, muss eben den Ball abgeben. Die Schiedsrichter entscheiden das und fertig. Da werden alle relativ schnell ein Gefühl dafür entwickeln, was möglich ist und was nicht.
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