Viernheim. Schwere Unfälle auf der Landesstraße 3111 haben Viernheim über die Jahre immer wieder erschüttert, in Einzelfällen verliefen sie sogar tödlich. Gerade erst im Februar kam ein älteres Ehepaar auf der viel befahrenen Strecke nach Hüttenfeld ums Leben, als es mit seinem Pkw in den Gegenverkehr geriet. Etliche Menschen erinnern sich vor allem noch an 2014: Eine junge Frau kollidierte mit einem Wildschwein, verlor die Kontrolle über ihren Wagen und krachte gegen einen Baum. Das Auto ging in Flammen auf, für die Fahrerin kam jede Hilfe zu spät.
Für die Stadt Viernheim war dieses Unglück und die zu diesem Zeitpunkt hohe Zahl an Wildunfällen Anlass, ein strenges Tempolimit einzuführen. Für fast zehn Jahre betrug die Höchstgeschwindigkeit 80 Stundenkilometer am Tag und 60 in der Nacht. Doch das soll es so nicht mehr geben. Seit Ende 2023, als der neue Geh- und Radweg freigegeben wurde, gilt entlang der gut vier Kilometer langen Strecke durch den Wald generell Tempo 70. Dies ist aber nur die Übergangsregelung.
Viele Menschen nutzen den Wald als Naherholungsgebiet
Zurzeit stellen Bauarbeiter vor Ort Schutzplanken auf. Wenn sie ihre Aufgabe erledigt haben – voraussichtlich Anfang September – sind zwischen 7 und 21 Uhr wieder 100 Stundenkilometer möglich. Nachts bleibt es bei 70. Festgelegt hat die Geschwindigkeitsbegrenzung diesmal nicht die Stadt, sondern die Straßenverkehrsbehörde des Kreises Bergstraße. Sie erklärt ihren Schritt unter anderem mit rückläufigen Unfallzahlen.
Michael Müller kann das Vorgehen des Kreises überhaupt nicht nachvollziehen, wie er in einem Brief an diese Redaktion schreibt. „An dieser Straße existiert durch Wildwechsel seit Jahren ein erhöhtes Unfallrisiko, welches auch durch die neuen Leitplanken und die intensivierte Bejagung nicht gänzlich auszuschließen sein wird.“ Als regelmäßiger Besucher des Waldes habe er zudem den Eindruck gewonnen, dass die Strecke immer häufiger mit überhöhter Geschwindigkeit befahren werde. Auch seien riskante Überholmanöver von Verkehrsteilnehmern an der Tagesordnung.
Müller weist auf die vielen Menschen hin, die das Areal für Freizeitaktivitäten nutzen. Spaziergänger, Jogger, Radfahrer und Reiter seien dort unterwegs, querten den neuen Geh- und Radweg sowie die Fahrbahn. Der Wald im Viernheimer Norden sei eine „regelrechte Oase“, die Parkplätze in dem Naherholungsgebiet entsprechend stark frequentiert. Durch die Anpassung des Tempolimits nach oben sind nach Einschätzung von Müller alle Beteiligten „einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt“. Er fordert die Entscheidungsträger dazu auf, ihr Vorhaben nochmals zu überdenken, um eine womöglich steigende Zahl an Unfällen vor Ort zu verhindern.
Landstraße
Solange die Beschilderung nichts anderes vorgibt, gilt Paragraf 3, Absatz 3, der Straßenverkehrsordnung (StVO). Demnach dürfen Pkw sowie andere Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen außerhalb geschlossener Ortschaften maximal 100 Stundenkilometer schnell fahren.
Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 7,5 Tonnen dürfen auf Landstraßen die Grenze von 80 Stundenkilometern nicht überschreiten. Das gilt auch für Busse sowie Lkw, Kleintransporter und Wohnmobile mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen, die mit einem Anhänger unterwegs sind.
Für Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 Tonnen sowie Busse mit stehenden Fahrgästen liegt die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 60 Stundenkilometern. wk
Nach Angaben des Kreisbeigeordneten Matthias Schimpf hatte das Regierungspräsidium Darmstadt bereits bei der Kreisverkehrsschau 2021 gefordert, die Geschwindigkeitsbeschilderung gemäß dem jetzigen Plan zu ändern. Der vorgesehene Verzicht auf die alte Beschilderung entspreche „dem allgemeinen Vorgehen bei Neuplanungen von Straßen, um wechselnde Geschwindigkeitsvorgaben zu vermeiden“, teilt der zuständige Dezernent im Landratsamt auf Anfrage mit.
Laut Schimpf stellte der beschriebene Streckenabschnitt bei der jüngsten Sitzung der Unfallkommission keinen Unfallhäufungspunkt mehr dar. „Demnach gibt es keine Grundlage für eine ganztägliche Geschwindigkeitsreduzierung auf 70 Stundenkilometer.“ Schimpf räumt ein, dass es auf dem Abschnitt zwischen Hüttenfeld und Viernheim „zweifellos“ noch Unfälle mit Wildbeteiligung gibt. Dem werde mit der nächtlichen Begrenzung auf maximal 70 Stundenkilometer Rechnung getragen. Den von den zuständigen Stellen dokumentierten Rückgang der Wildunfälle erklärt Schimpf mit der Einführung des Tempolimits bei Dunkelheit sowie den prägnanten Tafeln, die auf die Gefahren für Autofahrer im Wald hinweisen.
„Ein weiterer Faktor war in diesem Zusammenhang die seit 2015 fast jährliche, groß angelegte Bewegungsjagd.“ 90 bis 157 Tiere seien dabei an jeweils einem Tag erlegt worden. Das seien beachtliche Ergebnisse, die wesentlich zur Verkehrssicherheit beitrügen, sagt der Grünen-Politiker. „Andere Landkreise in Südhessen nehmen grundsätzlich keine Geschwindigkeitsreduzierung bei Wildunfällen vor“, ergänzt Schimpf.
Der Kreisbeigeordnete berichtet, dass Hessen Mobil vor dem Bau des Geh- und Radwegs Beschwerden über das Tempolimit von 80 beziehungsweise 60 Stundenkilometer vorlagen. Fußgänger und Radfahrer seien nun nicht mehr auf der Fahrbahn, sondern auf einer separaten, durch Planken geschützten Trasse unterwegs. Das bedeute eine „zusätzliche Sicherheit“. Die Geschwindigkeit sei folglich im Rahmen der Ergebnisse der Kreisverkehrsschau anzupassen. Bürgermeister Matthias Baaß sieht das Vorgehen des Kreises mit einer gewissen Skepsis. Der Wildwechsel sei weiterhin vorhanden, von den Leitplanken würden sich die Tiere ganz sicher nicht aufhalten lassen. „Ich fand es mit den 100 nicht so optimal“, kommentiert er die künftige Regelung im Gespräch mit dieser Redaktion. „Ich wäre da etwas defensiver gewesen.“ Der Viernheimer Ordnungsamtsleiter Sebastian Geschwind sehe dies übrigens genauso, fügt Baaß hinzu.
Zuständigkeit wechselt von der Stadt zum Kreis
Vor zehn Jahren hat die Stadt Viernheim als Straßenverkehrsbehörde das Tempolimit noch selbst festgelegt. Wieso das diesmal das Landratsamt in Heppenheim übernommen hat, kann Baaß nicht sagen. „Der Kreis hat entschieden, dass er zuständig ist“, sagt der Rathauschef lapidar. Er habe dies so akzeptiert.
Ob die neuen Geschwindigkeitsobergrenzen langfristig so bleiben, wird sich zeigen. Kreisbeigeordneter Schimpf erklärt, die Verkehrssituation auf dem Streckenabschnitt zwischen Viernheim und Hüttenfeld werde beobachtet. „Es bleibt abzuwarten, wie sich unter anderem die Unfallsituation mit Wildbeteiligung entwickelt.“ Spätestens in einem Jahr soll es eine Besprechung geben, die Lage sei dann eventuell neu zu bewerten. Momentan aber werde eine „ganztägliche Geschwindigkeitsreduzierung für nicht erforderlich gehalten“.
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