Viernheim. Es ist halb acht, das Licht ist auf die Bühne gerichtet, die Begrüßungsreden laufen. Ganz hinten im Viernheimer Treff im Bahnhof (TiB) steht Silvio Schneider, seine Gitarre umgehängt, und scharrt buchstäblich mit den Füßen. Als er losläuft, wispert ihm eine Stimme aus dem Publikum zu: „Viel Spaß!“ Der Musiker stockt und lacht, bevor er mit einem geflüsterten „Danke“ weitergeht. Es ist ein Moment, der zusammenfasst, was die Gitarrentage in Viernheim ausmacht. Nicht nur das Publikum hat hier Freude - auch die ja eigentlich arbeitenden Musiker. Es ist ein Treffen Gleichgesinnter: der Gitarrenverrückten.
Zum zwölften Mal hat der Viernheimer Verein „Chaiselongue - Kunst und Soziales“ zu den Gitarrentagen eingeladen. Die Idee zu der Konzertreihe hatte Vereinsvorsitzender Helmut Neumann, als er einst bei einem Festival in Cordoba in Gitarrenklängen schwelgte. „Das will ich auch in Viernheim“, dachte er damals - und schaffte es tatsächlich. Anfangs sei das Viernheimer Festival nicht gerade von Zuhörern überrannt worden.
Aber der Verein blieb seinem Konzept treu, jedes Jahr im Herbst Fingerstyle-Gitarristen aus aller Welt sowie junge Saiten-Künstler aus der Region zu einem Konzertwochenende einzuladen. Entstanden ist daraus etwas, „das es in Südhessen so nicht noch mal gibt“, so Neumann. Richtig klar geworden sei ihm das erst kürzlich, als er zu einem Interview beim Radiosender HR2 eingeladen wurde. „Die Radioleute meinten, wenn eine Konzertreihe schon zwölf Jahre läuft, dann hat man wohl nicht viel falsch gemacht“, erzählt er lachend.
Viernheimer Gitarrentage: Große Namen und immer mehr Zuschauer
„Wenn ich zurückblicke auf die Liste von Gitarristen, die wir hier hatten, zum Teil mit großen Namen, bin ich schon stolz“, sagt Neumann am Freitagabend im Gespräch mit unserer Redaktion kurz bevor’s losgeht. Auch die Zuschauerzahlen seien stetig gestiegen, erklärt er gerade, als der zweite Vorsitzende Manfred Brandmüller ihn herbeiwinkt: „Wir müssen noch mehr Stühle stellen. Es reicht nicht!“ Am Ende verzeichnet der Verein zwei ausverkaufte Konzertabende, an denen sechs Künstler die ganze Vielfalt des Instruments Gitarre zeigen. Warum sich Neumann vor Beginn der Gitarrentage nicht entscheiden kann, auf welches der Konzerte er sich am meisten freut, wird schon am ersten Abend klar.
Die beiden Künstler, die nacheinander auf die Bühne treten, entlocken ihren Gitarren völlig verschiedene Klänge. Silvio Schneider, der den Anfang macht, mischt als Weltreisender verschiedenste Musikrichtungen zu einem eigenen funkigen Stil. Zart startet er, lässt elegante Klänge aus seiner Gitarre perlen, bevor er immer mehr Fahrt aufnimmt. Besonders die lateinamerikanischen Einflüsse in vielen seiner Eigenkompositionen fahren den Zuhörern sichtlich in die Beine - und auch ihm selbst. Selbstvergessen, mit geschlossenen Augen tanzt er auf der Bühne - zu seiner eigenen Musik, aber auch zu einem Medley bekannter Sting-Songs.
Viernheimer Gitarrentage: Lang anhaltender Applaus für die Musiker
Als Schneider schließlich im Publikum Platz nimmt, betritt Biber Herrmann die Bühne. Er bringt gleich vier Gitarren mit - im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der nur ein einziges, leicht verschrammtes Instrument („das hat schon viel mitgemacht“) auf der Bühne hatte. Seinen vier Gitarren entlockt Herrmann im Laufe des Abends jede Menge Blues. Schon zum zweiten Mal ist der Rüdesheimer bei den Gitarrentagen zu Gast. Bereits bei der ersten Auflage der Konzertreihe 2013 war er dabei. Damals wie heute begeistert Herrmann mit seinem gefühlvollen Spiel genauso wie mit seinen Unterhalterqualitäten. Aber das Lachen des Publikums versickert, als der Gitarrist nachdrücklich an den Mut jedes einzelnen appelliert, seine Träume zu leben, und dann in einer mitreißenden Improvisation seine Finger zu den stampfenden Blues-Beats über das Griffbrett seiner Gitarre fliegen lässt. Der Konzertabend endet mit so lang anhaltendem Applaus, dass beide Musiker gemeinsam auf die Bühne treten und spontan einen Rap performen zu Beats, die Schneider kurzerhand auf einer der Gitarren Herrmanns trommelt.
Viele Gitarren zu sehen gibt es auch am zweiten Abend. Hinten im Raum, wo Gitarrenbauer David Jünger seine schönsten Modelle aufgebaut hat - und vorne auf der Bühne. Dort eröffnen die Viernheimer Laurin Schmitt und Frank Albersmann den Abend, die sonst mit zwei weiteren Musikern als Band FLAUSN auftreten. Mit Coversongs und eigenen Stücken stimmen sie das Publikum melodisch und rockig ein.
Wie unterschiedlich die Gitarre klingen kann, erleben die Zuhörer erneut, als kurz darauf „zwei Top-Acts“, so Neumann, die Bühne betreten: Jule Malischke und Don Ross. Während die deutsche Singer-Songwriterin ihrem Instrument fast feenhafte Klänge entlockt und auch mit ihrem Gesang das Publikum verzaubert, macht ihr kanadischer Duo-Partner seinem Ruf als „Groove-Granate“ alle Ehre. Abwechselnd begeistern beide mit Eigenkompositionen und Arrangements. Aber wirklich andächtig wird die Stimmung, wenn sie zusammen spielen und sich Feenklang mit Groove verwebt, nur unterbrochen von begeistertem Applaus für Don Ross’ rasante, vor Spielfreude sprühende Soli. Am Ende ist schwer zu sagen, wer mehr Spaß an den Gitarrentagen hatte: die Gäste auf oder vor der Bühne.
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