Mannheim. Nicht jeden begeistert der seit Jahren anhaltende Comedy-Boom in Deutschland. Schließlich könnte man die Inflation von Spaßmachern in Funk, Fernsehen und großen Hallen als Flucht des Publikums vor der mitunter wenig erfreulichen Realität einordnen. Zumal bei zunehmender Zuschauerzahl die alte Fußballweisheit „Flach spielen, hoch gewinnen“ gern mal das Niveau der Gags diktiert. Aber das muss nicht sein, zumindest nicht abendfüllend: Bülent Ceylan unterstreicht bei der ersten von drei Vorpremieren seines Programms „Lassmalache“ im Mannheimer Capitol, dass man das Comedy-typische verbale Barrenturnen um die Gürtellinie durchaus mit dem Bildungsauftrag des Kabaretts verbinden kann.
Tatsächlich gestaltet der 42-Jährige diese zwei Stunden zwar so politisch wie nie. Aber er tut das mit fast unmerklich erhobenem Zeigefinger und großer Leichtigkeit. Die Methode bleibt die bodenständiger Comedy, die den Zuschauern grinsend die Absurditäten ihres Alltagsverhaltens im Spiegel vorhält. Ceylan weitet sie einfach auf die Großen dieser Welt aus. Etwa, indem er dem bekennenden Frauenbegrabscher Donald Trump eine Therapie im mexikanischen Männergefängnis verordnet. Nach dem Motto: „Vor dem Witz sind wir alle gleich.“ Der Satz entspannt auch die leicht angespannte Atmosphäre nach seiner Anekdote über einen Besuch bei der Jüdischen Gemeinde Mannheims, die ihn fälschlicherweise als Muslim eingeladen hatte.
Diktatoren räumen voll ab
Oft sind es nur kleine Seitenhiebe, vorzugsweise auf Kosten des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, aber auch gern mal in Richtung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Höhepunkt der zwei Stunden ist allerdings eindeutig der Auftritt der „Anonymen Choleriker“, einer Selbsthilfegruppe für Diktatoren und solche, die es werden wollen. Dort erzählen sich die Herren Trump, Erdogan, Putin und Kim Jong-un Witze - bis Adolf Hitler anklopft, und ihnen mit der Pointe über seine „SS-Störung“ gnadenlos die Show stiehlt. Hier nutzt Ceylan live endlich mal wieder ausführlich sein ausgeprägtes Talent als Parodist, auch wenn er bis auf den Führer nur Akzente und Sprachmelodie einsetzt. Mangels einschlägiger Sprachkenntnisse muss Nordkoreas Oberster Führer mit Sächsisch auskommen („das ist der östlichste Dialekt, den ich kann“).
Dass solche Exkurse homogen ins Programm passen, liegt am konsequent durchgezogenen roten Faden von „Lassmalache“: Dabei werden fast alle Facetten des Phänomens Lachen durchdekliniert, wissenschaftlich, sprachlich und empirisch. Wenn Ceylan die eigentümlichsten Lachbeispiele aus seinem Tourleben vorführt, lernt man etwa das „Pupslachen“ kennen - Schicksale gibt’s …
Davon können auch Bülents Figuren ein Liedchen singen. Der nicht stressfeste Harald, die überfigurbetonte Anneliese und Hasan als türkischer Märchenonkel lockern mit kompakt-knackigen Auftritten die Show auf. Den Vogel schießt „Pumpewasserzang“-Träger Mompfreed ab. Der hat politisch zwar oft einen ziemlichen Rechtsdrall, zeigt aber null Toleranz gegenüber Wotan. Das „Hundele“ eines verstorbenen Nazis hat seine Frau Waltraud aus dem Tierheim geholt - mit dem Webfehler, dass er nur auf Militärbefehle hört („Stillgestanden“ statt „Platz“).
Wie immer bindet Bülent Ceylan gekonnt Zuschauer in seine Show ein, zum Beispiel, wenn nationale Eigenheiten beim Lachen dran sind. Wie fast immer entstehen dabei spontane Glanzlichter: Nachdem er einen Türken, eine Griechin und ein russisches Pärchen kurz interviewt hat, fragt er nach Polen im Saal. Das Schweigen bricht die Russin trocken: „Nein, die Russen sind ja da.“ Das Spiel mit Klischees wird also nicht nur auf der Bühne beherrscht.
Neben Politiker-Gags und strikter Anti-Rechts-Rhetorik hat den größten Tiefgang die Nummer über ein inzwischen exotisch anmutendes soziales Medium: „Kennt ihr noch … den Brief?“, fragt Ceylan hintersinnig und erinnert an dessen Vorzüge: „Früher haben die Menschen überlegt, ob sie das, was sie schreiben, wirklich abschicken … und Nacktfotos hat nur der Empfänger gesehen.“
Letztlich leben Ceylans Live-Auftritte immer auch davon, dass er eine fast schon freundschaftliche Plauderebene mit seinen Fans findet. Nicht nur, wenn er in der stürmisch und im Stehen erklatschten Zugabe mit der Ballade „Ohne euch“ seinen Zuschauern dankt. In „Lassmalache“ punktet er mit familiären Einblicken. Etwa, wenn er das neckische Mit- und Gegeneinander seines türkischen Vaters mit dem deutschen Opa in die Nähe des grantelnden Duos Waldorf und Statler aus der „Muppet-Show“ rückt. Oder als der Mannheimer sich nach dem zwischen Zirkusmusik und Metal schwankenden Intro daran erinnert, wie sein Vater mit ihm zum ersten Mal am Rand einer Manege saß und dort die Parole „Lassmalache“ ausgab. Die ist im Capitol genauso Programm wie die allerletzte Musiknummer, bei der Ceylan mit seinen Fans zu schwer groovendem Funk-Metall „Wir haben Spaß statt Hass“ skandiert.
Anfang im „Circus Ceylan“
Dass es eine Vorpremiere ist (zu der anders als angekündigt am Nachmittag doch noch Pressevertreter eingeladen wurden), merkt man dem Hauptdarsteller bis auf einen souverän überspielten Texthänger nicht an. Außerdem verrät er hier und da, welche Gags nach den vier vorhergehenden Testauftritten gestrichen wurden. Und das circensische Intro mit Direktorenzylinder dürfte sich besser erschließen, wenn das volle Bühnenbild Zirkusatmosphäre in die Arenen zaubert.
Bald 20 Jahre unterwegs
- Der Mannheimer Bülent Ceylan, Jahrgang 1976, hat sein Bühnendebüt im November 1998 mit „Produzier’ mich“ net“ in der Opera Buffa gegeben, 700 Meter vom Capitol entfernt.
- Offizielle Premiere von „Lassmalache“ ist am Freitag, 3. Februar, 20 Uhr, in der Frankfurter Fraport Arena. Karten über www.eventim.de (38,90 Euro plus Geb.).
- Nach der heutigen letzten Capitol- Vorpremiere läuft Bülent Ceylans nächste Show in Mannheim am Samstag, 28. April, 19 Uhr, in der bereits ausverkauften SAP Arena.
- Karten gibt es noch für den dortigen Zusatztermin am 29. April, 18 Uhr, unter 0621/10 10 11 (40,05 Euro plus Geb.).
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