Mannheim. Es ist die Rückkehr an den Ort ihres bislang größten Triumphs: In Tokio gewann Weitspringerin Malaika Mihambo vor vier Jahren Olympia-Gold. Die nahende WM geht sie jetzt ebenso ehrgeizig wie entspannt an.
Malaika, haben Sie früher bei den Bundesjugendspielen eigentlich Ehren-, Sieger- oder Teilnehmerurkunden erhalten?
Malaika Mihambo: Ich glaube, es waren Ehrenurkunden.
Ihnen ist die Debatte bekannt, ob es Bundesjugendspiele in der bisherigen Form noch geben soll. Einige Schulen haben sie bereits abgeschafft und wollen keine Klassifizierung mehr. Was halten Sie davon?
Mihambo: Die Debatte geht meiner Meinung nach am wichtigsten Thema vorbei. Wir wollen unseren Kindern doch beibringen, dass sie wertvoll sind. Und der Wert eines Menschen bleibt unverändert, egal ob man jetzt eine Ehren-, Sieger- oder eine Teilnehmerurkunde erhält. Um das Selbstvertrauen zu stärken, sollte man das Selbstvertrauen nicht an Leistung binden. Andererseits entsteht Selbstvertrauen aber auch nicht per se, wenn man Leistungsunterschiede nivelliert.
Was schlagen Sie also vor?
Mihambo: Wie wäre es damit, einfach anzuerkennen, dass der eine besser weitspringen und der andere besser Klavier spielen kann? All das sind doch einfach nur Facetten des Lebens. Wenn ich also kein guter Sportler bin, macht mich das doch nicht automatisch zu einem schlechteren Menschen. Es ist egal, ob ich auf einem Gebiet Erster oder Letzter bin. Jeder Mensch ist wertvoll und jeder hat andere Talente – und wenn diese Lektion verankert werden würde, wäre das wesentlich hilfreicher als eine Debatte über Urkunden.
Wenn Sie vor Ihrem geistigen Auge das kleine Mädchen sehen, das in Oftersheim in die Sprunggrube springt, und dann darauf blicken, was aus Ihnen geworden ist: Was empfinden Sie dabei?
Mihambo: Eine spannende Frage. Auf der einen Seite ist es schön zu wissen, dass ich viel mehr erreicht habe, als ich mir als Kind erträumt habe. Auf der anderen Seite denke ich auch immer an den Schmerz, den ich erleben musste (Mihambo war in jungen Jahren rassistischen Anfeindungen ausgesetzt: Anm. d. Redaktion). Meine Kindheit war nicht immer einfach und mir wurden oftmals Steine in den Weg gelegt. All diese Steine aus dem Weg geräumt zu haben … dieses Wissen macht das Erreichte noch größer.
Aus dem Mädchen aus Oftersheim wurde ein erfolgreicher Sportstar, der um die Welt reist. Was geben Ihnen die Momente, in denen Sie in der Rhein-Neckar-Region sind?
Mihambo: Ich freue mich immer, wenn ich zu Hause bin, um Freunde und Familie zu sehen und Zeit mit meinem Partner zu verbringen. Wenn ich in meinem eigenen Haus bin, kann ich einfach in Ruhe bei mir selbst sein.
Sie betonen häufig Ihre Verbundenheit zu Ihrer Heimat. Wenn genau dort etwas Grausames passiert, wie beispielsweise das Messerattentat in Mannheim: Beschäftigt Sie das noch mehr, als wenn es anderswo wäre?
Mihambo: In gewisser Weise schon, weil Freunde, Bekannte oder Verwandte zur selben Zeit am selben Ort hätten gewesen sein können. Was in Mannheim passiert ist, ist eine Tragödie. Einfach schlimm. Aber natürlich beschäftigen mich ähnliche Taten auch, wenn sie nicht in meiner Heimat passieren.
Zur WM kehren Sie nach Tokio zurück und damit genau an jenen Ort, an dem sie 2021 Olympia-Gold gewannen. Was geht Ihnen beim Gedanken daran durch den Kopf?
Mihambo: Erst einmal freue ich mich auf einen Wettbewerb, der diesmal mit Zuschauern ausgetragen wird. Das ging 2021 wegen der Corona-Pandemie nicht. Deswegen ist es diesmal auch etwas völlig anderes als 2021. Und dennoch trage ich die Erinnerungen von damals in meinem Herzen. Ich bereite mich auch mental vor und versuche, den zukünftigen Erfolg in diesem Jahr zu visualisieren. Ich möchte mit einem großen Vertrauen an den Start gehen.
Zuletzt in Eugene wurden Sie Zweite hinter Tara Davis-Woodhall, die auch bei den Olympischen Spielen 2024 knapp vor Ihnen lag. Beschränkt sich der Kampf um Gold auf das Duell zwischen Ihnen und ihr?
Mihambo: In diesem Jahr haben mehrere Springerinnen die Sieben-Meter-Marke geknackt. Zum Beispiel Larissa Iapichino oder Hillary Kpatcha und noch ein paar weitere. Außerdem ist alles auch immer eine Frage der Tagesform und der Umstände. Ein Gewitter zur falschen Zeit – und plötzlich springt keine Athletin mehr sieben Meter weit.
Bei einer WM richten sich die Blicke wieder vermehrt auf die gesamte deutsche Leichtathletik, die in diesem Jahr mit einer Million Euro weniger Fördergeld vom Bund auskommen muss. Was bedeutet das?
Mihambo: Dass man das Geld, das da ist, noch effizienter und effektiver einsetzen muss. Aber das sollte stets der Grundanspruch sein, wenn es um öffentliche Gelder geht. Letztendlich ist sportlicher Erfolg aber nicht nur vom Geld abhängig, sondern auch immer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und gesamtgesellschaftliche Entscheidung.
Wie meinen Sie das konkret?
Mihambo: Zunächst einmal gibt es die Medien. Worüber berichten sie? Nur über Fußball oder schaffen sie auch Raum für andere Sportarten? Für den Staat stellt sich wiederum die Frage: Wie viel Geld wollen wir als Gesellschaft zum Beispiel für die Leichtathletik ausgeben und wie wichtig ist es uns, Medaillen zu erreichen, also eine Sportnation zu sein? Und schließlich gibt es noch die Privatwirtschaft. Investieren Unternehmen in den deutschen Sport? Mal ganz unabhängig davon, dass der Deutsche Leichtathletik Verband das Beste aus seinen Möglichkeiten machen muss, sind die Antworten auf diese Fragen meiner Meinung nach auch entscheidend für den deutschen Sport.
Malaika Mihambo
Malaika Mihambo wurde am 3. Februar 1994 in Heidelberg geboren und startet für die LG Kurpfalz .
Bei Olympia 2021 in Tokio holte Mihambo Gold , 2019 in Doha und 2022 in Eugene wurde sie Weltmeisterin. Zudem gewann die Weitspringerin 2018 in Berlin den EM-Titel. Bei der EM 2022 holte Mihambo Silber. 2024 folgte Olympia-Silber in Paris.
Von 2019 bis 2021 wurde sie dreimal in Folge als „Sportlerin des Jahres“ geehrt.
Ihre Bestleistung sind 7,30 Meter . Diese Weite sprang Mihambo beim WM-Sieg 2019.
Fehlt dem Sport in Deutschland generell die gesellschaftliche Anerkennung?
Mihambo: Nicht unbedingt, weil gerade die Menschen, die sich für viele Sportarten interessieren, diese auch anerkennen. Es geht mir eher um die Sichtbarkeit. Ich kenne es nur vom Hörensagen, aber in den 80er Jahren war die Sportlandschaft viel breiter – es gab noch Platz für einige andere Sportarten neben dem Fußball. Das ist am Ende natürlich auch eine Frage des Zeitgeists und – wie gesagt – auch eben eine Frage der Gesellschaft. Was wollen wir? Was interessiert uns? Wohin wollen wir? Aber man kann nicht immer von allem weniger geben und dann erwarten, dass am Ende mehr dabei herauskommt.
Sie haben die Dauerpräsenz des Fußballs mehrfach angesprochen. Welche Gefahr birgt das?
Mihambo: Im deutschen Sport gibt es momentan eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Hier den Fußball und dort den Rest. Geht das so weiter, verlieren wir irgendwann die Vielfältigkeit im Sport. Doch gerade die ist doch so wichtig, um junge Menschen für Sport zu begeistern. Es wäre schön, wenn Kinder wissen, dass es zum Beispiel auch noch Handball, Schwimmen oder Leichtathletik gibt.
Ist Deutschland jetzt also eine Fußball- oder eine Sportnation?
Mihambo: Das ist die Kernfrage, die ich nicht genau beantworten kann. Vermutlich muss man das auch eher historisch betrachten. Also woher kommen wir und wo stehen wir jetzt? Das können andere Menschen, die den deutschen Sport ein paar Jahrzehnte mehr als ich erlebt haben, sicherlich besser beurteilen.
Dann frage ich anders: Ist es – und wir lassen den Fußball außen vor – momentan noch attraktiv, Leistungssportler in Deutschland werden zu wollen?
Mihambo: Genau diese Frage ist die Konsequenz aus der aktuellen Situation. Wir müssen über die finanzielle Sicherheit der Athleten sprechen – und da sprechen wir teilweise vom Existenzminimum. Viele Leistungssportler arbeiten in Vollzeit und sind trotzdem bei Weltmeisterschaften am Start. Wir reden hier also nicht davon, ob jemand viel Geld verdient, sondern wir reden davon, ob es sich jemand erlauben kann, Leistungssport zu betreiben. Manch einer nimmt diese Doppelbelastung aus Beruf und Sport nicht auf sich, dann platzen Träume und wir verlieren Talente. Und auf der anderen Seite ist es aber der Anspruch, dass wir bitte möglichst viele Medaillen holen.
Was sich widerspricht…
Mihambo: Genau. Wir müssen uns einfach unsere Ausgangslage ansehen. In der Leichtathletik sind in den vergangenen Jahren die Italiener ganz stark geworden, auch die Schweizer und die Niederländer. Da müssen wir hinschauen und uns fragen: Was machen diese Länder anders? Wo haben die sich neu aufgestellt? Und wenn wir eben solche Erfolge auch feiern wollen, müssen wir als gesamte Gesellschaft auch etwas dafür tun.
Würde denn ein Olympia-Gastgeberland Deutschland das gesellschaftliche Bewusstsein verändern?
Mihambo: Das ist zu kurz gedacht. Olympische Spiele können etwas anstoßen und eine Initialzündung sein. Aber letztendlich müssen wir für uns langfristig entscheiden, was wir als Gesellschaft wollen. Was können wir selbst umsetzen? Was können die Sportverbände machen? Wie kann die Politik unterstützen? Und wie verändert sich die Medienlandschaft dahingehend, dass sie auch über olympische Kernsportarten ausführlicher berichtet und die Menschen abholt? Bei Olympischen Spielen geht es außerdem um so viel mehr als nur darum, den Sport ins eigene Land zu holen. Frieden, Toleranz, Fair Play, einander zuhören, voneinander lernen – all das sind wichtige Themen, die wir in Deutschland und auf der ganzen Welt angehen sollten. Bei Olympischen Spielen in Deutschland ginge es also darum: Was machen wir daraus? Und wie können wir diesen Schwung dann auch langfristig in unsere Gesellschaft bringen?
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/sport_artikel,-sport-urkunden-bei-bundesjugendspielen-das-sagt-malaika-mihambo-dazu-_arid,2327416.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/themen-schwerpunkte_dossier,-olympische-spiele-2021-in-tokio-_dossierid,246.html