Berlin. Auf dem Weg zurück zur Kabine entfuhr Bill Stewart ein lautes „Mist“. Mit diesem Wort drückte der Trainer der Adler Mannheim in den Katakomben der Berliner Mercedes-Benz-Arena die Gefühlslage des ganzen Clubs aus. Die Blau-Weiß-Roten hatten mit einer großen Energieleistung das entscheidende fünfte Play-off-Halbfinalspiel gegen die Eisbären erzwungen – nach dem 0:3 blickte man am Donnerstagabend aber ausnahmslos in leere Gesichter.
„Das ist natürlich sehr bitter. Wir hatten Chancen, das Spiel für uns zu entscheiden. Berlin hat in den vergangenen zwei Jahren aber eine gewisse Qualität aufgebaut“, sagte David Wolf mit feuchten Augen. Was der Adler-Angreifer damit ansprach: Die Eisbären haben den Prozess, den die Mannheimer gerade erst angestoßen haben, zu Ende gebracht. Der Titelverteidiger ließ sich auch nicht davon beirren, eine 2:0-Serienführung verspielt zu haben, sondern er war so gefestigt, dass er entscheidend zurückschlagen konnte.
Keine Antwort auf Berliner 1:0
Einig waren sich alle, dass Manuel Wiederers 1:0 (21.) schon die Vorentscheidung war. „Dieses Tor hat den Eisbären neuen Schwung verliehen. Was wir auch versucht haben: Wir konnten uns diesen nicht mehr zurückholen“, sagte Stewart. Dass Blaine Byron (46./60.) für einen zu hoch ausgefallenen Sieg des Hauptstadtclubs sorgte – geschenkt.
„Wir haben eine sehr gute Serie gespielt. Ich bin unheimlich stolz auf die Jungs“, betonte Wolf, der in seiner Analyse der Saison noch einmal auf die vielen Unwägbarkeiten und Widerstände hinwies: „Als Außenstehender sieht man das vielleicht nicht so, wie wir das in der Kabine sehen: Mit Covid war das in den vergangenen zwei Jahren mental und körperlich hart für einen Profisportler. Es ist nicht leicht, nach der Infektion zurückzukommen und gleich wieder Leistung bringen zu müssen. Der Druck ist da – von den Medien, von den Fans und von dir selbst.“
Die Frage, die viele stellten, die jedoch keiner beantworten konnte, spukte auch in Wolfs Kopf herum: Wäre mehr möglich gewesen, wenn sich die Adler früher von Pavel Gross getrennt hätten? Wenn Bill Stewart mit seinen Co-Trainern Marcel Goc und Jochen Hecht mehr Zeit gehabt hätte, an grundsätzlichen Dingen zu arbeiten? „Der Trainerwechsel hat uns neuen Schwung gegeben. Wir haben uns als Mannschaft gefunden und gezeigt, was wir können“, unterstrich Wolf, der sich allerdings nicht lange im Raum des Konjunktivs aufhalten wollte: „Hätte, wenn und aber – all das bringt nun nichts mehr. Fest steht: Es gab mental eine große Befreiung, als Bill kam. Er trägt die Menschlichkeit in sich, das hat er relativ schnell transportieren können. Die Jungs haben für ihn und die Mannschaft gekämpft.“
Wird sich Stewart nun wieder in seine Rolle als Nordamerika-Scout zurückziehen? Oder wird er wieder mehr in die Organisation eingebunden? Das sind einige der Fragen, auf die die Adler in den nächsten Tagen eine Antwort geben wollen. „Wir werden uns in der nächsten Woche zusammensetzen und alles in Ruhe analysieren“, erklärte Sportmanager Jan-Axel Alavaara. Hoffnung für die Zukunft schöpfte der Schwede aus dem, was er in den vergangenen vier Wochen erleben durfte. „Die Mannschaft hat Charakter gezeigt“, sagte Alavaara rückblickend zur gewonnenen Viertelfinalserie gegen Straubing und dem großen Kampf, den die Adler den Eisbären lieferten.
In die Karten, wie weit er schon mit der Trainersuche ist, wollte sich der 47-Jährige nicht blicken lassen. „Das Coaching ist noch offen für die nächste Saison. Wir werden uns keinen Stress machen, sondern uns Zeit nehmen. Wir werden mit vielen Leuten reden“, sagte Alavaara. Er persönlich wünscht sich einen erfahrenen Trainer, der die Kabine im Griff hat, damit er selbst sich wieder um seine originäre Arbeit als Sportmanager kümmern kann.
Inwieweit das Trainerteam eingebunden wird, das die mental gebrochenen Spieler aufgebaut hat, ist noch nicht geklärt. Wolf könnte sich jedoch gut vorstellen, dass Stewart, Goc und Hecht näher ans Team heranrücken. „Bill liebt die Organisation, identifiziert sich mit ihr. Es ist für mich als Mannheimer wichtig, dass da einer ist, der weiß, wie Mannheim tickt. Mannheim funktioniert nicht wie Berlin oder München“, lobte der Adler-Angreifer Stewarts positiven Einfluss. „Marcel ist so weit, eine größere Rolle zu übernehmen, wenn er will. Ich war von ihm beeindruckt. Und Jochen ist mit seiner Erfahrung pures Eishockey-Mannheim. Das hat hervorragend gepasst.“
Egal, wie die kurz- bis mittelfristigen Entscheidungen auch ausfallen: Stewart ist überzeugt von der Mannschaft. „Dieses Team ist in der kurzen Zeit, in der ich da bin, gewachsen. Nach den vielen Vorfällen war es total verängstigt. Das Team hat es aber in sich, große Dinge zu vollbringen“, betonte der 64-Jährige. Auf die Frage, ob er an diesem Prozess näher dran sein möchte, antwortete er süffisant mit einer Gegenfrage: „Was glaubst du denn?“ Dann ergänzte er: „Ich habe meinen Coaching-Virus zurück. Ohne Chemie geht nichts, mit Chemie ist alles möglich.“
Stewart würde es begrüßen, wenn ihm die Adler in den nächsten Tagen noch einmal die Möglichkeit geben würden, sich öffentlich zu äußern. „Ich habe noch etwas zu sagen“, betonte er. Dann griff er zum Becher, nippte an seinem Bier, und verabschiedete sich in die Kabine. „Mist, Mist, Mist“, entfuhr es ihm erneut. Sein Gesicht war nicht mehr leer, sondern voller Entschlossenheit.
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