Mannheim/Rom. Es ist dies die Geschichte eines Pechvogels. Man stelle sich vor: Man fährt als Sprinter zum persönlichen Höhepunkt zu einer Europameisterschaft, qualifiziert sich überraschend für das Finale der acht Besten und muss dann eine halbe Stunde vor dem Start passen.
Genau dies ist Robin Ganter von der MTG Mannheim am Samstagabend im Olympiastadion von Rom passiert. „Jetzt gehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge hier heraus“, kommentiert der 23-Jährige um Mitternacht seine eigenartige Geschichte.
Im Vorlauf ist noch alles okay für den zweifachen deutschen 200-Meter-Meister. Das Unglück nimmt im Halbfinale seinen Lauf. Ein Fehlstart, der zu spät zurückgepfiffen wird, mehrere Sprinter rennen durch, Ganter bricht in der Mitte ab. Sein Lauf wird nach hinten geschoben. Pause, herumstehen. „Da hatte ich in der Muskulatur schon eine hohe Spannung aufgebaut“, sagt Ganter. 15 Minuten später: zweiter Startversuch, Ganter rennt als Vierter in 10,21 Sekunden ins EM-Finale. Wow! Ganters Trainer-Vater Harald freut sich auf der Tribüne mit.
Ganter muss Start in der Sprintstaffel bei der Europameisterschaft absagen
Schon im Zielauslauf spürt Robin Ganter ein Ziehen im Oberschenkel-Beuger. Behandlung beim Physiotherapeuten. „Kann ich laufen im Finale oder nicht?“ Die Unsicherheit wird größer. Beratung mit dem Bundestrainer David Corell: Absage der Finalteilnahme, auch die aussichtsreiche Sprintstaffel muss ohne den Mannheimer stattfinden: Sportdirektor Jörg Bügner vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) sagt am Sonntag, dass bei Ganter auch mit Blick auf die Olympischen Spiele in zwei Monaten in Paris kein Risiko eingegangen werde.
Denn da ist dieses große Ziel - auch für Ganter: Paris im August, auch da will er auf der Bahn für den DLV laufen. „Olympische Spiele, das ist doch so etwas wie ein Karriereziel“, hat Ganter im Kopf. „Die Atmosphäre in einem so großen Stadion wie dem Olympiastadion in Rom oder dem Stade de France in Paris, das ist doch mega schön“, träumt er weiter. An den Zuschauermassen vorbei ins Stadion zu kommen, hatte ihn schon „mega“ beeindruckt.
Ganter konnte seine Rahmenbedingungen für den Leistungssport im März verbessern. Der Mechatroniker hat in Weinheim ein Autohaus gefunden, in dem er seine Arbeitszeit von 39 auf 27 Stunden reduzieren kann und Spielraum für Trainingslagermaßnahmen erhält. Zuletzt war er in Houston bei seinem Coach Marlon Odom, den er noch aus der Stuttgarter Zeit kennt. Dort wird er mitbetreut von 100-Meter-Olympiasieger Justin Gatlin. Wenn er nicht auf der Bahn oder im Kraftraum im Training ist, steht Ganter aber in der Werkstatt beim Service an den PKW.
Nach Mitternacht und dem 100-Meter-Sieg des Italieners Lamont Marcell Jacobs (10,02 Sekunden) kommt beim Pechvogel von Rom etwas Optimismus durch. „Ich hoffe, wir schaffen es, die Muskulatur wieder in Ordnung zu bringen.“ Dieser Wunsch geht aber nicht in Erfüllung, wie der Sonntag zeigt. Die Chancen für die deutsche 4x100 Meter-Staffel, mit einem gesunden MTG-Sprinter aufs Treppchen zu kommen, wären nicht schlecht gestanden. Zwei deutsche Sprinter in einem EM-Finale - auch der in Mannheim bei Sebastian Bayer trainierende Owen Ansah hatte das Ticket gelöst und wird im Endlauf der Top Acht guter Fünfter in 10,17 Sekunden - gab es lange nicht.
Zweite Mannheimer Medaille: Fabienne Königstein holt Team Silber im Halbmarathon
Nur zwei Tage nach der Bronzemedaille für Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye gibt es bei der EM die zweite Medaille für eine MTG-Athletin: Fabienne Königstein gewinnt mit dem DLV-Team Silber im Halbmarathon zusammen mit Melat Kejeta, Domenika Mayer, Esther Pfeiffer und Katharina Steinruck. In der Einzelwertung landet Königstein auf Platz 20. „Die ersten zehn Kilometer habe ich versucht, strategisch gut ins Rennen zu finden und nicht zu überpacen“, sagt Königstein, deren Familie auf der Tribüne im Stadion und an der Strecke steht: „Ab Kilometer 15 wurde es dann richtig, richtig hart. Ich bin aber stolz, dass ich das Comeback geschafft habe.“
Auch bei den deutschen Männern gab es im Halbmarathon Jubel: Amanal Petros im Einzel sowie das Team gewannen jeweils Bronze. Der deutsche Marathon-Rekordler musste sich nur den Italienern Yemaneberhan Crippa und Pietro Riva geschlagen geben. Am Samstag hatte MTG-Weitspringer Simon Batz (7,65 Meter) bei der Flugshow des Griechen Miltiadis Tentoglou (8,65 Meter) den neunen Platz belegt, Batz’ Clubkollegin Jacqueline Otchere hatte im Stabhochsprung mit 4,40 Meter den Einzug ins Finale verpasst.
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