Mannheim. Am Samstagmorgen überraschten die Rhein-Neckar Löwen auf ihrer Facebook-Seite. Sie kündigten das „Topspiel“ gegen die SG Flensburg-Handewitt an - und meinten damit nicht etwa eine Videoaufzeichnung als schöne Erinnerung aus den rasend schnell verblassten Meisterjahren, sondern tatsächlich die anstehende Handball-Bundesligapartie am Abend. Da standen sich allerdings der Tabellenzehnte aus Mannheim und ein Champions-League-Anwärter aus dem Norden gegenüber. Das klingt jetzt weniger nach Topspiel, trotzdem begegneten sich beide Mannschaften über 60 Minuten auf Augenhöhe. Mehr noch: Viel fehlte nicht und die Löwen hätten sogar gewonnen, obwohl die Flensburger mit Kevin Møller den besten Mann auf dem Feld in ihren Reihen hatten.
Der dänische Torwart zeigte unglaubliche 25 Paraden und wurde trotzdem nur zu einem Garanten für einen Punkt. Erst zwei Sekunden vor dem Abpfiff glich die SG durch Johannes Golla zum 29:29 (13:12)-Endstand aus und schockte die Badener, bei denen sich zunächst Enttäuschung breitmachte. Trainer Ljubomir Vranjes sah aber nicht nur das Resultat, sondern auch die Reaktion seiner Mannschaft. „Gegenüber der Partie gegen die Füchse Berlin war das ein Riesenschritt nach vorne.“
- Löwen: Birlehm, Appelgren (ab 43. Minute), Katsigiannis (n.e.) – Helander (3), Gislason (3), Groetzki (5) – Nilsson, Schmid (7/2), Kirkeløkke (3) – Patrail, Kohlbacher (n.e.), Horzen (1), Abutovic, Zacharias, Lagergren (2), Knorr (5).
- Flensburg: Møller, Buric – Golla (6), Hald, Svan, Wanne (11/3), Steinhauser (4), Mensah (3), Søgard (3), Gottfridsson (1), Semper, Mensing (1), Lindskog, Rød.
- Schiedsrichter: R. Thiyagarajah/ S. Thiyagarajah.
- Zuschauer: 5144.
- Strafminuten: Abutovic (2), Gislason (4) – Hald (2), Wanne (2).
- Beste Spieler: Schmid, Groetzki – Møller, Wanne.
Zur Erinnerung: Vor einer Woche fehlte den Löwen jegliche Siegoption gegen den Spitzenclub aus der Hauptstadt. Damals machten sich die Mannheimer mit einem 0:7-Lauf in acht Minuten alles kaputt. Diesmal antwortete der deutsche Pokalsieger von 2018 auf drei Flensburger Treffer zum 20:23 (43.) mit einer 6:1-Serie zum 26:24 (47.). Die Löwen zeigten also Herz und Hirn.
„Wir sind zurückgekommen“, hielt Rechtsaußen Patrick Groetzki fest, verfiel aber nicht in überbordende Euphorie. Im Gegenteil: Der Linkshänder wusste das Ergebnis und die Umstände einzuschätzen: „Uns war bekannt, dass Flensburg personell auf dem Zahnfleisch geht.“ Drei Tage zuvor hatte die SG im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Pick Szeged einen aufopferungsvollen Kampf gezeigt, am Donnerstag steht bereits das Rückspiel beim ungarischen Meister an. Erschöpft und ersatzgeschwächt reisten die Norddeutschen deshalb zu den Löwen, die neben dem ohnehin verletzten Uwe Gensheimer allerdings auch auf Jannik Kohlbacher (Rücken) und Lukas Nilsson (fiel nach wenigen Minuten mit Magenproblemen aus) verzichten mussten.
Der feine Unterschied
Dafür waren die Badener aber im Gegensatz zum Gegner ausgeruht. Und wie schwierig für die Flensburger in dieser Konstellation das Spiel in Mannheim werden würde, wissen die Löwen ja selbst aus gar nicht einmal so lange zurückliegender eigener Erfahrung - was bei der Einordnung dieses Ausrutschers nach oben hilft. Zumal die Ausrutscher nach unten seit einiger Zeit überwiegen. Entsprechend fühlen sich die Badener nach dem Remis gegen die SG auch nicht näher dran an der Spitze.
„Für mich ist eine Entwicklung erst erreicht, wenn man etwas bestätigt. Dieses Spiel war aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung“, machte Groetzki auf einen feinen, aber eben doch entscheidenden Unterschied aufmerksam. Wenngleich sein Team seit einigen Wochen tatsächlich anders und stärker als zuvor auftritt. „Wir zeigen, dass wir es besser können, als es die Tabelle aussagt. Aber es hat auch einen Grund, warum wir da stehen“, gab der Linkshänder zu bedenken und zeigte wie auch Spielmacher Andy Schmid einen erfreulich ehrlich und selbstkritischen Sinn für die Realität. Der Schweizer sprach davon, dass man sich an das „Flensburger Niveau herangekrabbelt“ habe. Nur eben mit dem entscheidenden Unterschied, dass die SG solch eine Leistung praktisch immer trotz XXL-Belastung abruft und die Löwen selbst ohne XXL-Belastung nicht mehr. Diese Konstanz suchen „wir seit drei Jahren“, blickte Groetzki aufs große Ganze.
Das Gute: Diese Meinung hat er nicht exklusiv. Denn der stark vereinfachten These, dass die Löwen gegen Berlin und Flensburg insgesamt nur acht schlechte Minuten hatten und vielleicht doch nicht so weit weg von der Spitze sind, wollte zumindest niemand zustimmen. Mal abgesehen davon, dass solche Vergleiche ohnehin die Aussagekraft einer 16-Tage-Wetterprognose haben. „Wir sind weiter weg“, machte Rückraummann Juri Knorr deutlich und wiederholte diesen Satz gleich noch einmal. Ganz so, als wolle er sichergehen, dass seine Worte auch jeder verstanden hat. Es fehlte eigentlich nur noch, dass der Mittelmann mit dem Zeigefinger ein Ausrufezeichen in die Luft malt, um die Bedeutung seiner Botschaft zu unterstreichen. Doch seine Worte kamen an. Sofern sie das überhaupt mussten. Denn ihr eigener Leistungsstand ist den Löwen bewusst.
Und so erinnerte Torwart Joel Birlehm daran, dass zuletzt das Ergebnis gegen Berlin am Ende auch deshalb noch so halbwegs erträglich (24:29) ausfiel, weil der Gegner nach einer Achttore-Führung in den Verwaltungsmodus geschaltet habe. „Für uns ist es außerdem wichtig, gegen eine Mannschaft wie Wetzlar zuhause zu gewinnen.“ Was vor wenigen Wochen übrigens nicht gelang.
Am Donnerstag (19.05 Uhr) haben die Löwen gegen den HSV Hamburg nun die Chance, die gezeigte Leistung zu bestätigen. Stichwort Entwicklung. Vor nicht allzu langer Zeit war solch ein Heimspiel gegen einen Aufsteiger ein Selbstläufer. Aber da gab es auch noch echte Topspiele.
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