Fußball-EM

Die Heim-EM: Ein Turnier im Zeichen der Kraft des Fußballs

Von der stimmungsvollen Europameisterschaft im eigenen Land bleiben vor allem die Fans aus aller Herren Länder hängen. Die Stimmung riss auch den Gastgeber mit. Doch alle Chancen des Turniers hat Deutschland nicht genutzt

Von 
Frank Helllmann
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Die deutsche Nationalmannschaft um ihren Kapitän Ilkay Gündogan (links) und Jamal Musiala ist bei der EM im eigenen Land inspirierend aufgetreten. © Tom Weller/dpa

Vielleicht noch mal zurück an den Anfang: Fünf Wochen ist es her, dass der Sportplatz des 1. FC Garmisch-Partenkirchen einen Auflauf erlebte, wie vielleicht nie wieder. Die Regenwolken hingen so tief, dass die Zugspitze im Hintergrund nicht zu erkennen war, dennoch herrschte Volksfeststimmung unter den bunten Regenschirmen, als die schottische Nationalmannschaft an jenem Montag ihr öffentliches Training abhielt.

Schon beim Eröffnungsspiel machten die Schotten deutlich: Das Turnier steht im Zeichen der Fans. © Marijan Murat/dpa

Danach sollte ein Mitglied des Trainerstabs grinsend im Eissportzentrum sagen, man habe das typische Wetter mitgebracht. Wenn schon 100 000 Landsleute in München gegen den Gastgeber erwartet würden, wolle man sich halt wie zu Hause fühlen. Wie jeder heute weiß: Weder die Prognose mit dem Wetter noch mit den Fans war gelogen.

Turnierchef Philipp Lahm hätte öffentlich stärkere Akzente setzen können. © dpa

Die „Tartan Army“ riss zum Eröffnungsspiel gleich mal ganz München mit. Der Startschuss für eine EM, die von Anfang bis Ende im Zeichen der Fans stand. Jede Partie irgendwie ein Happening - selbst wenn ein Gewitter einsetzte. Überall haben sie trotzdem gesungen, getanzt und gefeiert. 15 000 Slowenen in Stuttgart, 30 000 Rumänen in Frankfurt, 40 000 Polen in Berlin. „United by Football“ - im Herzen von Europa vereint. Das hat Massen berührt und begeistert. Weil die Mehrzahl auch in der Niederlage noch fröhlich und friedlich blieb, entstanden Begegnungen, die Europa in jenen Momenten zusammenwachsen ließen. Die Kraft des Fußballs ist ungebrochen.

Diese EM war kein Turnier der Superstars

Die Leidenschaft auf den Rängen hat über so manche Länge auf dem Rasen hinweggeholfen. Insbesondere die Topspieler waren nach einer kräftezehrenden Saison teilweise am Ende. Der Starspieler der Engländer, Jude Bellingham, gestand nach dem Champions-League-Finale, „komplett tot“ zu sein. Kylian Mbappé brach sich früh die Nase, Granit Xhaka riss sich spät den Muskel - und auch an Cristiano Ronaldo nagt der Zahn der Zeit.

Nein, dieses Turnier war keines der Superstars: Inspiration kann auch nicht mehr von den Nationalteams kommen. Dafür sind die Topclubs aus Madrid, Manchester oder München da, die sich Weltauswahlen zusammengestellt haben. Trends werden daher vermehrt in der Champions League gesetzt.

Turniedirektor Lahm und Botschafterin Sasic bleiben zu blass

Auch die WM 2006 und ihr Sommermärchen war keines mit einem fußballerischen Impuls. Deutschland konnte damals noch viel leichter in einen Rausch fallen, da der Rahmen unbeschwerter war. Wer die Leistungen der deutschen Nationalmannschaft vergleicht, muss konstatieren: Genau wie Projektleiter Jürgen Klinsmann hätte jetzt auch Julian Nagelsmann mindestens das Halbfinale verdient gehabt. Weil die deutsche Nationalelf endlich wieder inspirierend aufgetreten ist.

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Aber irgendwie passte das Abschneiden zu dem Eindruck, dass Deutschland die Chancen der EM 2024 nicht vollumfänglich genutzt hat. So wie Turnierdirektor Philipp Lahm und vor allem Turnierbotschafterin Celia Sasic es versäumten, öffentlich stärkere Akzente zu setzen, wäre als Gastgeber noch mehr gegangen, um das Image aufzupolieren.

Die Bahn versagt und gesteht ihre Probleme auch ein

Die Zurückhaltung der Bundesregierung fiel der Veranstaltung in einem Punkt besonders auf die Füße: Der Transport lief bestenfalls befriedigend. Unpünktliche Züge, überfüllte Straßenbahnen und schlechte Kommunikation sorgten nicht immer, aber zu oft für Verdruss. Nach dem chaotischen Abtransport aus der Arena in Gelsenkirchen konstatierte die „New York Times“: „Euro 2024 und deutsche Effizienz - vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten.“

Bahnsprecherin Anja Bröker musste einräumen: „Wir sind nicht ganz auf der Höhe gewesen. Unsere Verkehre bei der Europameisterschaft fuhren nicht rund.“ Nach einem Zugausfall stieg die Nationalmannschaft der Niederlande vor dem Halbfinale in Dortmund kurzfristig auf einen Flieger um. Es war übrigens nicht der einzige Kurzstreckenflug, der das Nachhaltigkeitskonzept konterkarierte. Plötzlich soll nun die Bahninfrastruktur auf Vordermann gebracht werden. Warum erst jetzt?

Die Emotionen dieser EM lenkten von den Alltagssorgen in schwierigen Zeiten ab

Viele - wie etwa der bei der Europäischen Fußball-Union UEFA als Wettbewerbsdirektor zuständige Martin Kallen - haben sich damit beholfen, ausreichend Puffer einzuplanen. „Manchmal ist das ein bisschen mühsam, aber das Angebot ist eigentlich groß und vielfältig.“ Und so sind die meisten doch pünktlich ins Stadion gekommen.

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Dort entfaltete sich das, was sich alle in Zeiten von Kriegen und Krisen erhofft hatten: Emotionen und Impressionen. Beste Ablenkung von den Alltagssorgen. Im Gegensatz zur WM 2022 kam alles wieder authentischer rüber: Europa lebt Fußball mit tiefer Überzeugung und benutzt ihn nicht so offensichtlich als politisches Vehikel.

Auch der deutsch-türkische Eklat bleibt hängen

Doch wie schmal der Grat ist, zeigte sich immer wieder in den unschönen Episoden, als albanische und serbische Anhänger mit nationalistischen Tönen sowie ungarische, österreichische und deutsche Fans vereinzelt mit rechtsradikalen Parolen aus der Rolle fielen. Nichts hat aber so weite Kreise gezogen, wie die Verwerfungen beim Achtelfinale zwischen der Türkei gegen Österreich. Auf einmal jubelte Doppeltorschütze Merih Demiral mit dem „Wolfsgruß“. Innenministerin Nancy Faeser meldete sich - und fertig war der deutsch-türkische Eklat.

Prompt reiste der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Viertelfinale nach Berlin. Dass das türkische Team sich an jenem Tag verabschiedete, ersparte dem Turnier weitere Kontroversen.

Der vor der EM 2012 in Polen und der Ukrainer mit noch ganz anderen Problemen konfrontierte Kallen sprach bei einer Ehrung der Volunteers dennoch von einer gelungenen EM. Denn: „Die Fans kommen, um zu feiern und eine schöne Zeit zu haben. Es wäre super, wenn sich das im Fußball so weiterentwickeln würde.“ Das ist die Hoffnung, die als Vermächtnis bleibt. Mehr geht heutzutage nicht mehr.

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