Mannheim. Ein bisschen Angeln, ein bisschen Eishockey-WM verfolgen. Bill Stewart ist mittlerweile zwar zurück in seiner Heimat Toronto und versucht, abzuschalten. Der Sport lässt den Kanadier allerdings nicht los. „Ich halte mich auf dem Laufenden, schließlich sind bei der WM in Helsinki einige unserer Jungs dabei. Bis jetzt schlagen sie sich gut“, sagt Stewart, der auch in der nächsten Saison die Adler Mannheim in der Deutschen Eishockey Liga trainieren wird. Im Interview gibt er einen Überblick über den Stand der Personalplanungen. In Abwehr und Angriff ist jeweils noch eine Stelle offen.
Bill, nach dem Aus im entscheidenden fünften Halbfinalspiel gegen Berlin haben Sie erklärt, dass Sie noch etwas zu sagen haben. Dann schießen Sie mal los.
Bill Stewart: Wir haben uns in den engen Spielen die Aufmerksamkeit der Eisbären Berlin erkämpft. Es war eine gute Serie, es wäre aber noch schöner gewesen, wenn ich mit meinem Team etwas mehr Zeit gehabt hätte. Wir sind von Tag zu Tag besser geworden und zu einer Mannschaft zusammengewachsen.
Sie haben betont, dass bei Ihnen das Coaching-Virus zurück ist - wie kam das?
Stewart: Das hat sich eigentlich bereits abgezeichnet, als ich im Februar 2021 unseren Kooperationspartner Heilbronner Falken in der DEL2 kurzfristig übernommen habe. Ich habe einfach gemerkt, dass ich das alles sehr vermisst habe. Ich habe danach abgewartet und war bei den Adlern da, als sie mich gebraucht haben. Ich hatte mit der Mannschaft eine sehr gute Zeit, und auch die Zusammenarbeit mit meinen Co-Trainern Marcel Goc und Jochen Hecht hat super funktioniert.
Andere Menschen in Ihrem Alter planen ihren Ruhestand. Warum ist das bei Ihnen anders?
Stewart (lacht): Manchmal betrachtet man die Dinge anders, wenn man einen Schritt zurückgeht. Ich habe das Scouting zwar sehr gemocht, das Coaching habe ich aber zu sehr vermisst. Ich wollte einfach wieder ein Teil davon sein.
Was haben Sie am meisten vermisst?
Stewart: Ich wollte wieder nah an der Mannschaft dran sein und die Herausforderung spüren. Es ist eine große Aufgabe, ein Team von nirgendwo zu einem Ziel zu führen. Ich habe im vergangenen Jahr diese Erfahrung in Heilbronn gemacht und habe noch nicht genug davon.
Hält Sie diese Arbeit mit jungen Menschen jung?
Stewart: Sie gibt mir auf jeden Fall viel Energie. Am engsten mit dem Sport verbunden bist du als Spieler - oder eben als Trainer. Das ist ein Gefühl, das mich erfüllt.
Nach dem Saison-Aus gab es ein Gespräch mit Adler-Gesellschafter Daniel Hopp, danach wurden Sie zum Cheftrainer für die kommende Saison ernannt. Wie ist dieses Meeting verlaufen?
Stewart: Daniel und ich haben uns gleich am Montagmorgen getroffen, nachdem die Saison für uns beendet war. Er hat mich gefragt, was ich nun machen möchte. Ich habe ihn angeschaut und ihm geantwortet: „Die bessere Frage ist, was nicht ich, sondern was du machen willst.“ Wir haben gelacht, dann hat er gesagt, dass alles ziemlich gut gelaufen sei, nachdem ich übernommen hatte. Ich habe geantwortet, dass ich finde, dass es sogar besser gelaufen sei als „ziemlich gut“. Ich bin der Meinung, dass wir das einzige Team waren, über das sich die Berliner ernsthafte Gedanken machen mussten. Als wir im zweiten Halbfinale eine kleine Panikattacke hatten und eine Führung verspielten, haben wir alle Pokerchips auf den Tisch gelegt und von da an richtig hart gespielt. Für diese Opferbereitschaft wurden wir mit zwei Siegen belohnt.
War es Ihr Wunsch, dass Marcel Goc und Jochen Hecht Ihre Co-Trainer bleiben?
Stewart: Absolut! Es hat mir Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Obwohl jeder weiß, wie viel sie für das deutsche Eishockey geleistet haben, sind sie auf dem Boden geblieben und sehr bescheiden. Wenn du Spaß in der Gruppe hast, passieren gute Dinge. Wir haben eine gute Chemie.
Wie wichtig ist eine gute Chemie - nicht nur innerhalb des Trainerteams, sondern auch zwischen den Coaches und den Spielern?
Stewart: Für die Spieler ist es wie ein Atemzug frischer Luft, wenn sie drei Jungs vor sich sehen, die Spaß an dem haben, was sie tun. Das wirkt sich positiv auf die ganze Mannschaft aus. Alle sind mit einer anderen Einstellung aufs Eis gegangen: Sie kamen nicht zur Arbeit, sondern waren gespannt darauf, was wohl als nächstes passieren würde.
Kommen wir zur Mannschaft für die nächste Saison, wie viele Stellen sind noch offen?
Stewart: Zwei, eine in der Abwehr, eine im Sturm. Wir müssen alles dafür tun, um die richtige Entscheidung zu treffen.
Bill Stewart
- Bill Stewart wurde am 6. Oktober 1957 in Toronto geboren.
- Der ehemalige NHL-Spieler begann 1995 seine Trainerkarriere. 2000 kam er zu den Adlern Mannheim, die er gleich in der ersten Saison zum DEL-Titel führte.
- In den Spielzeiten 2017/18 und 2021/22 sprang er als Feuerwehrmann ein und führte die Adler noch ins Halbfinale.
- Der 64-Jährige, der zuletzt als Scout für den Club gearbeitet hatte, geht als Chefcoach in die Saison 2022/23.
Bedeutet das, dass Sie mit dem Duo Arno Tiefensee/Florian Mnich als Back-up für Stammtorhüter Felix Brückmann in die Saison starten?
Stewart: Wir müssen beobachten, ob die beiden diesen Job schon übernehmen können und ihnen jede Chance geben, sich zu zeigen. Ich glaube, es war eine der positiven Überraschungen für die Eisbären Berlin, als Tobias Ancicka bewiesen hat, dass man sich auf ihn verlassen kann. Als Ancicka für Weißwasser in der DEL2 gespielt hat, war er nur ganz okay. Er hat aber einen Schritt nach vorn gemacht, als ihn die Eisbären nach oben berufen haben. Das erwarte ich auch von unseren jungen Leuten.
Welches Anforderungsprofil muss der neue Verteidiger erfüllen, der noch kommen soll?
Stewart: Wir suchen einen Spieler, der sich wie Mark Katic bewegt und von der blauen Linie das Powerplay ankurbelt. Ich finde, wir haben genügend defensiv ausgerichtete Verteidiger. Der neue Mann soll eine offensive Note mitbringen.
Ist es eine Option, dass Markus Hännikäinen die offene Stelle im Angriff erhält?
Stewart: Ich finde, er hat seine Sache bei uns sehr gut gemacht. Ich hatte ihn bereits seit drei Jahren auf dem Schirm, damals hat er für Cleveland in der American Hockey League gespielt. Als mich Axel (Sportmanager Jan-Axel Alavaara, Anm. d. Red.) gefragt hat, was ich von Markus halte, als er auf dem Markt war, habe ich ihm zum Transfer geraten. Es liegt nun in den Händen von Markus, ob er bleiben will. Ich weiß, dass er auch andere Optionen hat.
Gehen Sie bei Ihren Planungen davon aus, dass kein Spieler mehr trotz laufenden Vertrags den Club verlassen möchte? Es gab Gerüchte um Markus Eisenschmid . . .
Stewart: Es gab einen Zeitpunkt in der vergangenen Saison, an dem jeder Spieler zu einem anderen Club wechseln wollte. Markus ist ein toller Spieler. Wir wollen ihn zu dem Spieler zurückbringen, der er in seinem ersten Mannheim-Jahr war. Ich habe Markus im dritten Halbfinale gegen Berlin draußen gelassen, um ihm einen kleinen Push zu geben. Er hat toll reagiert und im vierten Duell mit den Eisbären den Siegtreffer erzielt. Wir leben nicht in einer perfekten Welt. Ich hatte nur 31 Tage mit der Mannschaft. Es war aber inspirierend zu sehen, wo sie stand - und wohin sie sich entwickelt hat.
Befürchten Sie, dass Matthias Plachta nach einer starken WM geht? Teams aus der Schweiz sollen interessiert sein.
Stewart: Auf dem ganzen Transfermarkt hängt einiges davon ab, wie es nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine mit der KHL weitergeht. Es ist möglich, dass einige richtig gute Spieler auf den Markt kommen. Manchmal zahlt es sich aus, geduldig zu bleiben.
Fast jedes Jahr fällt der Name von Marc Michaelis, wenn es um Kandidaten für die Adler geht. Ist der gebürtige Mannheimer eine Option für nächste Saison?
Stewart: Stand jetzt weiß ich es nicht genau. Im Januar habe ich mich mit ihm in Toronto zum Abendessen getroffen, er ist ein sehr netter Junge. Er wollte es auf jeden Fall noch einmal in Nordamerika probieren. Nur die Zeit wird zeigen, ob es für uns eine Möglichkeit gibt.
Wie planen Sie den Sommer?
Stewart: Im Juli werden wir uns treffen, das Trainingscamp bis zum Saisonstart im September ist auf sechs Wochen angesetzt. Wir werden sicherstellen, dass die Jungs in Form kommen, und setzen alles daran, dass es im Vergleich zur vergangenen Saison weniger Verletzungen gibt. Alle werden physisch und mental bestens vorbereitet in die Saison starten. Wir werden jeden mit Respekt behandeln. Es ist ein schmaler Grat zwischen zu harter Arbeit und nicht hart genug zu arbeiten. Wir müssen diese Linie finden. Einerseits müssen die Spieler genug Zeit für ihre Familien haben. Andererseits müssen wir zu 100 Prozent bei der Sache sein, wenn es an die Arbeit geht. 80 Prozent reichen da nicht.
Was bedeutet das Verpassen der Champions Hockey League für die Saisonvorbereitung?
Stewart: Wir werden ein Turnier in Zug spielen. Es ist zwar schade, dass wir die Champions-League-Qualifikation verpasst haben, wir müssen aber positive Konsequenzen daraus ziehen. Wir werden die Zeit nutzen, um unsere Neuzugänge zu integrieren und sicherstellen, dass sich alle hinter einem Ziel versammeln.
Es fällt auf, dass viele Verträge im nächsten Jahr auslaufen - auch die des gesamten Trainerteams. Ist das vielleicht ein Vorteil, weil nun jeder Leistung zeigen muss?
Stewart: Ich hoffe, dass jeder abliefert. Ich beschäftige mich aber nicht so sehr damit, sondern setze alles daran, dass das Umfeld stimmt, dass Werte wie Ehrlichkeit, Vertrauen und Respekt großgeschrieben werden. Wir wollen, dass Spieler wieder nach Mannheim kommen möchten.
Können Sie sich vorstellen, länger als Cheftrainer zu arbeiten?
Stewart: Ich nehme das Jahr für Jahr. Wenn du gute Arbeit lieferst, besteht die Möglichkeit, dass dir gestattet wird, das zu wiederholen. Das ist die größte Herausforderung, die vor uns steht - vor den Spielern, aber auch vor uns Trainern. Alle müssen in der nächsten Saison all-in gehen.
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