Mannheim. Der Handball ist ein Auf und Ab, ein permanenter Ausschlag von Emotionen. Freude, Frust. Jubel, Jammer. Hin und wieder lässt sich ein Spiel sogar auf wenige Sekunden reduzieren, die zwischen Sieg und Niederlage entscheiden und für extreme Gefühlsschwankungen sorgen. So wie am Mittwochabend, als David Móré von den Rhein-Neckar Löwen zehn Sekunden vor dem Abpfiff erst aufmerksam verteidigte und das Siegtor von Frisch Auf Göppingen verhinderte, um dann sieben Sekunden später nach einem fulminanten Sprint selbst den Treffer zum 29:28 (16:15)-Erfolg für seine Mannschaft in der Handball-Bundesliga zu besorgen und in die Rolle des doppelten Helden zu schlüpfen.
„David hat gezeigt, dass er keine Angst hat“
Natürlich sei das ein „cooles Gefühl, den entscheidenden Ball reinzumachen“, sagte der sechsfache Torschütze Móré, der in diesem wilden Spiel zuvor zwei Siebenmeter ausgelassen hatte. Einmal traf er die Latte, einmal den Pfosten. Weshalb es bei so viel Pech wahrlich eine sehr boshafte Pointe des Schicksals gewesen wäre, wenn der Rechtshänder seinen letzten Wurf auch nicht im Tor untergebracht hätte. Denn der Linksaußen machte wirklich ein gutes Spiel. Und es spricht ausschließlich für ihn, für seine Klasse und seine Nerven, dass er unter Druck und nach zwei vergebenen Strafwürfen beim Schlussakt stabil und gelassen blieb.
„David hat gezeigt, dass er vor dem Moment keine Angst hat. Und ich bin mir sicher, dass dieser Augenblick für ihn und seine Karriere wichtig war“, analysierte Spielmacher Juri Knorr gewohnt tiefsinnig. Was aber auch nicht weiter verwundert: Der 24-Jährige weiß aus eigener Erwartung ganz genau, welch einen Karriereschub manch ein Schlüsselerlebnis bringen kann. Selbst in einem stinknormalen Bundesligaspiel. Und am Mittwochabend zeigte Móré letztendlich vor allem auch sich selbst, dass er sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und sich stets auf seine Qualitäten verlassen kann – was für eine bemerkenswerte Reife dieses jungen Kerls und den ausgeprägten Glauben an die eigenen Qualitäten spricht.
Was nicht vergessen werden darf: Móré ist erst 20 Jahre alt. Gefühlt gehört er aber schon seit drei Jahren zum Löwen-Kader, was daran liegt, dass die gefühlte Wahrheit auch der Wirklichkeit entspricht. Bereits im Februar 2022 debütierte der Hochtalentierte in der Bundesliga – und hat seitdem als Mann der Zukunft längst die Gegenwart überlistet. De Zahlen belegen das: Seine Trefferquote aus dem Feld (34 Tore) liegt in dieser Saison bei starken 76 Prozent. Zum Vergleich: Der dänische Weltmeister Emil Jakobsen (70 Prozent) sowie die deutschen Nationalspieler Lukas Mertens (73) und Rune Dahmke (71) müssen sich diesbezüglich hinter ihm anstellen, sein Löwen-Positionskollege Tim Nothdurft (60) ohnehin. Außerdem steht Móré laut HBL-Statistik trotz seines jungen Alters schon bei 66 Bundesligaeinsätzen, knapp 20 Europapokalspiele kommen dazu. Das sagt schon etwas aus.
„David ist extrem schnell, hat ein super Wurfverhalten, ist sehr variabel in seinem Abschluss und für sein Alter schon sehr abgezockt“, zählt Sportchef Uwe Gensheimer die Vorzüge des 20-Jährigen auf. Es sind Worte, die Móré freuen dürften. Denn sie kommen von einem Mann, der genau weiß, wovon er spricht, weil Gensheimer zu seiner aktiven Zeit selbst zu den besten Linksaußen der Welt gehörte. Es ist also ein Lob aus einem berufenem Munde. Und hat deswegen einen gewissen Wert.
Viel Verunsicherung zu spüren
Zur Wahrheit dieses emotionalen Gänsehaut-Abends mit 60 Minuten des Hoffens und Hinfallens, der zwischenzeitlichen Verzweiflung und der finalen Erlösung gehört aber eben auch, dass nicht sonderlich viel fehlte – und keiner hätte über Móré gesprochen, sondern über die nächste Enttäuschung. Nach mehrfacher Chance auf eine Drei-Tore-Führung reihten die Mannheimer billige Ballverluste und abenteuerliche Abspiele nur so aneinander, in Abwesenheit des verletzten Ivan Martinovic erwies sich dessen Vertreter Jon Lindenchrone erneut als leichtsinniger und unberechenbarer Unsicherheitsfaktor.
Nicht umsonst setzte Trainer Sebastian Hinze deshalb in der Schlussphase auf den Rechtshänder Olle Forsell Schefvert auf der für den Spieler ungewohnten halbrechten Position. Aber der Schwede ist eben ballsicher – und leistet sich keine Fehler. Was schon reichte, um in einem Spiel auf niedrigem Niveau nach einem 0:4-Lauf zum 17:19 (38.) nicht plötzlich unterzugehen. Denn auch Frisch Auf war nicht frei von Fehlern, weshalb es letztendlich nur noch darum ging, weniger falsch zu machen als der Gegner. Oder anders ausgedrückt: Es stellte sich nicht mehr die Frage, welche Mannschaft der anderen etwas nimmt, sondern welche Mannschaft der anderen wie viel schenkt. Zu sehen in der letzten Sequenz, als Göppingen mit einem misslungenen Kempa-Anspiel den Siegtreffer der Löwen über Móré erst ermöglichte.
Móré ist „froh, das erlebt zu haben“
„Ein bisschen Glück“ sei letztendlich auch dabei gewesen, gab der Torschütze zu. Keine Frage: Die 25:36-Klatsche vom vergangenen Samstag beim VfL Gummersbach wirkte spürbar nach. Entsprechend sprach Hinze auch von „Verunsicherung“ und einer „Blockade“, die sein Team nicht gelöst bekommen habe. Und trotzdem beendete seine Mannschaft das Spiel mit einem Erfolgserlebnis, was „etwas auslösen“ könne, mutmaßte der Trainer: „Genauso wie die Niederlage in Gummersbach etwas mit uns gemacht hat.“
Insofern könnte der knappe und eigentlich nicht mehr für möglich gehaltene Sieg über Göppingen trotz langer Zeit bedenklicher Leistung doch noch etwas Gutes haben. Mal ganz abgesehen davon, dass das für Móré ohnehin schon gilt: „Ich bin froh, das erlebt zu haben.“ Man kann ihn verstehen.
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