Mannheim. Der Rummel um ihn ebbt ein wenig ab, was Juri Knorr vermutlich ganz recht sein dürfte. Denn was da seit seinem Länderspieldebüt vor 18 Monaten auf ihn einprasselt, erlebt manch ein Handballer noch nicht einmal in seiner gesamten Laufbahn. Und Knorr ist erst 21 Jahre alt.
Bei den WM-Play-offs der deutschen Nationalmannschaft am Mittwoch (18.15 Uhr, live bei Sport1) in Kiel und am Samstag (20 Uhr) in Torshavn gegen Außenseiter Färöer gehört der gebürtige Flensburger zum Kader der deutschen Nationalmannschaft. Oder besser gesagt: Er gehört wieder dazu. Denn die EM im Januar verpasste der Spielmacher von den Rhein-Neckar Löwen wegen einer fehlenden Corona-Impfung, was eine Nominierung schon grundsätzlich ausschloss.
Gewohnt wortgewaltig machte aber Bob Hanning - bis zum Herbst 2021 Vize-Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB), seitdem aber ohne Amt beim Verband - noch etwas anderes zum Thema: „Mit der gezeigten Leistung in dieser Saison gehört Juri auch nicht in die Nationalmannschaft.“ Einigen Funktionären beim DHB missfiel die Deutlichkeit dieser Aussage. Inhaltlich entsprach sie aber durchaus der Wahrheit. Denn der fehlerhaft agierende Knorr vom Winter 2021 hatte nur noch wenig mit dem fulminanten auftrumpfenden Knorr vom Winter 2020 zu tun.
Ein eigentlich genialer Geist
Es holperte nach seinem Wechsel im Sommer 2021 vom Abstiegskandidaten GWD Minden zu den Löwen. Plötzlich stand der Rechtshänder in der Kritik, was für einen wie ihn, für den es bislang immer nur bergauf ging, eine ganz neue Erfahrung war. Der eigentlich geniale Geist merkte selbst, dass er seine Leichtigkeit, sein Selbstverständnis verloren hatte. Dabei kann er sich doch normalerweise in „einen Rausch spielen“, wie sein Club- und Nationalmannschaftskollege Joel Birlehm betont. Stattdessen hing der Regisseur aber Ende des vergangenen Jahres in einer Abwärtsspirale fest.
Juri Knorr– Hoffnungsträger mit prominentem Vater
- Juri Knorr wurde am 9. Mai 2000 in Flensburg geboren.
- Er ist der Sohn des ehemaligen Handball-Bundesligaspielers Thomas Knorr, der in 83 Länderspielen für Deutschland 199 Treffer erzielte.
- In seiner Jugendzeit wurde Juri Knorr besonders von seinem Vater als Trainer beim VfL Bad Schwartau und beim MTV Lübeck geprägt. Als 17-Jähriger ging er zum Oberligisten HSG Ostsee und wurde dort ebenfalls von seinem Vater trainiert. Der Verein stieg in die 3. Liga auf, doch Juri Knorr nahm im Sommer 2018 ein Angebot des FC Barcelona an.
- Beim katalanischen Traditionsverein blieb er ein Jahr und wurde meistens in der zweiten Mannschaft eingesetzt. Er spielte und trainierte aber auch bei den Profis. Insgesamt kam er in einem Jahr auf sechs Erstligaeinsätze in Spanien, dann verließ der Mittelmann den Club aber wieder.
- Der Bundesligist GWD Minden gab dem Rechtshänder im Sommer 2019 die Möglichkeit, sich im deutschen Oberhaus zu bewähren. Knorr setzte sich bei den Ostwestfalen schnell durch und avancierte zur Stammkraft, die im Abstiegskampf Verantwortung übernahm.
- Bundestrainer Alfred Gislason belohnte Knorrs Leistungen und nominierte ihn im November 2020 erstmals für die Nationalmannschaft, mit der der Spielmacher 2021 an der WM und an den Olympischen Spielen teilnahm.
- Im Sommer 2021 wechselte Knorr zum Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen. Die EM 2022 verpasste er wegen einer fehlenden Corona-Impfung.
„Hinter mir liegt eine schwierige Phase“, sagt Knorr, der immer die höchsten Ansprüche an sich selbst hat, sich viele Gedanken macht. Um sich. Um sein Team. Das ist erst einmal nichts Schlechtes, sondern eher lobenswert - in seinem Fall aber auch ein Teil des Problems gewesen. Mit jedem Fehler und jeder Niederlage dachte der Rückraummann immer mehr nach. Selbst die ganz leichten Dinge gingen ihm ganz plötzlich ganz schwer von der Hand. Zudem fühlte er sich für viele Sachen verantwortlich, die schlecht bei den Löwen liefen - was in dieser Saison wiederum eine Menge ist und in den vergangenen Monaten einfach zu viel für den 21-Jährigen war.
Doch nun versucht er, sein „Ding zu machen“ und mehr auf sich zu schauen. Fehler werfen ihn nicht mehr so schnell aus der Bahn: „Es bringt niemandem etwas, wenn ich einfach aufhöre zu spielen. Ich weiß jetzt, dass es zu noch weniger führt, wenn ich mir zu viele Gedanken mache. Entweder funktioniert das, was ich tue, oder eben nicht.“ In den vergangenen Wochen funktionierte es immer besser. Und vor allem häufiger. Was auch Alfred Gislason aufgefallen ist.
Lob vom Bundestrainer
Der Bundestrainer nominierte Knorr zuletzt für die Länderspiele im März gegen Ungarn nach, in denen der Löwe prompt einen guten Eindruck hinterließ. Jetzt bildet der Ex-Mindener zusammen mit dem Leipziger Luca Witzke in den WM-Play-offs das Spielmacher-Gespann. Der lange gesetzte Philipp Weber ist erst einmal außen vor.
„Juri und Luca haben sich gut präsentiert und einen Vorteil“, sagt Gislason und freut sich über die großen Spielanteile, die sich Knorr zuletzt bei den Rhein-Neckar Löwen erarbeitete. Sein dortiger Trainer Ljubomir Vranjes ist seit Januar im Amt und machte von Beginn an deutlich, dass gute Trainingsleistungen mit Einsatzzeit belohnt werden. Knorr trainierte gut und spielt seit einigen Wochen viel. Allerdings hauptsächlich auf der Halbposition, weil auf der Mitte meistens noch der Schweizer Andy Schmid glänzt. Doch der fünfmalige Bundesliga-MVP geht im Sommer zurück in seine Heimat - und dann soll Knorr endgültig den Schmid-Job als Motor der Spektakelmaschine übernehmen.
„Juri ist jung. Und er macht echt noch Fehler, die ich nicht mag“, sieht Vranjes Verbesserungsmöglichkeiten, was bei einem 21-Jährigen aber auch nicht ungewöhnlich ist. Entsprechend übt sich sein Club-Trainer in Nachsicht und betont, dass „Juri aber auch super Dinge macht, die ich mag“. Und die nur wenige beherrschen. Er ist eben ein Hochbegabter, von dem schlichtweg sehr viel erwartet wird. Hin und wieder wahrscheinlich sogar zu viel.
Heilsbringer? Das ist „unfair“
Nach seinem ersten Einsatz im DHB-Dress im November 2020 sprach Gislason vom „Beginn einer sehr wichtigen Länderspielkarriere für den deutschen Handball“. Knorr spielte danach erst die WM 2021 und auch die Olympischen Spiele. Er wurde plötzlich nicht nur zum Hoffnungsträger einer nach Erfolgen gierenden großen Handball-Nation, sondern sogar zum Erlöser in der Krise hochstilisiert. Sein Club-Kollege Schmid fand es schon im Sommer 2021 „unfair, Juri jetzt zum Heilsbringer des deutschen Handballs zu machen. Nur weil sich die Nation seit Jahren nach einem außergewöhnlichen Spielmacher sehnt und die Notwendigkeit auch so groß ist, muss man Juri nicht mit Erwartungen überfrachten.“
Knorr selbst war der damalige Hype ohnehin zu viel, „einfach drüber“ sei teilweise die Berichterstattung gewesen. Weil der 21-Jährige wusste, dass er noch nicht so gut ist, wie er gemacht wurde - und dass vielleicht irgendwann auch mal ein Karriereknick kommen wird. Nur dass ihn dieses Schicksal so schnell ereilt, hätte er vermutlich nicht gedacht.
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