Handball

Europas Handball-Boss: „Wir sind froh, so weit gekommen zu sein“

Von 
Marc Stevermüer
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Präsident der EHF: Michael Wiederer. © imago

Mannheim. Reisen kreuz und quer über den Kontinent – und das mitten in der Pandemie. Mit viel Skepsis starteten die Europapokal-Spiele im Spätsommer 2020. Michael Wiederer, Präsident der Europäischen Handballföderation (EHF), ist glücklich über den Verlauf der Wettbewerbe und plant eine Europameisterschaft 2022 mit Zuschauern.

Herr Wiederer, Sie haben vor der Saison die Wettbewerbe reformiert: Weniger Mannschaften in der Champions League, dafür mehr gute Teams in der European League. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Michael Wiederer: Natürlich ist der Umbauprozess der Wettbewerbe sowohl für die EHF als auch für Clubs von der Pandemie geprägt gewesen. Es war für alle Beteiligten eine Extremsituation, weil sich die Corona-Lage in unterschiedlichen europäischen Ländern unterschiedlich entwickelt hat. Auch die Einreisebestimmungen waren nicht überall gleich oder haben sich je nach Infektionsgeschehen verändert. In Deutschland galten teilweise unterschiedliche Regeln von Bundesland zu Bundesland. Alle mussten deshalb Lösungen für ständig wechselnde Situationen finden – und ich finde, dass uns das gut gelungen ist und dass alle Teilnehmer an der Champions League und an der European League sehr kooperativ und verständnisvoll mit dem Thema umgegangen.

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Wie fällt Ihr sportliches Fazit bis hierhin aus?

Wiederer: Ich muss ganz ehrlich sagen: Unter diesen speziellen Bedingungen fällt es mir schwer, die Wettbewerbe unter strengen und rein sportlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Für uns war wichtig, dass gespielt wurde. Und wir sind froh, dass wir so weit gekommen sind. Es sind nur sehr wenige Spiele ausgefallen. Das ist keine Selbstverständlichkeit.

Die EHF hatte sich eine Aufwertung der European League erhofft, der Vorgänger-Wettbewerb wurde von deutschen Vereinen dominiert. Nun stehen aber wieder drei Bundesligisten im Halbfinale.

Wiederer: Das überrascht mich nicht. Die Bundesliga ist die stärkste Liga der Welt. Vor allem in der Breite. Und rein qualitativ gibt es in Deutschland mehr als die vorgesehenen zwei Teams, die in der Champions League spielen könnten. Schauen wir uns die Rhein-Neckar Löwen, die Füchse Berlin und den SC Magdeburg an. Wenn ich mir die Spieler in diesen Mannschaften ansehe, wären das neben dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt drei weitere Clubs, die aufgrund ihres sportlichen Niveaus in der Champions League spielen könnten. Das ist ein wenig so wie die englische Premier League im Fußball. Da könnten nicht nur vier Teams, sondern auch die ersten Sechs locker in der Champions League mitspielen.

Warum geben Sie der Bundesliga dann nicht einfach mehr Startplätze in der Champions League?

Wiederer: Sportlich wären die Löwen, Berlin oder Magdeburg eine Bereicherung, da müssen wir nicht drüber reden. Aber würde denn eine Champions League im Fußball mit sechs englischen Vereinen dem Produkt guttun? Ich glaube nicht. Es ist eine ewige Herausforderung für die europäische Fußball-Union UEFA, mit dem Druck der großen Clubs, den Erwartungen der starken Ligen und der Rücksicht auf kleinere Nationalverbände umzugehen. Das ist ebenso ein Balanceakt wie bei uns. Wir haben 16 Teilnehmer an der Champions League. Und wir können nicht ein Viertel der Startplätze an Deutschland vergeben.

Warum nicht?

Wiederer: Als EHF müssen wir den Handball in ganz Europa im Blick haben. Und am Ende geht es – und das gebe ich gerne ehrlich zu – auch darum, sich nicht unnötig zu verengen und andere Märkte von vornherein auszuschließen. Denn wenn wir eine dritte oder vierte deutsche Mannschaft dazunehmen würden, müssten wir eine andere Nation vermutlich komplett aus der Champions League ausschließen.

Wie ließe sich dieses Dilemma ändern?

Wiederer: Mehr deutsche Starter in der Champions League kann es nur geben, wenn wir den Wettbewerb vergrößern und ihn mit mehr Mannschaften spielen. Wir wissen aber aus der Vergangenheit, zu welchen Problemen das führt. Dann gäbe es wieder Schwierigkeiten, überhaupt ausreichend Spieltermine zu finden. Gerade auch mit Blick auf die deutsche Bundesliga. Trotzdem beschäftigen wir uns jedes Jahr mit der Frage, wie viele Mannschaften aus einer Nation in einem Wettbewerb Sinn machen.

Im Fußball kam – wenn auch nur kurz – das Thema Super League außerhalb des Verantwortungs- und Organisationsbereichs der UEFA auf. Im Handball wurde das vor einigen Jahren auch schon mal diskutiert. Fürchten Sie dieses Szenario?

Wiederer: Es gab dieses Thema. Mal mehr, mal weniger seriös. Ich halte eine Super League im Handball für ausgeschlossen.

Warum?

Wiederer: Wir befinden uns mit allen Spitzenclubs in einem guten und offenen Austausch. Und ich bin mir sicher: Wenn Sie die Club-Vertreter fragen, werden sie das bestätigen. Es herrscht eine große Einigkeit darüber, dass die momentane Konstellation die richtige für die Vereine und auch die Nationalmannschaften ist. Alle Clubs wissen um die Bedeutung der Nationalmannschaften, die sind nun mal die Zugpferde.

Woher kommt diese Einigkeit?

Wiederer: Wir haben von anderen Sportarten gelernt. Was im Basketball mit der Gründung der Euroleague passiert ist, war uns eine Lektion. Da wurden viele strategische Fehler gemacht und jetzt gibt es im Basketball unterschiedliche europäische Wettbewerbe von unterschiedlichen Veranstaltern. Ich glaube nicht, dass irgendjemand mit dieser Konstellation glücklich ist – mit Ausnahme derer, die damit ihr Geld verdienen.

Schauen wir uns den europäischen Handball an: Das Aushängeschild FC Barcelona wackelt angesichts der Milliardenschulden des Gesamtvereins, Paris Saint-Germain reduziert seinen Etat. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Wiederer: Nein. Im Zweifel werden wir andere Clubs an der europäischen Spitze sehen, ohne dass ich jetzt näher auf die Gerüchte rund um Barcelona oder Paris eingehen möchte. Grundsätzlich glaube ich, dass viele Vereine nach der Pandemie ihre Etats senken müssen. Jeder Club muss dann für sich entscheiden, was für ihn die richtige Balance ist. Gerade auch bei den Spielergehältern. Mit der Rückkehr der Zuschauer wird es aber auch wieder Einnahmen geben und sich das Bild verändern.

Dennoch: Paris und Barcelona sind zwei Aushängeschilder, die der europäische Handball braucht, oder?

Wiederer: Die Vereine sind wichtig, keine Frage. Aber europäisch gesehen sind wir in der Spitze deutlich besser aufgestellt, als wir das schon einmal waren.

Im Fußball bekommt der Sieger der Europa League einen Startplatz in der Champions League. Ist das auch für den Handball ein denkbares Modell?

Wiederer: Als wir die European League gegründet haben, ist dieses Thema mit den Vereinen diskutiert worden. Wir haben vereinbart, dass wir im zweiten Jahr der European League eine Analyse vornehmen und im dritten Jahr eine Entscheidung getroffen wird, wie wir mit diesem Thema künftig umgehen.

Das heißt, der Sieger der European League 2021 kann sich keine Hoffnung auf eine Teilnahme an der Champions League in der nächsten Saison machen?

Wiederer: Wenn er sich über die Liga qualifiziert, dann schon.

In Deutschland wären das also der Meister und der Vize-Meister?

Wiederer: Deutschland hat aktuell zwei Startplätze. Wir verfolgen die Linie, dass die nationale Meisterschaft die Grundlage für eine Teilnahme an der Champions League ist. Wenn also der Tabellensiebte aus Deutschland die European League gewinnt und anstelle des Vize-Meisters in die Champions League einzieht, wird das wahrscheinlich schon in Deutschland schwer zu vermitteln sein. Aber wie gesagt: Diese Strategie verfolgen wir momentan ohnehin nicht.

Wie zufrieden sind Sie mit der TV-Präsenz des europäischen Handballs in Deutschland?

Wiederer: Ich fange mit dem guten Teil an. Wir haben seit einigen Jahren bei der Männer-Nationalmannschaft eine starke Präsenz in den öffentlich-rechtlichen Kanälen mit einer riesigen Reichweite. Wir hatten viele Jahre auch bei den Frauen eine gute Präsenz. Die haben wir nicht mehr und die müssen wir uns wieder erarbeiten. Und was die europäischen Clubwettbewerbe angeht, stehen wir dort, wo der gesamte Sport sich außerhalb des Fußballs bewegt. Wir arbeiten aber daran, eine stärkere Präsenz zu erreichen und haben zwei Aufgaben: Wir müssen uns auf der Plattform unseres Partners DAZN entwickeln. Zweitens: Wir müssen versuchen, auch auf anderen Kanälen erfolgreich zu sein.

Funktioniert Handball in der öffentlichen Wahrnehmung ohnehin nicht nur über die Nationalteams?

Wiederer: In vielen Nationen, insbesondere auch in Deutschland, ist die Nationalmannschaft das Zugpferd der Sportart. In Deutschland existiert ein gelebtes Verständnis für die Nationalmannschaft, gerade auch bei den Turnieren. Aber wir wollen uns auch mit dem Club-Handball natürlich so entwickeln, dass die Spiele eines Bundesligisten in der Champions League vom Interesse zumindest näher an die Nationalmannschaft heranrücken. Das ist aber ein sehr schwieriger Prozess, an dem wir, die Liga und die Clubs lange arbeiten müssen.

Sie sind der Vertreter der europäischen Handball-Interessen, zuletzt machten vermehrt Nationen wie Argentinien, Brasilien und Ägypten auf sich aufmerksam. Wie bewerten Sie das?

Wiederer: Diese Entwicklung ist wichtig für den Sport, vor allem für den internationalen Marktwert des Handballs. Denn so lange wir ein europäisch geprägter Sport sind, bleiben auch die Vermarktungsmöglichkeiten limitiert. Viele internationale Konzerne sitzen nicht in Europa. Ich begrüße deshalb die Entwicklung auf den anderen Kontinenten. Es war ein sehr wichtiger Schritt, die Weltmeisterschaft auf 32 Mannschaften zu erweitern.

Weil Handball so europäisch geprägt ist, wird immer wieder über den Olympia-Status diskutiert. Machen Sie sich diesbezüglich Sorgen?

Wiederer: Wir müssen nicht mehr und nicht weniger um diesen Status bangen als viele andere Sportarten auch. Wir haben bei den Olympischen Spielen in Rio vor fünf Jahren ein hohes Interesse geweckt. Aber auch hier geht es um Internationalisierung. Der Weltverband bemüht sich um mehr Startplätze für andere Kontinente, das würde auf Kosten von Europa gehen. Sie sehen also, auch hier geht es um eine Balance, um verschiedene Interessen im Sinne des Produkts und eine mögliche Verengung auf wenige Märkte.

Im Januar steht eine Europameisterschaft in der Slowakei und in Ungarn an. Planen Sie das Turnier mit Zuschauern?

Wiederer: Ohne Wenn und Aber: Ja! Wir sind davon überzeugt, dass wir die EM mit Zuschauern spielen können. Natürlich macht es jetzt noch keinen Sinn, über Details zu sprechen. Weil wir wissen, dass sich Dinge ändern können und wir erst im Herbst ernsthaft mit den Behörden erörtern können, was möglich ist und was nicht. Aber wir planen diese EM mit Fans. Wir haben Ende Mai das Final Four der Champions League der Frauen in Budapest. Und dort werden wir eine 50-Prozent-Auslastung in der Halle mit geimpften oder von Corona genesenen Menschen haben. Diese Veranstaltung wird eine interessante und wichtige Erfahrung für uns auf dem Weg zur EM sein.

Schauen wir noch ein Turnier weiter. Die Europameisterschaft 2024 in Deutschland wird etwas Besonderes, weil . . .

Wiederer: . . . wir dort die besten Hallen und das begeisterungsfähigste Handballpublikum in Europa haben. Das ist in der Summe das Beste, was es in Europa gibt. Das zeigt sich jedes Jahr beim Final Four der Champions League in Köln. Ich gehe davon aus, dass die Europameisterschaft 2024 von zentraler Bedeutung für den Stellenwert und die Zukunft des europäischen Handballs sein wird.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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