Mannheim. Andy, erstmals seit gefühlten 25 Jahren verlief der Sommer ohne Saisonvorbereitung für Sie. War’s langweilig?
Andy Schmid (lacht): Nein, es war schön. Ich habe es genossen, nicht mehr trainieren zu müssen. Auch das Spiel an sich fehlt mir nicht. Ich spüre, dass ich körperlich abgebaut habe, ich trage nicht mehr dieses Spitzensportlergefühl in mir. Das ging wirklich schnell. Trotzdem hatte ich viel zu tun, um den Handball in der Schweiz voranzutreiben.
Sie sind seit einem halben Jahr Nationaltrainer. Wie fühlt sich der Perspektivwechsel an?
Schmid: Es ist spannend. Ich fühle mich richtig gut in diesem Job, habe mich da reingearbeitet. Wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich sogar so an, als ob ich schon viel länger als Trainer arbeite.
Weil Sie auch schon als Spieler wie ein Trainer gedacht haben?
Schmid: Ja, das auch. Und weil ich mich auf diese Karriere vorbereitet habe. Ich habe schon länger gewusst, dass ich genau das machen möchte. Ich gehe in dieser Arbeit auf, sie macht mir großen Spaß.
Als Nationaltrainer ist Ihre Zeit mit der Mannschaft aber begrenzt.
Schmid: Und das ist meine größte Schwierigkeit. Damit habe ich zu kämpfen. Ich habe so viele Ideen und merke auch, dass ich etwas bewegen kann. Ich sehe das, aber ich kann gar nicht alles umsetzen. Andererseits bietet der Job auch Vorteile. Ich stehe ganz am Anfang meiner Trainerkarriere, habe zwischen den Lehrgängen meine Freiheiten und kann mich weiterbilden.
Was konkret haben Sie vor?
Schmid: Ich werde im Oktober mal nach Eisenach gehen und schauen, wie Misha Kaufmann dort arbeitet. Es ist beeindruckend, was er dort leistet. In Aalborg werde ich Maik Machulla besuchen, in Magdeburg werde ich mir ansehen, was Bennet Wiegert macht. Und ich habe mir fest vorgenommen, auch bei einem Fußballclub reinzuschauen. Das ist der große Vorteil an meinem Job. Ich bin raus aus dem Tagesgeschäft und habe die Möglichkeit, meinen Horizont zu erweitern.
Das klingt sehr klug.
Schmid: Ich bilde mir nicht ein, dass ich alles weiß. Das kann ich gar nicht. Deswegen wird es mir helfen, wenn ich hier und da einen Einblick gewinne – selbst wenn es nur Kleinigkeiten sind. Aber klar ist auch: Ich werde niemanden kopieren, sondern meinen eigenen Weg als Trainer gehen.
Wenn wir schon beim Thema Nationalmannschaft sind: Die deutsche Auswahl hat gerade Olympia-Silber gewonnen…
Schmid: …und ein beeindruckendes Turnier gespielt. In drei, vier Partien haben sie wirklich auf einem allerhöchsten Toplevel agiert.
Im Optimalfall werden die Löwen Vierter
Nähern wird uns der Bundesliga. Vier Spieler der Rhein-Neckar Löwen gewannen mit den Deutschen Olympia-Silber. Also haben die Löwen eine Topmannschaft und spielen ganz oben mit.
Schmid: Guter Versuch, nette Provokation (lacht). Aber wir kennen uns zu lange. In diese Falle tappe ich nicht.
Schade. Dann versuche ich es nicht mit einer steilen These, sondern einer einfachen Frage. Was trauen Sie Ihrem Ex-Club zu?
Schmid: Die Löwen werden besser sein als in der vergangenen Saison (Platz zwölf: Anmerkung der Redaktion). Sie werden sogar deutlich besser sein. Schauen wir uns die erste Sieben an. Die ist wirklich top. Wenn die Jungs alle gesund bleiben, kann es weit nach oben gehen. Denn es fehlt auch die internationale Belastung. Zudem ist die Erwartungshaltung eher klein. Da lässt es sich einfacher spielen als mit Platz fünf und einem Pokalsieg im Rücken.
Bedeutet also konkret?
Schmid: Realistisch sind die Ränge fünf bis sieben. Im Optimalfall werden die Löwen sogar Vierter.
Jetzt stellen Sie aber eine steile These auf. Wer aus dem etablierten Spitzenquartett SC Magdeburg, SG Flensburg-Handewitt, THW Kiel und Füchse Berlin wird ihrer Meinung nach also Probleme bekommen?
Schmid: Für die Berliner wird es eine schwierige Saison, obwohl sie mit Mathias Gidsel den besten Spieler der Welt in ihren Reihen und ein funktionierendes Konzept haben. Die Mannschaft hat in der vergangenen Saison am absoluten Leistungsmaximum gespielt und beeindruckt. Mit Blick auf die immense Belastung in der Champions League ist der Kader aber zu klein. Und letztendlich hängt auch zu viel von wenigen Spielern ab. Mathias Gidsel, Lasse Andersson, Mijajlo Marsenic und Dejan Milosavljev – wenn nur einer von denen ausfällt, verlieren die Füchse deutlich an Qualität.
Noch einmal kurz zurück zu den Löwen. Im Sommer 2025 verlieren die Mannheimer Juri Knorr. Das Ziel bleibt aber die Rückkehr in die Bundesliga-Spitzengruppe. Was muss passieren, damit das gelingt?
Schmid: Es wird ganz wichtig sein, Spieler wie David Späth, Ivan Martinovic oder Sebastian Heymann über längere Zeit zu behalten, damit sich etwas entwickelt. Und die Löwen werden auch noch den einen oder anderen internationalen Topspieler verpflichten müssen, wenn sie es ernst mit ihren Zielen meinen.
Ihr Schweizer Nationalspieler Manuel Zehnder wird schon mal nicht Knorr-Nachfolger bei den Löwen. Er geht zum SC Magdeburg. Da dürfte sich der Trainer Schmid freuen, dass einer seiner Spieler nun in der Champions League am Ball ist.
Schmid: Erst einmal bin ich froh, dass er überhaupt spielen darf und sein Rechtsstreit mit dem HC Erlangen beigelegt ist. Denn das war ehrlich gesagt meine größte Sorge. Ich wünsche ihm, dass er in Magdeburg sofort funktioniert und seine Stärken einbringt.
Auch Ihr Torwart Nikola Portner spielt in Magdeburg. Fürchten Sie nach der Crystal-Meth-Affäre und dem Freispruch durch die Bundesliga noch Konsequenzen für ihn, nachdem die Nationale Anti-Doping-Agentur Deutschland (NADA) Rechtsmittel gegen diese Entscheidung beim internationalen Sportschiedsgericht CAS eingelegt hat?
Schmid: Die Handball-Bundesliga hat Nikola Portner freigesprochen. Der Fall wurde genau untersucht und Nikola hat alles getan, um seine Unschuld zu beweisen. Der Freispruch war logisch und ein Freispruch ist nun mal ein Freispruch. Da finde ich es ehrlich gesagt ein wenig befremdlich, wenn die NADA das jetzt ganz anders sieht. Ich habe ohnehin immer gesagt, dass ich Nikola glaube. Und zu dem Ergebnis sind auch alle anderen Ermittlungen und Untersuchungen gekommen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass sich dieses Thema erledigen und Nikola nicht noch gesperrt wird.
Andy Schmid – eine Löwen-Legende und ein Bundesliga-Star
Andy Schmid wurde am 30. August 1983 im schweizerischen Horgen geboren. Er ist mit der Norwegerin Therese verheiratet. Das Paar hat zwei gemeinsame Söhne.
Der Weltklasse-Mittelmann spielte von 2010 bis 2022 für die Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Bundesliga und wechselte im Anschluss in seine Heimat zum HC Kriens-Luzern.
In den Jahren 2014 bis 2018 wurde Schmid jeweils zum besten Bundesliga-Spieler der Saison gewählt.
Der Schweizer hat mit den Löwen in den Jahren 2016 und 2017 die Meisterschaft sowie 2013 den EHF-Pokal und 2018 den DHB-Pokal gewonnen. Hinzu kommen drei Erfolge im Supercup – 2016, 2017, und 2018.
Mit dem HC Kriens-Luzern holte er 2023 den Pokalsieg in der Schweiz.
Im Januar beendete der Spielmacher seine aktive Karriere und wurde Schweizer Handball-Nationaltrainer.
Der Berliner Geschäftsführer Bob Hanning sagte, der SC Magdeburg sei aufgrund seiner Dominanz der neue THW Kiel. Ist das so?
Schmid: Wenn ich sehe, was der THW in seinen besten Jahren für eine Mannschaft hatte, dann besteht da ein Unterschied. Kiel war Serienmeister, hat den Titel ohne Minuspunkt geholt. Das ist noch einmal etwas anderes. Und trotzdem: Was der SC Magdeburg aus sich gemacht hat, verdient allerhöchsten Respekt. Sportlich und wirtschaftlich ist der Verein extrem gewachsen.
Wird der SCM auch wieder Meister?
Schmid: Flensburg und Magdeburg machen den Titel unter sich aus.
Es kann nur einen geben. Und das ist keine Provokation.
Schmid (lacht): Wenn ich mich festlegen muss, dann Flensburg. Magdeburg wird den Ausfall von Felix Claar zu spüren bekommen. Und Flensburg hat schon einen brutalen Kader.
Also wieder keine Meisterschaft für den THW Kiel? Immerhin kommt Nationaltorwart Andreas Wolff.
Schmid: Mit der Verpflichtung hat der THW ein Statement gesetzt. Dieser Transfer ist geil für die Bundesliga. Und dieser Transfer ist geil für Kiel. Ich glaube, dass Andi Wolff noch eine kleinere Rechnung mit seinem ersten Kieler Kapitel offen hat. Das lief damals nicht so, wie er sich das vorgestellt hat.
Ich höre ein „Aber“ heraus:
Schmid: Die Verpflichtung von Wolff ist aus Kieler Sicht ein Zeichen der Stärke. Aber dieser Transfer zeigt eben auch, dass die Kieler gemerkt haben, dass sie etwas tun müssen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Wenn sie wieder nach ganz oben wollen, wird der THW in den nächsten Jahren noch zwei, drei Toptransfers tätigen müssen, um Domagoj Duvnjak oder Patrick Wiencek perspektivisch zu ersetzen.
Blicken wir kurz in den Abstiegskampf. Bleibt Eisenach wieder drin?
Schmid: Ja.
Weil die Aufsteiger Potsdam und Bietigheim zu schlecht sind?
Schmid: Nein, sondern weil die Eisenacher ein System haben, das sie durchziehen und an das sie glauben. Das ist extrem wichtig und das bekommt ihr Trainer Misha Kaufmann sehr gut hin. Und dann haben die Eisenacher das Faustpfand Werner-Aßmann-Halle. In dieser Atmosphäre können sie wirklich 17 von 17 Spielen gewinnen.
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