Was für ein Typ ist Tim Wohlgemuth?
Tim Wohlgemuth: Schon noch ein relativ junger Kerl - oder Mann (lacht). Ich bin in großem Stil sportbegeistert und ein nachdenklicher Typ, der nicht unbedingt aus dem Bauch heraus entscheidet, sondern mit dem Kopf.
War es auch eine Kopfentscheidung, nach Mannheim zu gehen?
Wohlgemuth: Auf jeden Fall. Es war keine Gefühlsentscheidung, sondern ich habe mir ewig Zeit dafür genommen. Ich habe mir 1000 Gedanken gemacht, was irgendwann kontraproduktiv werden kann. Aber so war es leider.
Was hat den Ausschlag für den Wechsel von Ingolstadt nach Mannheim gegeben?
Wohlgemuth: Es ging darum, wie ich mich selber und wie ich meinen weiteren Werdegang sehe. Ich wollte etwas Neues sehen, rauskommen, eine neue Herausforderung annehmen und neue Erfahrungen sammeln.
Welche Rolle sollen Sie bei den Adlern übernehmen?
Wohlgemuth: Ich habe natürlich schon einige Male mit Pavel Gross gesprochen und ein gutes Gefühl gewonnen. Das ganze Bild, das ich von der Mannschaft und mir bekommen habe, hat mir sehr gut gefallen. Es fühlt sich für mich gut an.
Sehen Sie sich eher als Center oder als Außenstürmer?
Wohlgemuth: Wenn man mir die Entscheidung überlassen würde, würde ich mich in der Mitte aufstellen. Ich fühle mich aber auf beiden Positionen völlig gleich wohl. Ich bin also nicht unzufrieden, wenn ich außen spielen soll.
Auf dem Papier sieht das Adler-Team sehr gut aus. Wie groß wird für Sie die Herausforderung, sich in Mannheim durchzusetzen?
Wohlgemuth: Mannheim ist im Vergleich zu jedem Club in der Liga eine Stufe höher. Das beschränkt sich nicht nur auf das Team, sondern auch auf den Trainer- und Betreuerstab. Das ganze Projekt ist einen Schritt größer. Ich wusste von Anfang an, dass in Mannheim der Erfolg und das Team an erster Stelle stehen.
Wie sind Sie vom Team aufgenommen worden?
Wohlgemuth: Alle sind mega-nett zu mir, aber das war für mich im Vorfeld auch kein großes Geheimnis. Ich hatte keine Angst, dass der eine oder andere eklig sein würde.
Wie bitter war es für Sie, dass Sie kurz vor dem Start der WM in Riga durchs Raster gefallen sind?
Wohlgemuth: So ganz kurz davor ist es nicht schön - es ist aber auch nicht schöner, wenn man früher gestrichen wird. Ich wäre sehr gerne dabei gewesen und war die ersten Tage danach schon sehr enttäuscht - vor allem von mir, weil ich es nicht gepackt hatte. Die Situation war unangenehm, aber sie gibt mir etwas für den Kopf, ein Ziel, das ich gerne erreichen möchte. Die Zeit mit diesem tollen Haufen war für mich eine unglaublich schöne Zeit.
Ist dann die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2022 ein Ziel?
Wohlgemuth: Das kann ich jetzt nicht so beurteilen. Es gibt einen Haufen Jungs, die heiß darauf sind und infrage kommen. In Deutschland kämpfen nicht mehr nur 20, 30 Jungs um die Plätze, sondern mit den NHL-Spielern wahrscheinlich an die 60, 70. Ich werde schauen, dass ich in Mannheim halbwegs gut starte. Dann wird man sehen, was passiert. Wenn es mit einer Nominierung klappen soll, muss bei mir noch einiges passieren.
Was denn?
Wohlgemuth: Am meisten Luft nach oben habe ich bei der Konstanz. Ich weiß nicht, ob es zu 100 Prozent in den mentalen Bereich fällt, aber vieles ist bei mir Kopfsache. Du hast in jeder Saison Aufs und Abs, bei mir persönlich sind die Down-Phasen aber einen Tick zu lang und zu tief. Ich lasse mich manchmal zu sehr runterziehen. Es ist nicht meine Stärke, Schwung aus einem guten Spiel mitzunehmen. Ich muss schon sagen, dass ich das gerne ändern würde. Wenn man ältere Spieler sieht, die regelmäßig 15 oder 20 Tore schießen, kommt man schon ins Grübeln. Das ist jedes Jahr eine neue Herausforderung, und wenn man das immer wieder schafft, denkst du dir schon: Puh, wenn ich auf so einem Level spielen will, muss in Sachen Konstanz einiges passieren.
Muss das aus Ihnen heraus kommen? Oder kann Ihnen das Mannheimer Trainerteam dabei helfen?
Wohlgemuth: Das ist keine Sache, die man über Nacht ablegen kann, sondern man muss sie intensiv trainieren. Man muss sich der Phase bewusst sein, in der man steckt. Das Umfeld spielt auf jeden Fall eine große Rolle.
Wie sehen Ihre Ziele in Mannheim aus?
Wohlgemuth: Meine Reise mit Ingolstadt endete wie die der Adler in den Play-offs 2021 im Halbfinale. Ich will der Mannschaft helfen, die Meisterschaft zu gewinnen. Persönliche Ziele setze ich mir ungern, ich will einfach nur den nächsten Leistungsschritt gehen.
Gehört Ihr Schritt nach Mannheim auch zum Prozess des Erwachsenwerdens?
Wohlgemuth: Genau, das ist in meine Entscheidung pro Adler eingeflossen. Ich will auch menschlich den nächsten Schritt gehen, in eine neue Stadt, ein neues Umfeld kommen und mich dort beweisen. Das bringt dich als Mensch weiter. In meinem Alter ist es wichtig zu wissen, wo ich bin.
Wie bitter war es für Sie, dass Sie die Vorbereitungsphase verletzungsbedingt nicht durchziehen konnten wie gewünscht?
Wohlgemuth: Es ist schade und bitter, weil die Vorbereitung wichtig ist, um fit zu werden. Wenn man das differenziert betrachtet, ist es vielleicht besser, jetzt so eine Verletzung richtig auszukurieren. Ich hoffe, dass ich nicht noch mehr wichtige Spiele verpassen werde.
Als Bayer in der Kurpfalz - wie verläuft die Eingewöhnungsphase?
Wohlgemuth: Ich habe bislang 21 Jahre in Bayern gelebt, aber ich finde es hier sehr cool. Die Leute sind mega-nett, auch außerhalb vom Eishockey. Man fühlt sich schnell wohl, ich hatte keine Probleme.
Vermissen Sie irgendetwas?
Wohlgemuth: So schlimm ist es nicht. Letztens bin ich zum Bäcker und habe zwei Semmeln bestellt. Da war dann erst einmal Funkstille, ich habe ein bisschen gebraucht, um zu checken, dass ich „Brötchen“ sagen muss. Ich will also keine Leberkäs-Semmeln haben, sondern Fleischkäs-Brötchen (lacht). In diese Sprach-Falle bin ich am Anfang einige Male getappt, mittlerweile habe ich es aber schon drauf.
Wie groß ist das Kribbeln beim Gedanken an die Rückkehr der Fans in die DEL-Stadien?
Wohlgemuth: Die Fans sind ein wichtiger Bestandteil unserer Sportart. Die meisten werden mir zustimmen, dass Eishockey keine Fernsehsportart ist wie Fußball, weil es viel zu schnell ist. Das ganze Gefühl, wenn man in ein Eishockey-Stadion geht, ist etwas Einmaliges. Ich kenne viele Leute aus meiner Heimat in Kaufbeuren, die seit 20 Jahren jeden Freitag oder Sonntag ins Stadion gehen. Da geht es natürlich auch um Eishockey, aber auch um das Gemeinschaftsgefühl. Für die ist es wichtig, dass die Hallen wieder aufgehen und sie ihr Team anfeuern können. Wir geben den Fans etwas, und die Fans geben uns etwas. Ich stand früher selbst in der Kurve, hatte aber keine Poster meiner Idole über meinem Bett hängen.
Vielleicht gibt es ja demnächst Kinder, die ein Poster von Ihnen über dem Bett hängen haben?
Wohlgemuth: Ich will es mal nicht hoffen, so fotogen war ich leider noch nie auf dem Eis. Ein Bild von mir würde die Kids vor dem Schlafengehen eher erschrecken (lacht).
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