Mannheim. Es ist der bislang größte Erfolg in der 125-jährigen Geschichte der MTG Mannheim. 1988 gewann Claudia Zaczkiewicz bei den Olympischen Spielen in Seoul die Bronzemedaille über 100 Meter Hürden. Im Interview erinnert sich die Sportwissenschaftlerin, deren ganze Familie 1996 ihren Mädchennamen Reidick annahm, an die Jahre bei der MTG.
Frau Reidick, wann und wo haben Sie mit der Leichtathletik begonnen?
Claudia Reidick: Beim KSV Hessen Kassel. Ich habe damals in Kassel gewohnt und erst mit 14 Jahren mit der Leichtathletik begonnen. Ich war eine Spätberufene, hatte zuvor Ballett und Judo gemacht. Ich wurde über die Schule gesichtet, habe dann im Verein mal reingeschnuppert und bin dort hängen geblieben
In welchen Disziplinen hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere Ihre Stärken?
Reidick: Ich hatte meine Stärken schon immer im Sprung- und Laufbereich. Ich bin über 100 Meter und 200 Meter sowie in der Sprintstaffel gestartet, war im Weit- und Hochsprung unterwegs. Bis ich nach Mannheim ging, habe ich auch Siebenkampf gemacht.
Warum sind Sie nach den Erfahrungen im Ballett und Judo bei der Leichtathletik geblieben?
Reidick: Ich bin dort hingegangen, habe es ausprobiert und schnell gemerkt, dass ich es nicht ganz schlecht mache. Zunächst habe ich Ballett parallel zur Leichtathletik weiterbetrieben, irgendwann musste ich mich aber entscheiden. Die Wahl fiel auf die Leichtathletik, weil ich für das Ballett zu groß geworden wäre. Zudem fand ich es schön, eine Freiluftsportart zu betreiben.
Inwieweit hat Ihnen die Ballettausbildung im Hürdensprint geholfen?
Reidick: Es ist ja in vielen Studien belegt, dass Turnen und Ballett gut für die Körperspannung sind. Das war für mich eine sehr gute Voraussetzung.
Warum sind Sie 1982 aus Kassel zur MTG gewechselt?
Reidick: Ich habe 1981 Abitur gemacht und musste fürs Studium nach Landau. Dort habe ich gleich in der ersten Woche die Hürdenläuferin Heike Filsinger kennengelernt. Sie war gerade zur MTG gewechselt und hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, auch dort hinzugehen. Dann wären vier Frauen beisammen und man könne eine Staffel stellen. Aus heutiger Sicht ist es kaum nachvollziehbar, wie mutig ich damals war. Ich hatte nur ein Gespräch mit Rüdiger Harksen und habe mich danach entschlossen, nach Mannheim zu wechseln.
Auch mein alter Verein hat mich motiviert, den Wechsel zu wagen. Ich fand das Gespräch mit Rüdiger sympathisch. Ohne ihn persönlich je gesehen zu haben, bin ich zur MTG gegangen. Ich habe den Wechsel nie bereut, da es ein wichtiger, richtiger Schritt für mich war. Hier wurde professioneller trainiert.
Zur Person
- Claudia Reidick wurde am 4. Juli 1962 in Oberhausen geboren.
- Von 1982 bis 1989 trug sie das Trikot der MTG Mannheim. Ihr Trainer war Rüdiger Harksen.
- Ihren größten Erfolg feierte die Hürdensprinterin nach ihrer Heirat unter dem Namen Claudia Zaczkiewicz bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul (Südkorea). In persönlicher Bestzeit von 12,75 Sekunden gewann sie Bronze über 100 Meter Hürden.
- Ein Jahr später wiederholte sie bei der Universiade in Duisburg diesen Erfolg mit dem dritten Platz. Im Jahr 1992 beendete sie ihre Karriere.
- Heute arbeitet Claudia Reidick – 1996 hat die ganze Familie ihren Mädchennamen angenommen – als Dozentin an der TU Kaiserslautern, Fachbereich Sportwissenschaft, Schwerpunkt Sportpsychologie. Zudem betreut die sportpsychologische Expertin den Nachwuchs des 1. FC Kaiserslautern, die Frauen-Nationalmannschaft des Deutschen Handballbundes und die U 20 des Deutschen Fußball-Bundes.
- Reidick ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
War Ihnen der Name Rüdiger Harksen denn schon geläufig?
Reidick: Nein, er war bis dahin selbst Athlet und hat dann mit mir seine Trainertätigkeit quasi angefangen. Meine Laufbahn ging parallel zum Start von Rüdigers Trainerkarriere.
Wie haben Sie ihn als jungen Trainer erlebt?
Reidick: Dadurch, dass der Altersabstand zwischen uns beiden so riesengroß nicht ist, sind wir uns auf Augenhöhe begegnet. Er war sehr interessiert, hat akribisch gearbeitet. Wir haben gemeinsam ausprobiert, was erfolgreich ist.
Was haben Sie an der MTG geschätzt?
Reidick: Unsere Trainingsmöglichkeiten lassen sich mit den heutigen nicht vergleichen. Wir hatten damals im Winter das Ludwig-Frank-Gymnasium als Trainingshalle, haben viel draußen trainiert. Da wir noch keine Halle hatten, sind wir einmal in der Woche nach Karlsruhe in die Europahalle gefahren. Das war für mich ein absolutes Highlight, weil ich auf Tartan richtige Hürdenläufe absolvieren konnte. In meiner Trainingsgruppe hatten alle Lust auf Leistungssport und ich hatte einen Trainer, der immer da war. Ich konnte damals gar nicht so speziell trainieren, aber das hat mir überhaupt nichts ausgemacht. Ich habe viel im Wald trainiert, habe Läufe im Vorderen Luisenpark gemacht.
Ihr Karrierehighlight haben Sie am 30. September 1988 erlebt. Hatten Sie ein Gefühl dafür, dass an diesem Tag in Seoul etwas Besonderes in der Luft lag?
Reidick: Ich bin als Siebte der Welt angereist und habe mir gewünscht, in den Endlauf zu kommen. Schon das wäre super gewesen. An eine Medaille habe ich überhaupt nicht gedacht, weil gerade die Läuferinnen aus dem Ostblock stärker eingeschätzt wurden. Ich hatte oft in Vor-, Zwischen oder Halbfinalläufen meine Probleme. Ich wusste: Wenn ich es in den Endlauf schaffe, ist alles gut, weil ich dort dann besser meine Leistung abrufen konnte. Die Saison war gut verlaufen, ich hatte den Grand Prix gewonnen. Anfang August wurde ich aber etwas müde. Ich habe gedacht, ich hätte mein Hoch schon überschritten. Auf dem 24-Stunden-Flug nach Seoul habe ich mich total erholt. Ich kam an und fühlte mich topfit. Vor Ort konnte ich noch gut trainieren. Ich war mir sicher, dass ich an meine Bestleistung heranlaufen konnte.
Warum haben Sie Ihre Ziele mit der Bronzemedaille sogar übererfüllt?
Reidick: Im Hürdensprint kann viel passieren. Eine bleibt an einer Hürde hängen, eine andere verletzt sich. Solche Dinge eben. Auch für eine Hürden-Topläuferin ist es nicht einfach, kühlen Kopf zu bewahren, wenn es um die Wurst geht. Eine Unaufmerksamkeit reicht, um aus dem Rhythmus zu geraten. Im Semifinale hatte ich die vierbeste Zeit. Vor dem Endlauf war mir klar, dass die anderen ihre Leistung erst einmal bringen mussten. Ich wusste: Ich war in der Form meines Lebens.
Gab es eine große Feier im Olympischen Dorf?
Reidick: Nicht so richtig. Es gab kein Deutsches Haus wie heute. Ich bin um 11 Uhr koreanischer Zeit gelaufen, danach ging es zur Dopingkontrolle und gleich weiter zu Siegerehrung. Vom ARD-Studio musste ich durch die ganze Stadt ins ZDF-Studio. Heute ist bestimmt alles zentraler, damals hat es viel Zeit gedauert. Ich bin abends erst spät im Olympischen Dorf angekommen. Am Tag später standen noch die Staffelläufe und der Heimflug an.
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