Alfred Gislason schlenderte ganz entspannt zum Bahnsteig, bevor er sich ans Werk machte. Der Handball-Bundestrainer hatte sich am Donnerstagmorgen für die Zugfahrt von Düsseldorf nach Berlin ein wenig Arbeit mitgebracht. „Ich werde das Spiel auswerten und Videos schneiden. Um der Mannschaft zu zeigen, was wir besser machen können“, verriet der Isländer, wie er nach dem 27:14 über die Schweiz zum Auftakt der Heim-Europameisterschaft die knapp fünfstündige Reise in die Hauptstadt zu nutzen gedenkt. Als Trainer hat man eben nie Zeit. Erst recht nicht bei einem Turnier. Und wenn doch, dann hat man in der Regel etwas falsch gemacht.
Etwas ist diesmal trotzdem anders. Denn Lehrmeister Gislason kann den Lernstoff für sein Team nicht nur anreißen, sondern sogar ein wenig vertiefen. Erst am Sonntag (20.30 Uhr/live im ZDF) steht das nächste Spiel an. Dann trifft die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) in Berlin auf Nordmazedonien, am Dienstag (20.30 Uhr/live in der ARD) folgt ebenfalls in der Hauptstadt das Duell mit Olympiasieger Frankreich.
In diese Partien gehen die Deutschen nach dem gelungenen Auftakt mit großem Selbstvertrauen. Gislason wird - so viel steht fest - trotz aller Liebe zum Detail und seines stets prüfenden Blickes bei seinem Videostudium viele gute Szenen der deutschen Mannschaft gesehen haben. Doch der 64-Jährige mahnte: „Wenn wir das nächste Spiel nicht gewinnen, können wir immer noch ausscheiden.“ Das stimmt zwar. Und doch überwiegt das gute Gefühl. Wenn man so will, war der Kantersieg ein Bizeps-Emoji auf dem EM-Spielplan. Ein Zeichen der Stärke. Und das nicht nur wegen des deutlichen Resultats.
Fischer, Heymann und Weber überzeugen
Denn gegen die Schweiz gab es erstmals seit längerer Zeit Impulse durch die Einwechselspieler, nachdem zuletzt schon Zweifel an der Qualität in der Breite aufgekommen waren. Und das durchaus berechtigt. Zumal Gislason höchstpersönlich noch nach den Länderspielen im November kritisiert hatte, dass es hier und da an Alternativen fehle, dass zu viel Last von wenigen Spielern getragen wird. Also von Torwart Andreas Wolff, Spielmacher Juri Knorr und Kapitän Johannes Golla.
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Auf dieses Trio ist immer Verlass, Wolff ragte im EM-Eröffnungsspiel mit 14 Paraden (Fangquote 61 Prozent) sogar heraus. Er war die größte Geschichte dieser denkwürdigen Partie, es gab aber auch viele kleine. U-21-Weltmeister Justus Fischer erzielte drei Treffer, Sebastian Heymann und Philipp Weber jeweils zwei. Sie alle blieben ohne Fehlwurf. Heymann ackerte zudem in der Abwehr. Kurzum: Sie alle erfüllten ihre Rollen, ihre Aufgaben.
"Pipi in den Augen" und "Gänsehaut"
,„Jeder hat seine Leistung gebracht. Zum ersten Mal seit vier, fünf oder sogar sechs Spielen gab es keinen Bruch, alle haben auf sehr hohem Niveau agiert“, freute sich Gislason nach einem historischen Abend, der für alle unvergessen bleibt. Und das nicht nur wegen des deutlichen Auftakterfolgs. „Solch eine Kulisse kannte niemand von uns. Es war ein Fest“, schwärmte Rechtsaußen Timo Kastening. Eigentlich fehlte nur noch, dass er nach dem Zuschauer-Weltrekord für ein Handballspiel mit dem Zeigefinger ein Ausrufezeichen in die Luft malt, um seine Begeisterung zu verstärken.
Für „Pipi in den Augen“ sorgten die 53 586 Fans bei Weber. Und Knorr gab zu, schon beim Gang in die Arena eine „Gänsehaut bekommen zu haben: „Als ich rauskam, das war pure Euphorie, fast schon überschwappend.“ Angestachelt von der Atmosphäre hätte die Gefahr bestanden, zu „überdrehen“. Doch so kam es nicht. „Wir konnten das gut kanalisieren.“ Und hatten Spaß. Sogar so viel, dass niemand den Schlusspfiff herbeisehnte. Heymann: „Wir hätten gerne weitergespielt.“ Man kann es sehr gut verstehen.
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