Doha. Khalid Salman lehnt sich zurück und dreht ein Glas Tee zwischen seinen Fingern. Der 60-Jährige ist Ex-Nationalspieler Katars und Botschafter für die Fußball-WM. Es ist eine entspannte Atmosphäre im Souq Waqif, dem auf alt gemachten Stadtteil Dohas. Moderne und Tradition treffen in Katar oft aufeinander. In den Gebäuden. Und den Köpfen.
„Lass uns über Schwule sprechen“, sagt Salman und legt los. Eingefangen wird die Situation von Journalist Jochen Breyer für die ZDF-Reportage „Geheimsache Katar“. Salman erzählt, dass er „Schwulsein“ für einen „geistigen Schaden“ halte. Dass er nicht wolle, dass seine Kinder so etwas sehen. Er spricht von Sünde – Homosexualität sei „haram“, sagt er.
Dem Fußball-Weltverband war das nicht unbekannt. 2011 riet der damalige FIFA-Präsident Joseph Blatter Homosexuellen, die die WM in Katar besuchen wollten, doch währenddessen weniger schwul zu sein und auf Sex zu verzichten. Der englische Ex-Fußballer Thomas Beattie, der sich nach seiner Karriere outete, findet das „respektlos“. In einer Gesprächsrunde sagt er: „Das ist so, als würde die WM in einem Land stattfinden, das rassistische Vorurteile hat, und wir würden schwarzen Menschen raten, doch bitte weniger schwarz zu sein.“ In Deutschland stoßen Salmans Aussagen auf Empörung. Nationalspieler Leon Goretzka bezeichnet sie als ein „Menschenbild aus einem anderen Jahrtausend“.
Kritik im Verborgenen
Ein Menschenbild, das aber noch immer die arabische Welt prägt, wie der Islamwissenschaftler Sebastian Sons bestätigt. Salman, sagt er, hole mit seinen Aussagen viele Leute in der arabischen Welt ab. Aber, so betont Sons, er selbst kenne auch Menschen in Katar, die nicht einverstanden sind mit dem Umgang mit Homosexuellen. Öffentlich ihre Meinung äußern sie nicht. Das macht kaum einer im Emirat.
Julia Gonella ist Direktorin des Museums für islamische Kunst. Es gilt als eines der bedeutendsten seiner Art in der arabischen Welt. Durch die imposanten Rundbögen des Außenbereichs sieht man direkt auf Dohas moderne Skyline.
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Anfang Oktober wurde es nach längerem Umbau wiedereröffnet. Der Emir sah als einer der Ersten das neue Gewand der beeindruckenden Sammlung. Homoerotische Darstellungen sind nicht dabei. Wieso eigentlich nicht? Sie haben im Islam durchaus eine Tradition. Gonella versichert: Staatliche Einmischung habe es nicht gegeben. Man müsse einfach aussuchen. Ob sie glaubt, dass sich die Gesellschaft in Katar beim Thema Homosexualität wieder öffnen werde? „Hoffentlich“, sagt sie: „Ich bete dafür.“ Etwas Skepsis schwingt mit.
Wie kann man Menschen für etwas sensibilisieren, das in der Gesellschaft kaum existent ist? Immerhin: An den Ablegern der ausländischen Topuniversitäten in der „Education City“ ist Homosexualität hin und wieder Thema.
Bildung, sagt Jonas Gerdes, sei der einzige Weg, Katar zu öffnen. Gemeinsam mit Timo Latsch recherchierte der Journalist für die Dokumentation „Rote Karte statt Regenbogen“ über Homosexualität in dem Emirat. Für den Film haben sie mit Mitgliedern der LGBTQI+-Gesellschaft aus Katar gesprochen. Die Abkürzung steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen.
Die Recherche war zäh und erinnert an einen Krimi. Am Anfang steht ein Kontakt. Von einer Menschenrechtsorganisation haben die Journalisten den Namen eines Katarers. „Soweit ich weiß, ist er der Einzige, der sich bereit erklärt, aus der Community in Doha mit Journalisten zu reden“, sagt Gerdes. Den Namen schreibt er in die Mitte eines Blattes und pinnt es an die Wand. Nach und nach kommen weitere dazu. Kontakte, die über Vertrauen aufgebaut werden und manchmal trotzdem wieder versiegen. Zu groß ist die Angst, offen zu sprechen.
Drei sind am Ende bereit dazu, aber nicht in ihrer Heimat. Die Interviews finden in der Anonymität westlicher Großstädte statt. Hier finden auch einige Katarer der LGBTQI+-Gesellschaft ein-, zweimal im Jahr den Mut und die Chance, so zu leben, wie sie es gerne auch zu Hause tun würden. Hier, wo vor einigen Jahrzehnten Homosexuelle ebenfalls noch bestraft wurden, fühlen sie sich heute sicher. Schließlich wurde in Deutschland der Paragraf 175 erst 1994 abgeschafft. Er bestrafte Sex unter Männern mit bis zu fünf Jahren Gefängnis.
In Katar stehen gleichgeschlechtliche Handlungen noch immer unter Strafe. Nach Artikel 285 des Strafgesetzbuches drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis. Urteile gibt es keine. Das Signal: Homosexualität, gibt es nicht bei uns. Die Gefahr für Schwule ist vielleicht sogar größer, weil die Verfolgung nicht öffentlich passiert. Die Opfer bleiben im Schatten.
Unter Strafe
Die Angst ist groß, wie ein homosexueller Mann berichtet. „Die Polizei kann jederzeit auftauchen und dich an einen geheimen Ort bringen. Sie können psychische und physische Folter anwenden“, sagt er und führt aus: „Sie können dich für einige Zeit gegen deinen Willen festhalten.“ Tage, Wochen, Monate.
Faisal ist das schon passiert. Sie ist Transgender, hat eine Hormontherapie begonnen. „Das Schlimmste ist, wenn ich reise, nach Katar zurückkomme und durch den Zoll muss. Das sind die gruseligsten Erfahrungen, die ich je gemacht habe. Sie zwingen mich dann, meine Koffer zu öffnen, und durchsuchen alle meine Gegenstände.“
Einmal sei sie tagelang eingesperrt worden, weil sie angeblich ein Sexspielzeug besessen hätte. Was die Beamten meinten? „Keine Ahnung“, sagt sie. Ein anderes Mal seien ihr die langen Haare abrasiert worden, weil sie auf der Straße getanzt habe. Sie wisse bis heute nicht, gegen welches Gesetz sie damit verstoßen habe, sagt sie. Wie sie sich dabei fühlt, kann man nur ahnen. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Die Angst der Protagonisten des Films, erkannt zu werden, ist groß. Einem Gesprächspartner bringen die Journalisten Kleidung mit. Er fürchtet, dass ihm Merkmale seiner Kleidung zugeordnet werden könnten.
Nur einer tritt mit Gesicht vor die Kamera. Nas Mohamed ist der erste Katarer, der sich geoutet hat – in einem BBC-Interview. Der Arzt, der sich als nicht binäre Person identifiziert, lebt in den USA. Nach seinem Outing hat er dort Asyl beantragt. Gar nicht so einfach für eine privilegierte Person aus einem reichen Land. Fast wäre es ihm verweigert worden. Zu wenig sei darüber bekannt, wie schwulenfeindlich Katar sei, sagt er.
Schwule, Lesben, Transgender – sie existieren für Katars Gesellschaft nicht. Nas Mohamed sagt, selbst er habe in Katar bis zu seinem Interview weniger als zehn homosexuelle Menschen gekannt. Eine Community gibt es nicht. Wenn man sich trifft, dann im Geheimen. Es gibt Dating-Plattformen. Wer sie nutzt, lebt in der Angst, geschnappt zu werden. Gut bezahlte ausländische Expats katarischer Unternehmen können aber zumindest im privaten Bereich ihre Homosexualität leben.
Und wie sieht es mit den unterprivilegierten Gastarbeitern aus? Human Rights Watch sollen Berichte von Lesben und Schwulen aus Marokko, Nepal und den Philippinen vorliegen, die in Katar inhaftiert sind. Die Menschenrechtsorganisation berichtete kürzlich auch über sechs Vorfälle von Polizeigewalt gegen LGBTQI+-Personen. Von heftigen Schlägen ist die Rede. Fünf Fälle sexueller Belästigung in Polizeigewahrsam wurden dokumentiert. Die Zahl ist niedrig.
Es gibt kaum Personen, die sich trauen, über diese Vorfälle zu reden. Es wäre eine zusätzliche Gefahr im Überwachungsstaat. Von rechtswidrigen Durchsuchungen von Telefonen ist in dem Bericht die Rede. Und von einer Freilassung unter der Bedingung, sich einer Therapie zu unterziehen.
Was dabei genau passiert? Wenig ist bekannt. Gerdes sagt, er habe von Tabletten gehört. Von Verhaltenstherapien. Manche würden von ihren Familien dorthin gebracht. Einige homosexuelle Katarer würden dies selbst als letzten Ausweg sehen, weil sie hoffen, dass sie dann das Leben führen könnten, das die Gesellschaft von ihnen erwartet. Weil sie ihre Familien nicht enttäuschen wollen.
Alle Personen, mit denen Gerdes Kontakt hatte, haben eines gemeinsam: „Sie alle leiden unter psychischen Problemen.“ Der auf ihnen lastende Druck ist enorm.
Mit der WM kam die Aufmerksamkeit für den Umgang der Katarer mit Homosexualität. Kürzlich protestierte der britische Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell in Doha gegen die Diskriminierung von Homosexuellen im Emirat. „In Katar“, sagt Gerdes, „sehen viele, mit denen ich Kontakt habe, das kritisch.“ Es gehe ihnen zu weit. Zu schnell. „Sie wollen es in ihrem Tempo machen, auf ihre Art und keine Ansichten vom Westen übergestülpt bekommen“, sagt er.
Es ist ein Balanceakt, den bald auch die Fußballer und Verbände bewältigen müssen. Der deutsche Torwart Manuel Neuer will mit seiner Kapitänsbinde ein Zeichen setzen. „One love“ ist dort zu lesen. Man habe sich mit anderen Verbänden darauf geeinigt, erklärte der Deutsche Fußball-Bund.
Das Zeichen sei zu wenig, sagen viele. Wo ist die Regenbogenbinde, die Neuer bei der EM trug? Versteckt sich der DFB? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn „die Regenbogenfarben sind zwar in der westlichen Welt Sinnbild der Bewegung – nicht aber in der arabischen“, sagt Gerdes. Wichtiger als Symbole, glaubt er, sei es ohnehin, immer wieder aufzuklären. In vielerlei Hinsicht.
Da homosexuelle Handlungen in Katar im Verborgenen stattfinden, ist wenig bekannt über die Gefahr sexuell übertragbarer Krankheiten und wie man sich schützt. Wer sich ansteckt, ist stigmatisiert. Wieder eine Furcht mehr.
Was passiert nach der WM?
Und dann gibt es da noch die Angst vor Repressionen. Ist die Aufmerksamkeit durch die WM weg, könnte der Staat gegen die Community noch härter vorgehen als zuvor, fürchten einige. Und während des Turniers? Bilder von Protestplakaten in den WM-Stadien dürften die Organisatoren versuchen auszublenden. Szenen öffentlicher Gewalt gegen Homosexuelle will man im Emirat sicher nicht riskieren. Für ein paar Wochen seien „alle willkommen“, sagte der Emir kürzlich – und alle wiederholen es. Nun ja. Mit dem Zusatz: „Alle, die unsere Kultur respektieren.“
Nas Mohamed hat dazu ein Bild: Es sei so, als wäre man zu einer Party eingeladen. Alle dürften machen, was sie wollen, sogar auf den Tischen tanzen. Nur die Kinder der Gastgeber, die regelmäßig misshandelt würden, seien nicht dabei. Sie sitzen im Keller und dürften nichts, weil sie sonst bestraft werden.
Auf so einer Party möchte man nicht sein.
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