Fußball

Fußball-Funktionär Andreas Rettig: „Katar ist und bleibt ein Skandal“

Sein Schlagabtausch mit Uli Hoeneß rund um das Thema "WM in Katar" wurde viel diskutiert. Im Interview meldet sich Andreas Rettig nun erneut zu Wort und wiederholt seine Kritik an Katar - und am FC Bayern

Von 
Christoph Fischer
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Den langjährigen Fußballmanager und früheren DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig macht die WM-Vergabe nach Katar immer noch fassungslos. © Hannes P. Albert/dpa

Andreas Rettig

  • Andreas Rettig ist 59 Jahre alt und gebürtiger Leverkusener.
  • Seine Funktionärskarriere startete er bei Bayer Leverkusen, ehe er 1998 Manager des SC Freiburg wurde.
  • Nach vier Jahren wechselte er in gleicher Funktion zum 1. FC Köln, trat jedoch 2005 zurück und schloss sich ein Jahr später dem FC Augsburg an.
  • Von 2013 bis 2015 war Rettig Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga.
  • Danach arbeitete er noch vier Jahre lang beim FC St. Pauli sowie zuletzt für ein Jahr bis Mai 2022 beim Drittligisten Viktoria Köln.

Köln. Kritische Worte hat er nie gescheut – auch nicht als erfolgreicher Bundesligamanager und Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL). Andreas Rettig hat stets seine Überzeugungen ausgesprochen. Seine Position zur Winter-WM in Katar ist eindeutig: Im Interview spricht der 59-Jährige über Turniervergaben, Funktionäre, Skandale und Perspektiven.

Herr Rettig, Uli Hoeneß bezeichnete Sie zuletzt als den „König der Scheinheiligkeit“. Bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Katar das entsprechende Diskussionsthema war. Denn scheinheilig wirkt ja eher der Umgang des FC Bayern mit Katar.

Andreas Rettig: Korrekt. Der FC Bayern kooperiert eng mit Katar. Logisch, dass Herrn Hoeneß die Kritik an seinen Sponsoren nicht passt. Aber auch der FC Bayern und Uli Hoeneß können dieser Debatte nicht ausweichen. Die Menschenrechtsverletzungen sind lange bekannt und deshalb ist und bleibt die Vergabe des Turniers an Katar ein Skandal.

Nur noch acht Wochen bis zur umstrittensten WM der Geschichte. Zu verhindern ist sie nicht mehr.

Rettig: Nein, aber man muss daran erinnern, dass der kapitale Fehler nicht jetzt gemacht worden ist, sondern im Dezember 2010, als 22 größtenteils mit eigenen Interessen ausgestattete Fußballfunktionäre die wahnwitzige Entscheidung getroffen haben, 2022 eine WM in Katar auszutragen. Von 22 Funktionären haben 14 zugestimmt, eine Weltmeisterschaft bei bis zu 50 Grad Celsius auszutragen. Man kann bei diesen Temperaturen nicht Fußball spielen. Das wusste man auch damals. Das war respekt- und verantwortungslos allen Spielern, Schiedsrichtern und Fans gegenüber.

Was können kritische Menschen noch tun?

Rettig: Aktuell ist es wichtig, Zeichen zu setzen. Wir müssen unsere Stimme erheben. Diese WM muss das größte PR-Desaster für Katar werden.

Boykottieren Sie selbst die Fernsehübertragungen?

Rettig: Ich werde meinen Konsum auf ein Minimum beschränken, befürchte aber, dass mich meine Fußballleidenschaft zur Unvernunft treiben wird. Die deutschen Spiele werde ich anschauen.

Welche Reaktionen erwarten Sie von den deutschen Nationalspielern?

Rettig: Wir dürfen den Nationalspielern nicht zu viel abverlangen. Man darf aber erwarten, dass sie eine klare Meinung haben. Es geht um Symbolik. Wir brauchen Bilder, die haften bleiben. Meine romantische Vorstellung ist die, dass Spieler nach einem Tor nicht im Kaffee rühren oder am Daumen nuckeln, sondern im Jubel Formen des Protestes finden. Am Ende ist auch entscheidend, wie die Verbandsführung mit dieser WM umgeht. Ich erwarte klare politische Statements.

Gibt es eine Chance, solche Vergaben zukünftig zu verhindern?

Rettig: Wir können lange über nachhaltige Vergabekonzepte reden, aber vor allem brauchen wir in den Führungen der Verbände konsequent denkendes Personal. Ansonsten sind alle Forderungen Makulatur. Wenn wir glauben, mit der Vergabe an Katar am Tiefpunkt angekommen zu sein, sage ich, dass der Tiefpunkt der Entwicklung noch nicht erreicht sein könnte. Ich hoffe nicht, dass Gianni Infantino demnächst von Doha nach Riad umziehen muss, wenn das Turnier in Saudi-Arabien stattfinden sollte.

Wie geht man damit um, wenn der Bundeskanzler durch Gaslieferungen aus Katar die Energiekrise zu mindern versucht?

Rettig: Wir dürfen die Ebenen nicht vertauschen, wie Uli Hoeneß das tut. Katar hat im europäischen Fußball intensiv investiert – in Paris, in Rom, beim FC Bayern. Das darf man aber nicht vergleichen mit der Energiekrise, in die wir durch Russlands Angriffskrieg unverschuldet hineingeraten sind. In diesen Zeiten erwarte ich von der politischen Führung des Landes, dass sie Schaden von der Bevölkerung abwendet und der Wirtschaft unter die Arme greift.

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Sehen Sie Chancen für Veränderungen?

Rettig: Die Doppelvergabe 2018 und 2022 war der letzte Sündenfall. Das wird sich in dieser Form nicht wiederholen. Vergaben werden nicht mehr getroffen werden können ohne Sicherstellung eines Mindeststandards an Menschenrechten.

Hätte ein Boykott eine reelle Chance gehabt?

Rettig: Die Messe ist gelesen. Eine Bewerbung hätte erst gar nicht zugelassen werden dürfen, da die Menschenrechtsverletzungen in Katar lange bekannt waren.

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