Fußball

Deutschland nach dem Wembley-3:3: Einerseits, andererseits

In der Generalprobe vor dem WM in Katar gab es für Bundestrainer Hansi Flick und sein Team Licht und Schatten. Das 3:3 in England offenbarte defensive Schwächen, ließ aber vor allem einen Offensivspieler herausstechen.

Von 
Tillmann Mehl
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Deutschlands Jamal Musiala (re.) überzeugte, Englands Harry Maguire enttäuschte in Wembley.. © Christian Charisius/dpa

London. Kurzzeitig schien Jens Lehmann tatsächlich mal wieder auf der richtigen Spur zu sein. Der Mann, der in Deutschland seinen Ruf als streitbarer und intelligenter Fußballer erst kultivierte, um ihn dann nach der Karriere unter anderem mit einer Kettensäge zu verunstalten, sollte vor dem Spiel das richtige Ergebnis vorhersagen.

Und weil Lehmann eben auch gerne Reizpunkte setzt, kündigte er am Stadionmikrofon in Wembley an, die deutsche Mannschaft werde mit 3:0 gewinnen. Die britischen Fans reagierten recht zurückhaltend. Seit seiner Zeit beim Arsenal FC nennen sie ihn „Mad Jens“.

Als dann aber die deutsche Mannschaft mit 2:0 führte, war man geneigt, der Weisheit zu folgen, wonach häufig nur der Harlekin die Wahrheit spricht. Weil sich nun aber nach einer spektakulären zweiten Halbzeit Engländer und Deutsche mit einem 3:3 trennten, durfte sich Lehmann nicht für seine prophetischen Fähigkeiten feiern lassen. Für großen Jubel sorgte das bei keinem. Zu wirr war der Spielverlauf, als dass sich ein Team über das dann doch gerechte Unentschieden freuen konnte.

Musialas großer Schritt

Es war eines dieser Einerseits-Andererseits-Spiele, das Trainern genug Videomaterial hinterlässt, um ihren Spielern Versäumnisse zu verdeutlichen – und Positivbeispiele zur Nachahmung liefert. Die mutigen Dribblings von Jamal Musiala beispielsweise waren nicht nur aus ästhetischer Sicht ansprechend. Eines von ihnen führte auch zur 1:0-Führung der Deutschen.

Der von Teilen der Anhängerschaft schon vor dem Spiel mit Buhrufen bedachte Harry Maguire wusste Musialas Körpertäuschungen nicht anders zu begegnen als mit einem hilflosen Tritt auf den Fuß. Ilkay Gündogan verwandelte den Elfmeter souverän. Und weil eben jener Maguire nur kurz darauf den Ball gegen eben auch wieder jenen Musiala verlor und der Ball über Timo Werner und Kai Havertz im Netz landete, machte der Münchner einen großen Schritt in Richtung Stammplatz, während Maguire weiter in der Gunst der englischen Fans sank.

„Jamal hat heute in vielen Situationen gezeigt, was ihn auszeichnet. Genau das brauchen wir. Dann hast du eine andere Spielsituation, der Gegner ist offen und du hast Räume,“, lobte Hansi Flick den Münchner verdientermaßen.

Durch den strahlenden Musiala verdeutlichte sich allerdings auch der Schatten in der Defensive. Innerhalb von lediglich elf Minuten machten die Engländer aus einem 0:2 ein 3:2. Neben Nachlässigkeiten im Stellungsspiel bei den ersten beiden Gegentoren war es ein unnötiger Tritt von Nico Schlottebeck auf das Bein seines Dortmunder Mannschaftskameraden Jude Bellingham, der die Wende vollendete, da Harry Kane den folgenden Elfmeter wuchtig zum 3:2 ins Tor schoss.

Das eine Halbzeit lang aus verständlichen Gründen beinahe teilnahmslose Publikum hatte das Stadion zu diesem Zeitpunkt doch noch zu einem wild lärmenden Orkan gemacht. „Die drei Tore dürfen nicht passieren“, stellte Flick fest. Zu seiner Gelassenheit dürfte dann aber beigetragen haben, dass Havertz in der 87. Minute einen Fehler von Torwart Nick Pope ausnutzte und den von dessen Brust abprallenden Ball zum 3:3 verwertete.

Trotz des späten Ausgleichs „überwiegt der Ärger“, sagte hernach DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Flick hob dagegen hervor, dass es „positiv war, dass wir zurückgekommen sind“ und Thomas Müller schließlich war das alles herzlich egal: „Das Gefühl, das wir jetzt haben, wird nicht entscheidend sein, wenn wir ins erste Spiel gehen.“

Dieses erste Spiel ist der deutsche WM-Auftakt am 22. November gegen Japan. Geht es nach Englands Kapitän Kane, gelten die Deutschen als einer der Mitfavoriten auf den Turniersieg. „Sie sind eine der besten Mannschaften der Welt“, sagte der Stürmer nach dem Unentschieden. Nimmt man die 20 Minuten nach der Halbzeit, ist das einerseits richtig, andererseits dauert ein Fußballspiel eben mindestens 90 Minuten.

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