Gesundheit - Einige Corona-Erkrankte verlieren den Geruchs- und Geschmackssinn – Betroffene erzählen, was dies für sie bedeutet

Wenn die Welt nicht mehr riecht - eine Long-Covid-Betroffene berichtet

Von 
Christian Unger
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Bremen/Berlin. Es fing an mit Kamillentee. Wenn es etwas gibt, das Bianka Rojahn nicht mag, dann ist es dieser Geschmack. „Das löst bei mir Brechreiz aus“, sagt sie. Eigentlich. Ihr Mann weiß das, eigentlich. Doch als Rojahn Ende 2020 schlapp und müde am Küchentisch sitzt, schenkt ihr Ehemann eine Tasse ein, reicht sie zu ihr rüber. Rojahn trinkt. Und schmeckt: nichts. Bianka Rojahn merkt das erst, als ihr Mann noch eine Tasse nachschenken will und sie den Kamillenteebeutel sieht. In dem Moment in der Küche nimmt sie das wahr, aber sie hat andere Sorgen. Ihr Körper kollabiert unter dem Coronavirus. Die Glieder sind wie Blei, Lunge und Brust schmerzen, quälendes Stechen im Kopf, das Fieber steigt manchmal auf fast 41. Riechen und Schmecken ist ihr gerade völlig egal.

Anderthalb Jahre ist die Sache mit der Tasse Kamillentee her. Bis heute lebt Bianka Rojahn, 52 Jahre alt, Fachkrankenschwester für Palliativmedizin aus Bremen, in einer Welt, die nicht mehr schmeckt und nicht mehr riecht. Das Virus hat ihr die Sinne geraubt. In diesen Wochen im April und Mai, in denen die Frühlingssonne die Gerüche der Blumen in die Luft trägt, sagt Rojahn, dass sie zum ersten Mal „ein Stück Trauer“ spüre. Darüber, dass die Rosen in ihrem Garten, die sie so liebt, nicht mehr duften. „Wenn ich mich an Rosenduft erinnere, dann ist es nur der Gestank nach Rosenparfüm. Das fand ich immer abstoßend.“

Typisch für erste Virusvarianten

Seit gut einem Jahr hat die Familie in Bremen einen Hund. Rojahn kann ihn nicht riechen. Sie kann ihren Mann nicht mehr riechen, wenn er neben ihr liegt. Sie kann sich nicht einmal mehr selbst riechen. An heißen Tagen, wenn Bianka Rojahn in ihre Therapiegruppe kommt, wirft sie erst mal in die Runde: „Sagt mir, wenn ich miefe.“ Das sei dann erst mal ein Lacher für alle.

Als die Pandemie losbrach, tauchte in den Schlagzeilen schnell diese Nebenwirkung von Corona auf: Geschmacks- und Geruchsverlust. Schon in den ersten Wochen im Frühjahr 2020 fiel es Ärzten und Forschern auf. Das war so skurril wie beängstigend, denn auch dieses Symptom war neu. Oft plötzlich und komplett fielen Rezeptoren in Mund und Nase aus. Heute, im dritten Jahr der Pandemie, ist aus dem akuten Symptom für viele erkrankte Menschen eine lang anhaltende Nebenwirkung geworden. Long Covid trifft auch Geruch und Geschmack.

80 bis 95 Prozent der betroffenen Patientinnen und Patienten können laut Studien von 2021 innerhalb von ein oder zwei Monaten wieder normal riechen und schmecken. Bei fünf bis 20 Prozent dauert es länger. Bei einem noch größeren Teil Corona-Erkrankter treten weiterhin Störungen bei Geruch und Geschmack auf. Es zeigt sich aber auch: Die Omikron-Variante trifft deutlich weniger diese Sinnesorgane. Sehr typisch war es vor allem in den ersten Virusvarianten der Pandemie.

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In einem Facebook-Forum von Langzeit-Corona-Erkrankten postet eine Frau Mitte April: „An die, die 2020/Anfang 2021 erkrankt sind: Habt ihr auch immer noch keinen Geruchssinn?“ Unter dem Beitrag kommentieren in kurzer Zeit Dutzende Menschen. Eine Betroffene schreibt, Geruch und Geschmack seien seit November 2020 „größtenteils weggeblieben“. Hin und wieder rieche sie mal etwas. Eine andere hat kommentiert: „Ich esse seitdem aus Erinnerung.“

Auch Bianka Rojahn kommentiert in dem Forum. Genauso wie Sabine Strauch. Mit ihnen und anderen kommt unsere Redaktion ins Gespräch. Und viele leiden bis heute unter schweren Long-Covid-Symptomen, chronischer Müdigkeit, Muskelschmerzen. Strauch sagt: „Wenn der Geruchsverlust das Einzige wäre, was mir zu schaffen macht, dann wäre das ja erträglich.“

Und trotzdem macht die Veränderung den Menschen Sorge. Denn dass die Sinne nicht funktionieren, ist auch Symptom eines Alltags, der mit Long Covid aus dem Takt geraten ist. Ein Alltag, in dem oft nicht nur das Riechen schwerfällt, sondern auch das Aufstehen, das Arbeiten, das Konzentrieren. Irgendwann nach einer knappen Stunde Telefonat sagt Strauch, dass im Kopf der Druck wachse und ihr Fokus schwinde. Manchmal fallen ihr einzelne Wörter nicht mehr ein. „Das ist alles Corona“, sagt sie.

Corona greift die Zellen an, den Baustoff des menschlichen Körpers. Aktuelle Studien zeigen, dass das Virus sich in der Nasenschleimhaut einnistet. Heftige Immunreaktionen lösen lokale Entzündungen aus, zerstören Geruchsrezeptoren. Bei manchen korrigiert der Körper die Störungen, bei anderen bleiben sie Monate, Jahre – vielleicht für immer. Der Long-Covid-Körper spielt verrückt und oftmals wissen Ärzte und Forschende nicht, wie sie ihn wieder ins Gleichgewicht bringen können.

Spezielle Ambulanzen

Eine Welt ohne Geruch und Geschmack ist auch gefährlich. Bianka Rojahn erzählt, dass sie manchmal nicht mehr erkenne, wenn Lebensmittel schlecht seien. Einmal trank sie verdorbene Milch, ohne es zu merken. Ein anderes Mal ließ sie die Gasflamme am Herd laufen, roch das Verbrannte nicht. „Auf einmal wurde der Hund unruhig“, sagt Rojahn. Erst dann ging sie in die Küche.

Mittlerweile hat das Gesundheitswesen auf Long Covid reagiert. Es gibt spezielle Ambulanzen, auch Kliniken bieten Kuren und Therapiestunden an, es gründen sich Selbsthilfegruppen. Auch Rojahn war zur Reha auf der Nordseeinsel Föhr. Zweimal am Tag stand dort Geruchstraining auf dem Plan. Jeweils zehn Minuten. Rojahn roch an Rosenduft, an Eukalyptus, Nelke und Zitrone. Das Gehirn soll Gerüche und Gegenstände wieder verknüpfen. Regelmäßiges Hirnleistungstraining soll zusätzlich helfen, sie übte Memory, legte Schaubilder aus geometrischen Figuren nach. Eine „wahnsinnige Herausforderung“, sagt sie heute.

In der Apotheke besorgte sich Rojahn ein „Geruchsset“, Krafttraining für die Nase. Sie zieht es ein halbes Jahr durch, dann legt sie es zur Seite. Auch andere Betroffene berichten von Therapieversuchen. Ein Arzt verschreibt einer Frau Nasenspray mit Cortison. Ein junger Mann erzählt davon, dass sich der Geruchssinn nach der Corona-Impfung verändert habe. Er könne seitdem wieder riechen, aber vieles rieche übel.

Vor allem herrscht Unsicherheit. Viele rennen vom Hausarzt zum Facharzt, zur Klinik, bis sie verzweifelt wieder beim Hausarzt landen, der immer noch nicht weiter weiß. Andere berichten von kleinen Erfolgen – immerhin. Wenn der Geruch langsam zurückkehre. Wenn bestimmte Düfte durchdringen.

Bianka Rojahn sagt, sie habe sich an eine Welt ohne Geruch und Geschmack gewöhnt. Egal geworden ist es ihr nicht.

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