Frau Brantner, vor fünf Jahren trommelten die Delegierten in Leipzig bei Robert Habecks Rede „We will Rock You“ laut auf den Tischen. Beim Karlsruher Parteitag stimmen sie vielleicht das eher triste „November Rain“ an.
Franziska Brantner: Der Song würde zu der Ernsthaftigkeit passen angesichts der aktuellen Kriege als auch des Urteils aus Karlsruhe. Wir Grünen fragen uns auch bei Parteitagen: Welche Aufgaben stellt uns das Land? Die müssen wir angehen.
An der Basis gibt es aber Leute, die den Grünen in einem offenen Brief vorwerfen, sie seien von einer „Partei für echte Veränderung“ zu einer „Werbeagentur für schlechte Kompromisse“ geworden. Da könnte die Stimmung schnell kippen.
Brantner: Nein, das denke ich nicht. Angesichts der krisenhaften Weltlage stellen wir uns den neuen Realitäten. Dazu sind wir Grüne bereit. Ein Großteil unserer Mitglieder ist sich bewusst, dass wir als Regierungspartei in Krisenzeiten Verantwortung für das gesamte Land haben, die wir annehmen. Darüber hinaus: Ohne Kompromisse geht es in einem Dreierbündnis nicht. Ich bin mir sicher: In 20 Jahren werden wir mit Blick auf die Koalitionszeit feststellen, dass wir dieses Land konsequent durch eine der größten Krisen gesteuert, konsequent an der Seite der Ukraine gestanden und die Modernisierung unserer Wirtschaft und Infrastruktur vorangebracht haben. Aber klar ist: Wenn es bei den Grünen keine Debatten gäbe, wo denn dann?
Ist es Zufall oder Schicksal, dass die Grünen ihren Parteitag ausgerechnet nach Karlsruhe verlegt haben?
Brantner: In Karlsruhe wurden die Grünen vor mehr als 40 Jahren gegründet. Weil das Jubiläum in die Corona-Zeit gefallen ist, mussten wir das verschieben. Aber Sie spielen jetzt darauf an, dass hier das Bundesverfassungsgericht sitzt.
Die Karlsruher Richter haben den Klima- und Transformationsfonds in die Tonne getreten.
Brantner: Die Auswertung des Urteils in all seinen Konsequenzen läuft. Gleichzeitig arbeitet die Regierung mit ganzer Kraft daran, die notwendigen Investitionen etwa in die Deutsche Bahn, in die Mikroelektronik und in die Transformation der Stahlindustrie zu ermöglichen.
Das sind alles Projekte, für die die Grünen in der Ampel stehen.
Brantner: Einspruch, diese Projekte haben wir gemeinsam beschlossen und bringen unser Land voran. Es sind auch einige Länderhaushalte betroffen. Wir sollten die Probleme gemeinsam lösen und die Finanzierung regeln.
60 Milliarden Euro sind aber wirklich kein Pappenstiel.
Brantner: Das Urteil bedeutet, dass Gelder fehlen für den Wasserstoffhochlauf auch in Baden-Württemberg, für die Sanierung von Schwimmbädern und Turnhallen in unseren Kommunen Es geht um die Transformation der Industrie und die Modernisierung unserer Infrastruktur als Grundlage unseres Wohlstands.
Ihr Wirtschaftsminister Robert Habeck hat mit Blick auf das Finanzloch bereits die Energiepreisbremsen infrage gestellt, deren Verlängerung der Bundestag kurz vor dem Karlsruher Urteil beschlossen hat.
Brantner: Auch da müssen wir eine Lösung finden. Stabile Energiepreise sind im Interesse der Verbraucher und der Industrie.
Wenn aber kein Geld da ist?
Brantner: Die Regierung arbeitet intensiv an einem Ausweg. Wir müssen das Schienennetz nicht nur sanieren, damit Sie und ich bequemer und schneller mit der Bahn fahren können. Wenn wir den allgemeinen Investitionsstau nicht auflösen, werden auch die künftigen Generationen zunehmend darunter leiden. Der berechtigte Sinn der Schuldenbremse ist, dass die nächsten Generationen nicht allein die finanziellen Lasten für heute notwendige Investitionen tragen. Umgekehrt kann es aber auch nicht sein, dass eine Generation die großen Investitionen ganz allein stemmt. Schließlich bauen wir die Infrastrukturen auch für die nächsten Generationen. Auch die Eisenbahn und das Stromnetz wurden nicht innerhalb weniger Jahre gebaut und finanziert.
Fakt ist nun ja aber auch, dass die grüne Strategie, die Transformation allein mit Geld aus der Staatskasse zu finanzieren, gescheitert ist. Ifo-Chef Clemens Fuest schlägt deshalb höhere CO2-Steuern vor.
Brantner: Eine höhere CO2-Bepreisung würde die Unternehmen und jeden Bürger treffen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das zu sozialer Ungerechtigkeit führt, sonst gefährdet die Transformation unsere Demokratie.
Sie lehnen also eine höhere CO2-Bepreisung rigoros ab?
Brantner: Es geht um das richtige Ineinandergreifen von CO2-Preis, Anreizen und Regeln. Wir sind für eine CO2-Bepreisung, aber das darf nicht dazu führen, dass sich Menschen den Weg zur Arbeit nicht mehr leisten können. Finanzielle Anreize stoßen an Haushaltsgrenzen und Regeln setzen voraus, dass sie für alle machbar sind. Übrigens ist das Karlsruher Urteil sehr klar mit Blick auf die Jährigkeit.
Was meinen Sie damit?
Brantner: Das Urteil bedeutet, dass die Ausgaben in dem Jahr anfallen müssen, in dem die Notlage festgestellt und dafür Schulden aufgenommen wurden. Zwar kann eine akute Notlage manchmal tatsächlich nach einem Jahr vorbei sein. Aber selbst dann dauern ihre Folgen auf die Wirtschaft oft länger und können außergewöhnliches staatliches Handeln erfordern. Wir müssen die Schuldenbremse auf diese Realität hin prüfen, sonst wird der Wind der Zeit sie mit einem Tempo wegfegen, das man sich gar nicht vorstellen kann.
Sie wollen die Schuldenbremse also aussetzen, damit auch die Folgen der Krise mit Schulden bezahlt werden können?
Brantner: Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck an Lösungen. Sie merken, die öffentliche Diskussion über die Stärkung der Schuldenbremse hat bereits begonnen.
Die FDP wird nicht mitmachen.
Brantner: Viele Experten sprechen sich dafür aus. Das Bundesverfassungsgericht hat über die aktuelle Regel entschieden, das respektieren wir. Wir sollten die Schuldenbremse so stärken, dass sie in der Zeitenwende bestehen kann und Deutschland mit seiner Verantwortung auch für Europa in multiplen Krisen handlungsfähig ist.
Schulden machen ja, Sparen nein, heißt also Ihre Devise.
Brantner: Wir werden Haushaltskürzungen vornehmen müssen und Ausgaben priorisieren. Es gibt auch Subventionen, die sinnlos sind. Etwa, dass ausgerechnet Kerosin von der Mineralölsteuer befreit ist. Es muss alles auf den Prüfstand.
Die FDP bringt ja jetzt eine Kürzung von Sozialleistungen ins Spiel. Was halten Sie denn von diesem Vorschlag?
Brantner: Die Transformation muss sozial ausgewogen sein. Es bringt jetzt nichts, die einzelnen Vorschläge alle durchzukauen.
FDP-Finanzminister Christian Lindner hat bereits eine Haushaltssperre verhängt. Vielleicht sollten die Grünen auch mal etwas liefern und auf ihr Lieblingsprojekt verzichten. Der Industriestrompreis . . .
Brantner: . . . ist doch kein Projekt der Grünen. Alle 16 Ministerpräsidenten haben sich für ihn eingesetzt. Wir müssen unsere Grundstoffindustrie mit ihren vielen Arbeitsplätzen in Deutschland halten. Es gibt Wirtschaftswissenschaftler, die sagen: Ist doch nicht schlimm, wenn das alles in China produziert wird, wenn es dort günstiger ist. Ich kann dazu nur sagen: Deutschland ist Industrienation und die drittgrößte Wirtschaft der Welt. Das wollen wir uns erhalten.
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