Für den Weg nach oben genutzt, dennoch ständig im Zwiespalt: Der Journalist Hugo Müller-Vogg beleuchtet das über Jahrzehnte gespannte Verhältnis des Altkanzlers mit der Presse.
Jens Feddersen, Chefredakteur der SPD-nahen "Neuen Ruhrzeitung", empfahl 1958 seinen Genossen: "Politik muss verkauft werden." Ob Helmut Kohl dieses Plädoyer für eine moderne Öffentlichkeitsarbeit jemals gelesen hat, wissen wir nicht. Wenn jemand jedoch ein Gespür dafür hatte, wie man die Macht der Medien nutzen kann, dann der "schwarze Riese", der vor fünf Jahrzehnten erst Rheinland-Pfalz modernisierte und dann die Bundes-CDU. Es stimmt, dass Kohl viele Journalisten als notwendiges Übel sah oder gar verachtete. Die mediale Klaviatur vermochte er indes bestens zu bedienen, jedenfalls wenn er wollte.
Der junge Kohl hatte zu den Medien ein Verhältnis wie die meisten Politiker: Er suchte möglichst viele Kontakte und pflegte Journalisten, denen er vertraute. Ich kann mich gut erinnern, wie Wolfgang von Gropper, Politikchef des "MM", von den "Frühschoppen" erzählte, zu denen Kohl sonntags auf die Terrasse seines Ludwigshafener Bungalows einlud.
Dabei wusste der Mann mit dem Drang nach Höherem mit seinen guten Beziehungen aufzutrumpfen. Als die journalistische Runde Zweifel anmeldete, ob der Gastgeber bei der Darstellung eines bestimmten Ereignisses nicht doch falsch liege, griff der zum Telefon und hatte kurz darauf Konrad Adenauer am Apparat. Der "Alte" bestätigte die Version Kohls, seine Gäste waren beeindruckt.
Aus dem normalen Verhältnis Kohls zu den Medien wurde erst ein gespaltenes, als er 1976 Helmut Schmidt als Kanzler beerben wollte. Der "Spiegel", der Kohl bei der Reform der CDU vom Altherren-Club zur modernen Volkspartei als großen Reformer gefeiert hatte, stellte ihn plötzlich als Provinztölpel dar: ein schlichter Pfälzer gegen einen staatsmännischen Hanseaten.
Was immer Kohl sagte, wurde ihm von der "Hamburger Mafia", wie Kohl "Spiegel", "Stern" und "Zeit" zu nennen pflegte, negativ ausgelegt. Das galt für seine eigene Einstufung als "Generalist" wie für das eigentlich kluge und demütige Wort von der "Gnade der späten Geburt", die ihn vor möglichen Verstrickungen in das Unrecht der Nazis bewahrt habe.
Die glänzenden 48,6 Prozent, die Kohl 1976 als Kanzlerkandidat holte, beeindruckte "die Hamburger" nur kurz. Das Ergebnis, das bis dahin zweitbeste seit Adenauers 50,2 Prozent von 1957, bestärkte den neuen Bonner Oppositionsführer jedoch darin, die Bürger und Wähler erreichen zu können - mit den Medien und notfalls auch gegen einen Teil davon.
Als Kohl 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum Helmut Schmidt ablöste und im März 1983 mit 48,8 Prozent von den Wählern eindrucksvoll bestätigt wurde, empfand er das auch als Sieg über die Medien. Das hinderte ihn nicht daran, die Medien für sich zu nutzen, wann immer er das für notwendig hielt. Wenn er sich alle Sommer wieder in den österreichischen Bergen mit Ehefrau und Söhnen als Familienmensch ablichten ließ, nutzte er die Macht der Bilder, mochten Fotografen und Kameraleute politisch doch denken, was sie wollten.
Gerhard Schröder hatte seinen eigenen Politikstil so beschrieben: "Zum Regieren brauche ich Bild, Bams und Glotze." Das brachte ihm den Titel "Medienkanzler" ein. Kohl hätte nie öffentlich gesagt, er brauche die Medien. Doch er wusste sie zu benutzen. Als die ungarische Regierung den Kanzler im September 1989 über die bevorstehende Grenzöffnung informierte, bat Kohl, die Verkündung dieser Nachricht auf den Abend des 10. September vorzuziehen. Das war der Vorabend jenes Bremer Parteitags, auf dem Heiner Geißler, Lothar Späth, Kurt Biedenkopf, Rita Süssmuth und andere Rebellen den "ewigen Vorsitzenden" Kohl stürzen wollten.
So konnte Kohl beim Presseabend die nach Bremen gekommenen Journalisten exklusiv über die historische Dimension der Budapester Entscheidung unterrichten. Das lenkte von den innerparteilichen Querelen ab und drängte die CDU-Rebellen in die Defensive; der Putsch scheiterte kläglich.
Gegenüber Journalisten verhielt sich Kohl nicht anders als gegenüber Politikern. Er teilte sie in Freunde und Gegner ein. Vor fair agierenden Gegnern hatte er durchaus Respekt. Kaum auf Gnade hoffen konnten dagegen vermeintliche Freunde, von denen er sich hintergangen oder betrogen fühlte. "Auch so ein Verräter", zischte er dann. Über "feindliche" Journalisten sprach er in den Kategorien "dieses Subjekt" oder in der gesteigerten Form "dieses verkommene Subjekt." Wer bei ihm "unten durch" war, der blieb das meistens auch.
Die "Bösen" im Journalismus, das waren neben den "Hamburger Blättern" - "Spiegel", "Stern" und "Zeit" - auch bestimmte ARD- und ZDF-Reporter. Zu den "Guten" zählten die "FAZ", "Bild" und mit gewissen Abstrichen das ZDF. Wenn er auf Reisen ging, gab es für die "Bösen" in der Kanzlermaschine grundsätzlich keine Plätze. Die mussten auf Kosten ihrer Verlage hinterherreisen. Für mitfliegende "Gute" fand sich meistens noch ein Plätzchen in der bequemen Businessclass, zusammen mit Wirtschaftsbossen und hohen Beamten. Mochten die "Bösen" ihn auch niederschreiben: Kohl zeigte ihnen gerne ihre Grenzen.
Kohl beklagte häufig seine angebliche Hilflosigkeit gegenüber einer aus seiner Sicht feindlichen Journaille. Aber er fand sich damit nicht ab. Die Personalpolitik der öffentlich-rechtlichen Anstalten versuchte er über seine Parteifreunde in den Gremien zu beeinflussen. Da agierte er offener als Vorgänger und Nachfolger, die dafür "ihre Leute" hatten. Er versuchte auch, den Einfluss von ARD und ZDF zu begrenzen.
Nicht von ungefähr fällt in die Zeit seiner Kanzlerschaft der Start des Privatfernsehens. Leo Kirch, der einflussreichste Gesellschafter bei SAT.1, war sein persönlicher Freund. Aber die Hoffnungen von Kohl und anderen, private Sender würden auf Dauer ein politisches Gegengewicht zu ARD und ZDF bilden, erfüllten sich ebenso wenig wie die entsprechenden Befürchtungen der Gegner dieser Medienpolitik.
Die in Ludwigshafen erscheinende "Rheinpfalz" las Kohl, um über das Geschehen im Wahlkreis informiert zu sein. Sein Leib- und Magenblatt war dagegen die "Frankfurter Allgemeine". Hier interessierte er sich brennend für alle Personalia. Gefallen fand er zum Beispiel an dem damals 30-jährigen Literaturchef Frank Schirrmacher. Den förderte er, wo immer er konnte, lud ihn zu Begegnungen mit Geistesgrößen ein.
Als es in den "FAZ"-Gremien Bedenken gegen Schirrmachers Berufung zum Herausgeber gab, lud Kohl einen Schirrmacher-Gegner unter einem Vorwand nach Bonn ein. Als der das Kanzleramt verließ, stand Schirrmachers Aufstieg nichts mehr im Wege. Dass Schirrmacher später publizistisch zu Schröder überlief, hat der Kanzler ihm nie verziehen.
Zu keinem anderen Journalisten hatte der Altkanzler ein so enges Verhältnis wie zum langjährigen "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Kohl förderte den jungen Mann bei seinem Weg an die Spitze der auflagenstärksten deutschen Zeitung, stand ihm auch bei, als Diekmanns Stern im Hause Springer einmal zu sinken drohte. Diekmann wiederum zeigte sich auch noch nach Kohls Abschied aus dem Amt dankbar und arbeitete mit allen publizistischen Mitteln an einem von keiner Niederlage oder Affäre getrübten Bild des "Kanzlers der Einheit."
Diekmann harmonierte bestens mit Maike Kohl-Richter. Sie schirmte, ganz im Interesse Diekmanns, den Altkanzler mehr oder weniger vor allen anderen Medien ab. Über den Tod ihres Mannes informierte die Witwe nicht zuerst das Bundeskanzleramt, wie Brigitte Seebacher-Brandt das getan hatte, sondern Diekmann, ihren engsten Vertrauten.
Dass Kohl in den letzten Jahren fast nur noch mit "Bild" sprach, war freilich für seinen Nachruhm nicht hilfreich. Ein gesunder, voll handlungsfähiger Helmut Kohl hätte sich wohl besser "verkauft".
Hugo Müller-Vogg
- Dr. Hugo Müller-Vogg wurde am 2. Juni 1947 in Mannheim geboren.
- Neben seinem Studium der Volkswirtschaftslehre volontierte er beim "Mannheimer Morgen", wo er später auch Wirtschaftsredakteur war.
- 1977 wechselte er zur "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
- Für die "FAZ" war er unter anderem Korrespondent in New York.
- 1978 folgte seine Promotion an der Universität Mannheim.
- Von 1988 bis 2001 war Müller-Vogg einer der Herausgeber der "FAZ" und unter anderem zuständig für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" sowie für den Regionalteil "Rhein-Main-Zeitung".
- Heute ist er freier Publizist, ist Gast in politischen Talkshows sowie Moderator und Redner.
- Seine Bücher waren sehr erfolgreich, etwa die Gesprächsbände mit Angela Merkel und Horst Köhler. Zuletzt im Quadriga Verlag erschien: "Endspurt. Wie Politik tatsächlich ist - und wie sie sein sollte. Ein Gespräch mit Hugo Müller-Vogg." ble
- Mehr Informationen unter www.hugo-mueller-vogg.de
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