Interview - Der Politikwissenschaftler Thomas König sieht Diktator Putin in den Fußstapfen von Adolf Hitler und vergleicht Russlands Weltmachtanspruch mit dem der Nazis.

Mannheimer Politikwissenschaftler: „Keine Verhandlungen mit Kriegsverbrecher Putin"

Von 
Walter Serif
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Russlands Präsident Wladimir Putin führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine ohne Rücksicht weiter. © dpa/Thomas Tröster

Mannheim. Der Politikwissenschaftler Thomas König sieht Diktator Putin in den Fußstapfen von Adolf Hitler und vergleicht Russlands Weltmachtanspruch mit dem der Nazis.

Herr König, Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hat diese Woche Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau besucht. War das klug?

Thomas König: Nein. Ich würde jemanden, der in die Fußstapfen Adolf Hitlers tritt, nicht öffentlich aufwerten. Man sollte Putin genauso ächten wie diesen Nazi-Diktator.

Vergleiche mit Hitler sind immer schwierig, gerade in Deutschland.

König: Das weiß ich. Ich finde diesen Vergleich bei Putin aber treffend. Wer dennoch versteckt oder direkt mit Russlands Diktator sympathisiert, zeigt, in welcher Ecke er steht.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz telefonieren immer wieder mit Putin. Stört Sie das auch?

König: Natürlich. Man sollte zielorientiert handeln. Die Fronten sind klar. Russland begeht Kriegsverbrechen. Deshalb würde ich mich weder mit einem Kriegsverbrecher Putin an den Tisch setzen noch ihm öffentliche Aufmerksamkeit schenken. Was bringt das?

Experte aus Mannheim

  • Thomas König wurde am 2. Februar 1961 in Münster geboren.
  • König ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft und Europäische Politik an der Universität Mannheim. Zuvor hatte er eine Professur in Speyer.
  • Seit 2017 Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

Fünf Mannheimer Stadträte haben Putin beim Internationalen Staatsgerichtshof angezeigt.

König: Das kann man machen, ich halte es auch für richtig.

Selbst wenn es Putin nicht kratzt?

König: Ja. Es geht nicht darum, Putin Angst einzujagen. Die Anzeige sendet ein klares Signal an unsere Bevölkerung: Putin ist ein Kriegsverbrecher. Daran sollte jeder – auch in der Wirtschaft – denken, der weiter Geschäfte mit Russland macht oder Verständnis für Putins Angriffskrieg aufbringt.

Kann man mit Putin noch über einen Frieden verhandeln?

König: Nein, dafür ist es zu spät, wir können nicht mit einem Kriegsverbrecher verhandeln. Die Voraussetzung für Friedensgespräche wäre ein Wechsel in Moskau. Wenn Putin bleibt, wird der Krieg eher auf dem Schlachtfeld entschieden.

Dann finden Sie es sicher gut, dass Außenministerin Annalena Baerbock der Ukraine auch schwere Waffen liefern will?

König: Es ist ein gangbarer Schritt, aber Deutschland riskiert damit auch, in einen ausufernden Krieg hineinzuschlittern.

Was meinen Sie damit?

König: Bisher tritt Deutschland eher als Bremser bei Sanktionen und Waffenlieferungen auf, was Russland in seinem Handeln eher bestärkt haben dürfte. Wir handeln taktisch von Situation zu Situation, aber ohne zielorientierte Strategie für eine Lösung.

Warum liefert Deutschland bisher denn so wenige Waffen? Das kleine Estland hat da vergleichsweise schon mehr getan.

König: Ich bin kein Waffenexperte, aber ich habe den Eindruck, dass sich die Bundesregierung in Bürokratismus verstrickt. Selbst die Angebote, die mittlerweile aus der Wirtschaft auf dem Tisch liegen, werden äußerst langatmig verhandelt.

Sie sprechen vom Schützenpanzer Marder und dem Kampfpanzer Leopard 1. Die Bundesregierung argumentiert, diese könnten erst nach monatelangem Training eingesetzt werden, Militärexperten sehen das genauso.

König: Wissen Sie, Militärexperten haben auch gesagt, dass die ukrainische Armee den russischen Verbänden hoffnungslos unterlegen sei. Wir sollten die Entscheidungsträger in der Ukraine nicht für unmündig erklären. Die werden schon wissen, was sie brauchen. Mich erinnert das alles an ein Katz-und-Maus-Spiel: Zuerst fragen wir die Ukrainer, was sie brauchen. Dann fordern wir sie auf, Listen zu erstellen. Dann schicken sie die Listen, und dann sagen wir: Das haben wir nicht. Oder: Damit könnt ihr nicht umgehen.

Die Argumentation der Bundesregierung lautet: Wenn wir unsere Wirtschaft mit einem Embargo selbst schwächen, stärkt das nur Putin. Glauben Sie das?

König: Nein. Es ist doch kein Geheimnis, dass Deutschland Putins Kriegsmaschinerie mit Öl-, Kohle- und Erdgasimporten mitfinanziert. Das sind meines Wissens 200 Millionen Euro pro Tag, die von unseren Schreibtischen auf die russischen Konten gehen.

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Manche meinen, Putin könne mit dem Geld gar nicht viel anfangen.

König: Habe ich auch gelesen. Das klingt unlogisch. Wenn Putin damit nichts anfangen könnte, warum dreht Russland dann nicht den Gashahn zu, was angeblich unsere Wirtschaft in die Knie zwingen würde? Das macht doch keinen Sinn. Abgesehen davon finde ich es äußerst unklug, dass wir ständig sagen, was wir nicht tun wollen. Dass die Bundeswehr blank dasteht, dass wir nicht militärisch eingreifen wollen und können, dass wir das Erdgas brauchen, weil es sonst bei uns zu Massenentlassungen kommen würde. Wenn wir schon keine Strategie haben, dann sollten wir dem Gegner nicht einen Informationsvorsprung verschaffen. Dadurch weiß er doch genau, was wir machen und kann seine eigene Strategie optimieren, während wir immer den Ereignissen hinterherlaufen.

Was sollten wir dann tun?

König: Wir sollten rote Linien ziehen und Russland klarmachen: Wenn ihr Chemiewaffen einsetzt, wenn ihr Völkermord begeht, dann werden wir möglicherweise intervenieren und weitere Sanktionen beschließen, bis hin zum Gasembargo.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat den Krieg gegen die Ukraine jetzt damit begründet, dass auf diese Weise die Vormachtstellung der USA auf der internationalen Bühne gebrochen werden soll. Heißt das, Russland kämpft bis zum bitteren Ende?

König: Es gibt immer wieder Signale aus Moskau, die zeigen, worum es Putin und seinen Getreuen geht. Russland will nach dem Untergang der Sowjetunion wieder auf Augenhöhe mit den USA sein. Deshalb beansprucht Putin die Vormachtstellung Russlands in Europa. Das erinnert mich sehr an Stalin, der in den 1950ern genau das angestrebt hat.

Das heißt, wenn man Russland nachgibt, wird alles schlimmer?

König: Ja. Wenn man aus politikwissenschaftlicher Sicht versucht, das Regime einzuordnen, ergibt sich folgendes Lagebild: Es gibt eine Koalition zwischen den Oligarchen und dem Militär, ein autoritäres Einparteiensystem, in dem die Oppositionsparteien nur Staffage sind, Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Gruppen und Medien . . .

. . . deshalb Ihr Vergleich mit der NS-Diktatur . . ?

König: . . . ja, auch das Völkische, dieser Traum von einem Großrussland mit der üblen Verunglimpfung der Nachbarn. Wenn man das alles zusammenfasst, lautet die Analyse: Russland verfolgt einen Weltmachtanspruch auf eine faschistoide Art und Weise wie Hitler-Deutschland.

Sind Waffenlieferungen an die Ukraine die einzige Option?

König: Nein. Eine Strategie wäre, die Vereinten Nationen einzubinden. Ideal wäre eine internationale Schutzzone im Westen der Ukraine unter einem UN-Mandat. Diese Schutzzone sollte aber nicht mit Nato- oder US-Truppen, sondern von der EU als Regionalorganisation abgesichert werden. Das könnte zumindest ein erster Schritt Richtung Frieden sein, und man hätte einen Fuß in der Ukraine. Die UN-Generalversammlung könnte dies mit Blick auf die Flüchtlingsströme unter Einwilligung der Ukraine beschließen. Nur so können wir übrigens verhindern, dass weitere zehn Millionen Flüchtlinge ihre Heimat verlassen. Wer soll die denn alle aufnehmen? Deshalb finde ich auch, dass diese Kostenrechnung, die die Bundesregierung und die Wirtschaft bezüglich des Embargos aufstellen, eine Milchmädchenrechnung ist. Was kostet uns denn der Krieg? Was kosten uns die Flüchtlinge?

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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