Interview

Karl Lauterbach fürchtet Spätfolgen der aktuellen Corona-Welle

Kommt die Maskenpflicht zurück, Herr Lauterbach? Im Interview spricht der Gesundheitsminister über die verschärfte Infektionslage, die Wirkung von Corona-Impfungen - und wie er Pflegekräfte endlich besserstellen will

Von 
Julia Emmrich
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach – hier in seinem Berliner Ministerium – ist wegen der neuen Corona-Welle in Sorge. © Reto Klar / FUNKE Foto Services

Berlin. Nur noch wenige Tage bis Weihnachten und Corona ist wieder überall: Was kann man jetzt noch tun, um sich zu schützen? Wie lange wirkt die Impfung gegen eine Infektion? Und warum werden einige die Folgen der aktuellen Corona-Welle erst im Frühjahr spüren? Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gibt im Interview konkrete Antworten – und kündigt an, was er jetzt für diejenigen tun will, die in der Pandemie am meisten gefordert waren: die Pflegekräfte.

Haben Sie heute Morgen einen Corona-Test gemacht?

Karl Lauterbach: Heute Morgen nicht, aber in den vergangenen Tagen war das nötig. Ich saß beim SPD-Parteitag länger mit jemandem zusammen, der infiziert war.

Das heißt, Sie testen sich nicht regelmäßig jeden Tag?

Lauterbach: Nein, immer nur dann, wenn ich einen konkreten Anlass dazu habe. Wenn ich zum Beispiel meine pflegebedürftige Mutter besuche, teste ich mich vorher. Ich möchte sie auf keinen Fall gefährden.

Aktuell leidet jeder zehnte Deutsche an einem Atemwegsinfekt. Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Corona-Infektionen?

Lauterbach: Wir haben im Moment sehr hohe Inzidenzen. Wir befinden uns mitten in einer Corona-Welle. Sie wird begleitet durch andere Erkältungskrankheiten und durch Infektionen mit dem RS-Virus. Der genaue Corona-Anteil ist unklar, aber sehr hoch. Hinzu kommt, dass gerade auch noch die Grippewelle beginnt.

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Corona, Grippe, RSV – wie gefährlich wird diese Dreifachwelle?

Lauterbach: Krankenhäuser und Arztpraxen sind stark belastet. Wir sehen auch wieder mehr Patienten mit einer Covid-Erkrankung auf den Intensivstationen. Meine Sorge ist, dass viele ältere Menschen schwer erkranken. Denn man darf ja nicht vergessen: Wir hatten bisher nach Corona-Wellen teilweise eine erhöhte Sterblichkeit, in den Monaten nach der Infektion treten bei Älteren vermehrt Schlaganfälle, Herzinfarkte und Thrombosen auf. Bei Jüngeren kommt es im Nachgang sogar häufiger zu neu auftretenden Diabetes-Erkrankungen. Die Spätfolgen dieser Welle könnten wir im Frühjahr sehen.

Wie schützt man sich am besten?

Lauterbach: Alle über 60 Jahre und jeder, der Risikofaktoren hat, sollte sich impfen lassen. Wer gefährdet ist, sollte jetzt Anlässe meiden, wo man sich leicht anstecken kann. Zum Beispiel Betriebsfeiern oder Weihnachtsfeiern, wo viele Menschen zusammenkommen, wo laut gesprochen wird und eine hohe Aerosol-Konzentration herrscht. Und in überfüllten Bussen und Bahnen sollten diejenigen besser Maske tragen, die vorerkrankt oder älter sind.

Kommt die Maskenpflicht zurück?

Lauterbach: Nein. Die Maskenpflicht kommt nicht mehr. In der Endemie geht es um Eigenverantwortung. Das kann allerdings bedeuten, dass man sich zwei- oder sogar dreimal im Jahr mit Corona ansteckt. Mit der Gefahr, dass man bleibende Schäden davonträgt. Manche Studien legen sogar den Verdacht nahe, dass sich die Schäden durch wiederholte Corona-Infektionen verstärken.

Kassenärztechef Gassen wirft Ihnen „überzogene“ Warnungen und Appelle vor. Sehen Sie sich als einsamer Mahner in einem Land der Sorglosen?

Lauterbach: Herr Gassen hat in der Pandemie oft eher zum Risiko geraten. Das ist ungewöhnlich. Typischerweise raten Ärzte gerade älteren und vorerkrankten Patienten, unnötige Risiken zu meiden. Das machen derzeit auch viele Hausärzte.

Haben Ihre Appelle Erfolg? Haben sich mittlerweile genügend Menschen boostern lassen?

Lauterbach: Die Quote ist viel zu gering. Das ist absolut enttäuschend. Ein Grund dafür ist auch, dass sich in letzter Zeit nur noch die lautstarken Gegner der Impfung Gehör verschaffen konnten. In der Öffentlichkeit wird inzwischen mehr über die Impfnebenwirkungen diskutiert als über den Segen der Impfung. Und das, obwohl schwerwiegende Impfnebenwirkungen sehr selten sind. Die Impfstoffe sind sehr gut untersucht worden, sie wurden Hunderte Millionen Mal eingesetzt.

Impfungen senken das Risiko für einen schweren Covid-Verlauf. Sinkt auch das Infektionsrisiko durch einen Booster?

Lauterbach: Das Risiko für eine Infektion ist für maximal zwei Monate nach der Impfung deutlich abgesenkt, man schätzt ungefähr um 50 Prozent. Danach steigt es sogar wieder an. Wir haben leider noch keinen Corona-Impfstoff, der sicher vor einer Infektion schützt – wie bei anderen Impfungen übrigens auch.

Kann ich andere schützen, indem ich mich jetzt boostern lasse? Sinkt mein Übertragungsrisiko?

Lauterbach: Geringfügig. Das Übertragungsrisiko wird indirekt gesenkt: Die Impfung reduziert das Risiko für einen schweren Verlauf. Je leichter man erkrankt, desto weniger ansteckend ist man.

Wie stark senkt eine Booster-Impfung das Long-Covid-Risiko?

Lauterbach: Experten gehen davon aus, dass das Risiko durch eine frische Impfung ungefähr um 50 Prozent sinkt.

Sind die Pflegeheime im vierten Corona-Winter gut geschützt?

Lauterbach: Die Pflegeheime waren schon im vergangenen Winter deutlich besser geschützt als zu Beginn der Pandemie. Der Aktionsplan, den wir gemeinsam mit den Akteuren der Pflege erarbeitet haben, hat dort Wirkung gezeigt. Ich bin überzeugt, das wird diesen Winter wieder so sein.

Die Pandemie ist vorbei, der Personalnotstand in der Pflege hält an. Höhere Gehälter, mehr Pflegekräfte aus dem Ausland, eine neue Pflegeausbildung – das hat alles nicht gereicht. Und nun? Wie lässt sich der Beruf attraktiver machen?

Lauterbach: Unser Problem ist, dass die Kerze von beiden Seiten brennt: Immer mehr Pflegekräfte scheiden altersbedingt aus dem Beruf aus, die Babyboomer gehen in Rente, und immer weniger junge kommen nach. Wenn wir nicht sofort handeln, wird es schwer sein, das heutige Niveau der Pflege aufrechtzuhalten. Bei den Löhnen haben wir schon viel gemacht. Das Hauptproblem ist jetzt: In Deutschland dürfen Pflegekräfte viel weniger, als sie können.

Was planen Sie?

Lauterbach: Wir wollen mit dem neuen Pflegekompetenzgesetz den Pflegekräften mehr Einfluss und mehr Entscheidungskraft in der Praxis bieten. Das macht uns auch attraktiver für gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland. Die Anwerbung scheitert an vielen Gründen, wie etwa der Sprachkenntnis oder dem Mangel an Kitaplätzen. Aber oft scheitert sie allein schon deshalb, weil qualifizierte Fachkräfte in Deutschland viel weniger dürfen als in ihrer Heimat oder in anderen europäischen Ländern.

Was sollen die Pflegekräfte konkret tun können, was jetzt nur Ärzte dürfen?

Lauterbach: Pflegefachkräfte sollen künftig zum Beispiel Ernährungsberatungen machen oder bei der Wundversorgung eigenständiger planen dürfen. Sie könnten auch über den Einsatz bestimmter Verbandstoffe, Salben oder Katheter selbst entscheiden. Fachkräfte mit Zusatzausbildung sollen zum Beispiel bei der Versorgung von Demenzpatienten künftig selbst an der Therapie mitwirken können. Fachkräfte mit akademischem Abschluss auf Master-Niveau könnten künftig zum Beispiel auch Gesundheitspraxen oder kleine Krankenhäuser leiten, bestimmte Hilfsmittel oder Medikamente selbst verschreiben oder die Verlaufskontrolle bei Disease-Management-Programmen durchführen.

Sollen Pflegekräfte auch die Einstufung in die Pflegegrade übernehmen, also das, was jetzt der Medizinische Dienst der Krankenkassen macht?

Lauterbach: Das werden wir prüfen. Der Medizinische Dienst leistet gute Arbeit. Aber in der Versorgung tätige Pflegekräfte können die Pflegebedürftigkeit auch sehr gut einschätzen. Sie leisten schließlich die Pflege jeden Tag. Ich könnte mir das zum Beispiel bei Anträgen auf Höherstufungen vorstellen oder vor der Entlassung aus dem Krankenhaus.

Was ist Ihr Hauptargument, um Schulabgänger vom Pflegeberuf zu überzeugen?

Lauterbach: Pflege ist ein absolut zukunftssicherer Beruf, er wird zunehmend gut bezahlt und bietet verantwortungsvolle Aufgaben. Viele Pflegekräfte empfinden ihre Arbeit als sehr erfüllend. Wenn wir jetzt regeln, dass gut ausgebildete Pflegekräfte künftig weiter gehende medizinische Aufgaben ausüben können, dann wird das Image des Berufs automatisch besser.

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