London. Auch ein halbes Jahrzehnt nach dem Brexit-Votum sind die Briten in der Frage zu einer EU-Mitgliedschaft ihres Landes noch immer tief gespalten. Der Brexit dominiere zwar nicht mehr die Schlagzeilen, aber das Thema sei weiterhin umstritten und polarisierend, schrieb der renommierte britische Wahlforscher John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow zum fünften Jahrestag des Referendums am Mittwoch im „Independent“.
Bei der Volksabstimmung 2016 hatten die Briten mit 52 zu 48 Prozent knapp für den Austritt aus der Europäischen Union votierten. Der Abschied aus der Staatengemeinschaft erfolgte nach langen Verhandlungen Ende Januar 2020, seit dem 1. Januar 2021 ist Großbritannien auch nicht mehr Mitglied der EU-Zollunion und des Binnenmarkts.
Premierminister Boris Johnson, der damals an der Spitze der „Vote Leave“-Kampagne für den EU-Austritt stand, betonte zum Jahrestag die Chancen, die der Brexit bringe. „Während wir uns von der Pandemie erholen, werden wir das wahre Potenzial unserer wiedergewonnenen Souveränität ausschöpfen und das gesamte Vereinigte Königreich enger zusammenbringen und auf ein höheres Niveau heben“, erklärte Johnson. Man werde die Freiheiten nutzen, die der Brexit bringe, um im ganzen Land Investitionen und Innovationen voranzubringen und Arbeitsplätze zu schaffen.
Kritiker warnen davor, dass der Brexit die britische Wirtschaft hart getroffen hat und das Land vor einer Zerreißprobe steht. So strebt die schottische Regierung die Unabhängigkeit sowie die Rückkehr in die EU an. Historiker Timothy Garton Ash warnte vor einem Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs. Der Brexit habe nicht nur die Chancen auf eine Abspaltung Schottlands erhöht, sondern auch ein Referendum über die Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland wahrscheinlicher gemacht.
Vor den wirtschaftlichen Folgen des Brexits warnte unter anderen der frühere britische Vize-Regierungschef Michael Heseltine. Der Brexit schwäche die Fischindustrie und untergrabe die Wettbewerbsfähigkeit britischer Landwirte. Zudem verschiebe die wichtige Finanzindustrie ihre Aktivitäten immer stärker in die EU.
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