Berlin. Deutschland deckt sich ein: Aus Sorge vor einer kalten Wohnung im Winter kaufen viele Menschen elektronische Heizgeräte. Sollte infolge des Konflikts mit Russland das Gas knapp werden, könnte zu Hause immerhin mit Strom für Wärme gesorgt werden. So der Gedanke dahinter. Experten, Branchenverbände und Energieversorger warnen allerdings, dass der massenhafte Gebrauch von Heizlüftern oder Radiatoren das Stromnetz zumindest örtlich in die Knie zwingen kann. Auf den Gasmangel folgte der Stromblackout - das Land säße in der Energiefalle.
Angst vor dem Notfall
Die Kunden seien von dem Wunsch getrieben, „autark zu sein und für Notfälle gewappnet zu sein“, berichtet ein Sprecher der Baumarktkette Hornbach. „Das hören wir auch immer wieder bei Gesprächen in unseren Märkten.“ Neben einem Ansturm auf Holz, Pellets oder Gas in Flaschen erlebt das Unternehmen ein zuletzt noch einmal stark gestiegenes Interesse an elektrischen Heizungen, Radiatoren und Heizlüftern. Die Nachfrage habe sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.
„Tatsächlich sind Radiatoren und Konvektoren aktuell an vielen Marktstandorten ausverkauft“, sagt der Hornbach-Sprecher. Auch vom Konkurrenten OBI heißt es, seit Anfang April sei eine „deutlich höhere Nachfrage nach elektronischen Heizgeräten“ zu spüren. Noch ist unklar, ob in den kalten Monaten das Gas in Deutschland so knapp ist, dass ein Versorgungskrise droht. Was sich aber schon absehen lässt: Das Gas wird noch teurer werden, ab Oktober können die Gashändler die gestiegenen Preise auf die Verbraucher umlegen. Droht eine Überlastung des Stromnetzes, wenn dann viele Haushalte elektrische Heizgeräte betreiben?
Vor allem in den Abendstunden könnte der Strom knapp werden „Ja, ich fürchte, das ist ein Szenario, das wir im Blick behalten müssen“, sagt Christoph Maurer vom auf Energie spezialisierten Berater Consentec. „Nutzen zu viele Leute in einem Gebiet gleichzeitig Elektroheizgeräte, dann wird es zu lokalen Überlastungen der Verteilungsnetze kommen.“ Lokal müssten dann Straßenzüge oder Quartiere vom Stromnetz abgetrennt werden. Denkbar ist ein solches Szenario in Zeiten, wenn der Stromverbrauch ohnehin hoch ist. Also etwa in den Abendstunden. Wenn dann auch noch oft mit Strom geheizt wird, kann im Ortsnetztrafo die Sicherung rausfliegen. Ein Viertel liegt dann im Dunkeln.
„Die Wiederversorgung müsste dabei vom Entstördienst vor Ort durchgeführt werden, was durchaus dauern kann“, erläutert Energieexperte Maurer. „Und wenn die Leute danach wieder anfangen mit den Elektroheizgeräten zu heizen, kann das auch wiederholt passieren.“ Davor warnt auch der Energiekonzern EnBW: „In einem solchen Fall wäre es also notwendig, Verbraucher abzuschalten.“
Konzerne noch gelassen
Die Bundesnetzagentur hält auch Stromengpässe für denkbar: „Lokale Beeinträchtigungen im Stromnetz, die auf einer hohen Leistungsentnahme beruhen, können seitens der Bundesnetzagentur nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.“
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Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) warnt, elektronische Heizgeräte hätten einen hohen Strombedarf. „Das führt angesichts der hohen Strompreise nicht nur zu hohen Kosten, sondern kann auch die Stromnetze überlasten, die nicht für einen solchen Anstieg des Stromverbrauchs ausgelegt sind“, so eine Sprecherin. Neben den lokalen Blackouts durch überlastete Netze sieht Energieexperte Maurer die Gefahr, dass die verfügbare Stromerzeugungskapazität knapp wird, wenn über ganz Deutschland verteilt strombetriebene Heizgeräte in Betrieb sind. „Die würden die Spitzenlast im Stromsystem möglicherweise so signifikant erhöhen, dass es in einzelnen Situationen nicht genügend Kraftwerke gibt, um diese Last zu decken.“ Dann müssten etwa ganze Stadtviertel „präventiv für begrenzte Zeiträume von der Stromversorgung abgetrennt werden, um einen Zusammenbruch des gesamten Systems zu verhindern“. Ein Horrorszenario für Privathaushalte, Unternehmen, Politik und Energieversorger gleichermaßen. Die großen Stromkonzerne beschreiben die Lage bisher allerdings weniger dramatisch.
In welchem Umfang die Stromnetze zusätzlich belastet werden könnten, hänge von vielen Faktoren ab, sagt ein Sprecher des Essener Energieriesen Eon. „Insofern ist aktuell keine seriöse Prognose für den Winter möglich; wir arbeiten aber schon heute daran, die Versorgungssicherheit auch unter einer höheren Belastung des Stromnetzes weiter sicher zu stellen.“ EnBW teilt mit: „Aktuell rechnen wir beim Strom nicht mit einer Mangellage, weil für die Stromerzeugung zum Beispiel weitere Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen worden sind.“ In einer „“extremen Gasmangellage“ sei aber vorstellbar, dass es „örtlich begrenzt“ zu einer Überlastung des lokalen Stromnetzes und damit zu Stromausfällen kommen könne.
Gerade in Regionen mit einem hohen Anteil an Gasheizungen seien aber die „Einsicht und das Mitwirken“ der Bevölkerung gefragt, so eine EnBW-Sprecherin. Sie bittet: Elektroheizgeräte „nur maßvoll“ einzusetzen. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur rät, lieber Gas einzusparen. „Eine Senkung der Raumtemperatur um wenige Grad ist geeignet, Spareffekte zu erreichen.“
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