Sommerreise

Habecks Höllenritt

Der Wirtschaftsminister gilt als Erklärer, doch in einem verunsicherten Land kommt auch er damit an Grenzen.

Von 
Theresa Martus
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„Hau ab!“ schallte es Robert Habeck von Demonstranten in Bayreuth entgegen. © Soeren Stache/dpa

Bayreuth/Schleusingen. Es ist der Mann mit den Zierfischen, der den Protest kurz leiser werden lässt. Jürgen Schaffer muss fast ins Mikrofon schreien, um gehört zu werden über die Pfiffe, Buh-Rufe und Tröten, die am Donnerstagabend über den Ehrenhof in Bayreuth hallen. „Ich bin einer von euch“, ruft er in Richtung der Demonstrierenden, in der Hoffnung, zu Wort zu kommen. „Ich bin hier, und ich hab’ ein Riesen-Problem“, sagt er. Eines, über das er mit Robert Habeck sprechen will. Für einen Moment lassen die Pfiffe und „Hau ab“-Rufe ein wenig nach. Doch lange hält es nicht. Schaffer muss dagegen anreden, so wie es Habeck vorher getan hatte.

Versuch des Dialogs

Der grüne Wirtschaftsminister, der in der Abwesenheit von Olaf Scholz in dieser Woche für ein paar Tage auch amtierender Kanzler war, ist unterwegs auf einer zweitägigen Sommertour, Überschrift „Wirtschaften und Arbeiten in Krisenzeiten“. Es ist eine denkbar nüchterne Beschreibung für eine Situation, in der viele Unternehmen zweifeln müssen, ob sie im Winter noch produzieren können, und Bürgerinnen und Bürger sich fragen, ob das Geld noch reichen wird zum Heizen.

Der Lärm beginnt in dem Moment, als er die Bühne betritt. Der Protest ist nicht spontan, die rund 100 Demonstranten haben Schilder mitgebracht. „Kriegstreiber“ steht darauf oder „Nürnberger Prozesse 2.0“. Einer hat einfach aufgeschrieben, wie sich seine Gasabschlagszahlung entwickelt hat.

Habeck versucht es zunächst mit Dialog: „Wenn ihr wollt, hört mal kurz zu“, sagt er, wenn die Demonstranten ihre Punkte formulieren würde, gehe er da gern drauf ein. Als das erfolglos bleibt, wendet er sich an den anderen, deutlich größeren Teil des Publikums. Wer andere versuche niederzubrüllen, zerstöre „im Kern das, was dieses Land im Moment braucht – Austausch, Debatte, Nachdenklichkeit, Argumente, um dann die richtige Entscheidung zu treffen“.

„Ein Tausender minus pro Woche“

Zu ihnen gehört auch Jürgen Schaffer, der Mann mit den Zierfischen. Seit 32 Jahren, sagt er, habe er ein kleines Geschäft für Aquaristik. Es lief gut, gut genug jedenfalls. Aber dann kam erst Corona und jetzt der Krieg mit all seinen Auswirkungen. Die Energiekosten für seine Aquarien sind hoch. Aber für Zierfische, schon dem Namen nach keine Notwendigkeit, haben die Leute plötzlich kein Geld mehr. „Ich mach‘ in der Woche einen Tausender minus“, sagt er. Ausgerechnet jetzt, wo er doch Geld zurücklegen müsste für den Winter.

Die Sorge, dass es bald vielen Menschen wie Schaffer gehen könnte, schwebt über dem Abend in Bayreuth. Am Morgen war bekannt geworden, dass die Gas-Umlage, mit der in Schieflage geratene Gasimporteure gestützt werden sollen, für Kunden noch teurer werden könnte als ohnehin befürchtet. Welchen Plan die Regierung habe, soziale Spannungen zu verringern, will eine Frau wissen, „denn der Krieg wird so schnell nicht aufhören“. Und ein zweiter Redner fragt, ob ein Kohleausstieg 2030 wirklich genug sei, um die Klimaziele zu erreichen, wenn bis dahin mehr Kohle verstromt wird. Alle Widerstände, alle Widersprüchlichkeiten, die in dieser Zeit beim Wirtschaftsminister zusammenlaufen, werden an diesem Abend grell ausgeleuchtet.

Die „Hau ab“-Rufe, die zwischendurch auch mal zu „AfD“-Rufen werden, sind inzwischen zu einem konstanten, aber leisen Hintergrundgeräusch geworden. Und mit den kritischen, den zweifelnden Fragen hat Habeck seinen Rhythmus wieder gefunden. Ganz vorn steht er auf der Bühne, die Schuhspitzen ragen über den Rand hinaus, und tut, was er seit Monaten tut: Er erklärt. In den abwägenden, verschachtelten Konstruktionen von einerseits und anderseits, die sein Markenzeichen sind, und die dann häufig trotzdem in griffige Formeln münden. Sätze wie „Putin hat das Gas, wir haben die Kraft“ etwa.

Absage an Nord Stream 2

Am nächsten Tag ist Habeck in Thüringen, bei Wiegand Glas. 3,6 Millionen Flaschen und Glasbehälter stellt die Firma allein in der Kleinstadt Schleusingen bei Suhl her, jeden Tag. Rund 1500 Grad müssen die Schmelzwannen, in denen das flüssige Glas entsteht, dafür haben, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Kühlt die Masse ab, härtet das Glas – und die Schmelzwanne ist schwer beschädigt. Um das zu verhindern, braucht das Unternehmen Gas, und das konstant. Auch vor dem Werkstor stehen Demonstranten, auch sie haben Schilder mitgebracht. „Nord Stream 2 JETZT“ steht auf einem.

„Friedliche Bürger“ seien das, erklärt drinnen Geschäftsführer Oliver Wiegand, der nach eigener Aussage vor dem Termin mit Habeck mit den Demonstranten gesprochen hat. Sie hätten ihm eine Botschaft mitgegeben: Man könne die Krise lösen, in dem man Nord Stream 2 in Betrieb nimmt. Auch Wiegand, das erklärt er auf Nachfrage, glaubt, dass die Gaspreise in diesem Fall sinken würden.

Habeck, das sagt seine Antwort, aber auch seine Mimik, glaubt das keine Sekunde. Die Pipeline, die nach wie vor keine Betriebsgenehmigung hat, einzusetzen, würde nicht nur die eigenen Werte verraten, man könne auf Russland auch keine Versorgungssicherheit aufbauen. „Das ist schiefgegangen“, sagt Habeck. „Russland ist kein verlässlicher Lieferant.“ Er wird das in den kommenden Monaten wahrscheinlich noch oft erklären müssen. Und hoffen, dass die Menschen ihm zuhören. Noch sind sie bereit, das zu tun. In Bayreuth bekommt er, neben den Pfiffen von den Demonstranten, auch immer wieder spontanen Applaus. Unter anderem von Jürgen Schaffer, dem Mann mit den Zierfischen.

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