Stuttgart. Es waren ungewöhnlich harsche und dramatische Töne, die Winfried Kretschmann (Grüne) am Montag beim Gasgipfel im Stuttgarter Neuen Schloss in seinem Eingangsstatement anschlug. Es stünden jetzt „unsere Freiheit, unser innerer Frieden, unser wirtschaftlicher Wohlstand und unsere soziale Sicherheit auf dem Spiel“, sagte er. Und: Die Gesellschaft geriete in eine Zerreißprobe, wenn der Gasmangel wirklich eintreten würde. Zugleich zeigte er sich sehr zuversichtlich, dass diese Situation vermieden werden könne – jetzt müssten alle dazu beitragen, 20 Prozent weniger Gas zu verbrauchen – dann komme man über den Winter. „Wir haben es alle zusammen in der Hand“, so Kretschmann.
Neue Kampagne „Cleverländ“
Gut 40 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Handwerk, Gewerkschaften, Sozialverbänden, Energieversorgung und Kommunen sprachen drei Stunden miteinander. Anwesend war fast das gesamte Landeskabinett mit elf Ministerinnen und Ministern. Am Ende stand eine gemeinsame Erklärung, dass „ein kurzfristig wirksames Sparprogramm“ umgesetzt werden soll. Wie dies genau aussehen kann, wird in der Erklärung nicht näher ausgeführt.
Jedes Unternehmen und jede Einrichtung sollen, unterstützt von ihren Spitzenverbänden, Sparpotenziale identifizieren und so die Verbräuche senken. Auch die Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordert, Gas zu sparen. Dazu soll es noch im Sommer eine Kampagne mit dem Titel „Cleverländ“ geben, in der konkrete Tipps vorgestellt werden. Zudem gehe es darum, schnell Genehmigungen zu erteilen, falls Unternehmen vom Gas aufs Öl umsteigen könnten.
Gesetzliche Verbote soll es vorerst nicht geben. Das sei auch nicht sinnvoll, betonte Kretschmann: Man könne doch nicht tausend Gesetze machen, die etwa verböten, länger als zwei Minuten zu duschen. Er setze auf den gesunden Menschenverstand; schließlich sparten die Bürger bares Geld, wenn sie weniger Gas und Strom verbrauchten. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sagte allerdings, dass der Bund in der nächsten Alarmstufe Ge- und Verbote ausspreche: „Genau das wollen wir verhindern.“
Daneben hat sich die Landesregierung während des Gasgipfels zu einem eigenen Fünfpunkteprogramm verpflichtet, mit dem in den Behörden und Einrichtungen des Landes der Wärme- und Stromverbrauch gesenkt werden soll. Die Raumtemperatur in den Behörden soll auf 19 Grad, womöglich gar 18 Grad gesenkt werden, sofern der Bund es genehmigt.
Warmwasser werde es in den Sanitärbereichen nicht mehr geben. Klimaanlagen sollen außer an Hitzetagen abgeschaltet bleiben. Ähnliche Maßnahmen werde es auch in den Städten und Gemeinden geben, sagte Peter Kurz, der Oberbürgermeister von Mannheim und Präsident des baden-württembergischen Städtetages.
Sorgen, dass Baden-Württemberg früher oder länger als andere Bundesländer von der Gasversorgung abgehängt werde, weil es am Ende der Leitungen liege, seien unbegründet, sagte die Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, war per Video zugeschaltet – und er habe beteuert, dass es der gesetzliche Auftrag seiner Behörde sei, eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten. Trotzdem, so Walker, besorge man gerade weiteres Gas aus Frankreich. Es gehe auch darum, im nächsten Winter die Gasspeicher nicht ganz zu leeren, sonst habe man im übernächsten Winter ein großes Problem.
„Patriotismus gefragt“
Rainer Reichhold, der Präsident des baden-württembergischen Handwerkstages, forderte die Bürger auf, jetzt noch ihre Heizung gut einzustellen, um Gas zu sparen. Ein Austausch der Heizungsanlage sei aber vor dem kommenden Winter nicht zu schaffen – etwa eine neue Wärmepumpe könne frühestens im Sommer kommenden Jahres eingebaut werden.
Winfried Kretschmann betonte im Übrigen, dass der Bund die großen regulatorischen Punkte bereits angepackt habe. Es sei ein großer Erfolg, dass der Anteil des Gases aus Russland bereits von 55 auf 30 Prozent gesenkt worden sei. Jetzt aber müsse jeder seinen Teil dazu beitragen, die restlichen Prozent zu erwirtschaften. Jetzt sei, und da wurde der Ministerpräsident plötzlich ganz pathetisch, auch „unser Patriotismus gefragt: für unser Land, für unsere freiheitliche, soziale Ordnung und für das Jahrhundertwerk des vereinten Europa“.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mehr als heiße Luft?