Mannheim. Ulrich Hoffmann ist Präsident des Familienbunds der Katholiken. Der Vater dreier Kinder sieht die Elternseite im Rentensystem zu wenig berücksichtigt.
Herr Hoffmann, Sie haben selbst drei Kinder, würden Sie sich wünschen, dass der Staat Sie stärker unterstützt?
Ulrich Hoffmann: Meine drei Kinder sind inzwischen schon erwachsenen, und finanziell ging es meiner Frau und mir nie besser als jetzt. Aber als die Kinder klein waren, sah das anders aus, da waren die finanziellen Spielräume geringer. Ich stand am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, und meine Frau hat sich vor allem um die Kinder gekümmert - eine Betreuungsinfrastruktur wie heute gab es damals auch gar nicht.
Es geht nicht darum, danach zu differenzieren, ob jemand in seinem Leben Kinder bekommen hat oder nicht. Es geht darum, Familien in der aktiven Familienphase zu entlasten.
Es gibt 150 familienbezogene Leistungen, die sich auf viele Milliarden Euro pro Jahr summieren. Reicht das nicht?
Hoffmann: Oft heißt es ja, dass der Staat 200 Milliarden Euro in Familien investieren würde, das stimmt aber nicht. Diese Zahl wurde vor ein paar Jahren von einigen Wirtschaftsinstituten in Umlauf gebracht, ist aber schlicht falsch. Tatsächlich sind es viel weniger, laut dem Bundesfamilienministerium beträgt die Familienförderung nur etwa ein Viertel dieser Summe.
Warum hält sich das Gerücht von den vielen Milliarden dann so hartnäckig ?
Hoffmann: Weil Kinder keine Lobby haben. Das ist ein altbekanntes Problem, das man zuletzt bei der Corona-Pandemie beobachten konnte. Es gab viele Gipfel zu verschiedenen Themen, aber keinen einzigen Kindergipfel. Die Folgen sehen wir jetzt, Kinder, die große Lücken in der Schule aufweisen, Jugendliche, die psychisch stark belastet sind.
Künftig soll es eine Kindergrundsicherung geben - für Familien ein Fortschritt?
Hoffmann: Die mit dem Steuerrecht eng verwobene Familienförderung ist eine komplexe Materie, das ist schwer zu durchschauen. Der Gedanke der Kindergrundsicherung ist, hier für Vereinfachung zu sorgen. Zum einen, was die Beantragung angeht, hier machen bislang nicht alle Eltern ihre Ansprüche geltend. Zum anderen sollte transparent und klarer werden, was Familien steuerlich zusteht und was wirklich Familienförderung ist.
Die Kindergrundsicherung kommt vor allem ärmeren Familien zugute. Wer gut verdient, profitiert nicht. Ist das gerecht?
Hoffmann: Wer gut verdient, ist nicht in dem Maße auf staatliche Förderung angewiesen wie die weniger gut Verdienenden, die das Geld brauchen, um eine ganz grundsätzliche Teilhabe ihren Kindern zu ermöglichen. Eine gerechte Besteuerung mit Freibeträgen für Kinder steht aber allen Familien zu.
Was ist mit Kinderlosen - müssten die sich nicht stärker an der Finanzierung des Sozialstaats beteiligen?
Hoffmann: Es geht nicht darum, danach zu differenzieren, ob jemand in seinem Leben Kinder bekommen hat oder nicht. Es geht darum, Familien in der aktiven Familienphase zu entlasten. Den Umkehrschluss, der schnell gemacht wird, dafür Kinderlose stärker zu belasten, wollen wir nicht ziehen. Es würde Familien nichts helfen, wenn man Kinderlose mehr belasten würde. Wir sollten die Gruppen nicht gegeneinander ausspielen und ausgerechnet jetzt eine weitere Front innerhalb der Gesellschaft aufmachen.
Infos zu Ulrich Hoffmann
Ulrich Hoffmann ist seit 2018 Präsident des Familienbunds der Katholiken.
Hoffmann ist Vater dreier erwachsener Kinder.
Der 1953 gegründete Verband sieht sich als parteiunabhängige Lobby für Familien. sba
Ohne Kinder würde unser Rentensystem - das auch für Kinderlose da ist - nicht funktionieren. Ein Kind zu erziehen, kostet so viel wie ein Einfamilienhaus. Müsste es hier nicht einen Ausgleich geben?
Hoffmann: Das Rentensystem ist ein Umlagesystem. Es lebt einerseits von den aktuellen Beitragszahlenden und andererseits von Menschen, die Kinder haben und deren Kinder dann auch Beitragszahlende werden. Hier wird die Elternseite zu wenig berücksichtigt, das ist ein Geburtsfehler, der auf Konrad Adenauers legendären Spruch „Kinder bekommen die Leute immer“ zurückgeht. Ursprünglich sollte es noch eine Kinderrente geben. Das heißt, Rentner und diejenigen, die noch nicht aktiv arbeiten, also die Kinder, hätten eine Rente erhalten. So aber hängt das System an den Familien, die mit ihren Kindern dafür sorgen, dass es stabil bleibt, während die Kinderlosen davon profitieren.
Neu ist diese Erkenntnis ja nicht, warum wird das Problem nicht angegangen?
Hoffmann: Der Familienbund hat 16 Jahre gerichtlich für die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit gekämpft. Leider hat das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Mai eine Klage von Eltern abgewiesen, die erreichen wollten, dass sie während der Erziehungszeiten weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen als Kinderlose.
Was waren die Gründe?
Hoffmann: Die Richter in Karlsruhe haben argumentiert, dass die Erziehungsleistung schon berücksichtigt werde, etwa, indem Kindererziehungszeiten auf die spätere Rente angerechnet werden oder Kinder beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert sind. Der Familienbund hatte im Verfahren Gutachten vorgelegt, die zeigen, dass es derzeit keinen angemessenen Ausgleich für den hohen Wert der Familienleistungen gibt. Leider setzt sich der Karlsruher Beschluss nicht mit dieser Argumentation auseinander und bleibt oberflächlich.
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