Im Kursraum der Hebammenpraxis Feudenheim wachsen die grünen Yogamatten wie Inseln aus dem dunklen Holzboden. Neben jeder Matte schwimmt ein längliches, oranges Kissen, dessen Motiv Muscheln und Seepferdchen zeigt. Das Licht ist gedimmt, und im Hintergrund spielt leise die Themenmusik von „Amélies Welt“. In den nächsten Minuten soll sich alles auf das Innerste konzentrieren – das die Frauen, die sich vorsichtig auf den Matten niederlassen, derzeit mit einem kleinen Bewohner teilen.
Kapitel 1: Das Schwangeren-Yoga
Begleitet werden Mutter und Kind dabei von Hebamme Karolin Huschak, die an diesem Morgen einen Yoga-Kurs für Schwangere gibt. In der Praxis arbeitet Huschak im Team mit anderen Kolleginnen. Da sie die Übungen am Morgen selbst mitmacht, bindet sie die Haare zu einem Zopf zusammen. Sie blickt durch den Raum und hakt auf einer Liste ab, wer da ist. Einige der Frauen werden schon bald Mutter.
Damit sie auf die Geburt vorbereitet sind, trainieren sie beim Yoga auch den Beckenboden. Angelehnt an die Wand schieben die Frauen ihr Becken nach vorne und hinten. Teilnehmerin Heike Jaspers lehnt neben der Tür, an der ein Plakat klebt, das Begriffe auflistet, die für den Beruf der Hebamme stehen. „Persönlich“ etwa – das ist auch der Kurs. Immer wieder streichen die werdenden Mütter über ihren Bauch. „Eine Hand auf das Herz und die andere auf den Bauch. Spürt die Verbindung zu eurem Baby“, flüstert Huschak bei einer anderen Übung. Die meisten haben ihre Augen geschlossen und atmen ruhig. Huschak schleicht durch die Reihen und hält ein Glöckchen in der Hand, das so klingt, als würden dicke Wassertropfen gegen eine Scheibe prasseln.
Obwohl die Glocke das einzig Musikalische ist, sind Klänge trotzdem Bestandteil der Übungen – beim „tönenden Atmen“ zum Beispiel. „Das wirkt befremdlich, wenn man es nicht kennt“, sagt Huschak und spricht danach die Frauen an. „Wählt den Vokal, der heute besonders gut zu euch passt.“ Die Frauen atmen lange ein und formen beim Ausatmen ein „A“ oder „O“ mit der Stimme, bis der Hall verstummt.
Nach einem letzten Ruheimpuls sind die Teilnehmerinnen tiefenentspannt. Für Huschak geht es zum nächsten Termin. „Ich habe eine Vorsorge, bei der wir auch einen Zuckerbelastungstest machen.“ Sie steht mittlerweile in der Küche der Praxis und zieht sich um – tauscht die Sporthose und das gemütliche Oberteil gegen Jeans und Pullover. Nebenher erklärt sie, warum Yoga so wichtig für Schwangere sein kann. „Es geht darum, das Kind und den Körper aktiv zu spüren. Außerdem ist es eine geschlossene Runde, in der man Freundschaften schließen kann und sich austauscht. Dabei stellen die Frauen oft fest, dass sie mit Problemen nicht alleine sind.“ Yoga für Schwangere anzubieten ist für Huschak eine Herzensangelegenheit, weshalb sie die Yoga-Ausbildung auch für Hebammen anbietet. Sie platziert auf einem Tablett zwei Behältnisse für die Blutproben. „Heike wartet schon oben“, sagt sie.
Kapitel 2: Die Vorsorge
Über eine Treppe geht es in den zweiten Stock der Praxis. Unter dem Dach ist ein Behandlungsraum eingerichtet. In der Mitte steht eine Liege. Darauf sitzt Jaspers, die zuvor auch im Yoga war. Den Zuckerbelastungstest machen Schwangere um die 24. Woche, um auszuschließen, dass sich ein Schwangerschaftsdiabetes entwickelt hat oder entwickeln könnte. Für den Test hat Jaspers die Glucoselösung aus der Apotheke mitgebracht. „Ich bin gespannt, wie es schmeckt.“ Sie trinkt und überlegt. „Ist ganz okay“, erklärt Jaspers lachend. „Dann stelle ich jetzt den Timer“, kündigt Huschak an.
Eine Stunde müssen sie warten, bis Huschak Blut abnehmen darf. In dieser Zeit gibt es für die Hebamme genug zu tun. Vorsichtig tastet sie den Bauch von Jaspers ab. „Hallo du Zwerglein, du bist aber groß geworden.“ Huschak misst den Bauchumfang und die Länge der Gebärmutter und trägt die Daten in Jaspers Mutterpass ein. „Willst du die Herztöne hören?“, fragt Huschak. Jaspers will.
Huschak braucht ein paar Versuche, bis sie die Töne mit dem Ultraschall-Gerät einfängt, zwischenzeitlich hört man ein Rauschen – plötzlich ein schnelles Klopfen. Der Herzschlag des Babys im Mutterleib ist schnell und liegt zwischen 120 und 140 pro Minute. Jaspers Blutdruck misst Huschak beim Vorsorgetermin auch. Jaspers bleibt bei allem gelassen – vielleicht, weil sie selbst Hebamme ist, wie sie erzählt. „Ich kenne die Hebammen-Seite. Das als Mama zu erleben, ist für mich aber auch neu.“ Eine Hebamme zu haben ist ihr wichtig. „Man hat mehr Zeit. Es ist was anderes, als nur zum Arzt zu gehen.“ Das merkt man. Die beiden duzen sich, was bei einem Arztbesuch eher unüblich wäre.
Huschak spricht mit Jaspers über Eisenmangel, Krampfadern und fragt, ob sie genug trinkt. Außerdem will sie wissen, ob die Schwangere die Bewegungen des Kindes spürt. Plötzlich klingelt der Wecker und Huschak kann Blut abnehmen. Wie 60 Minuten kam einem der Termin zur Vorsorge nicht vor, die ganze Zeit gab es etwas zu besprechen. Während sich Jaspers auf den Weg nachhause macht, geht es für die Hebamme weiter. Sie ruft beim Labor an, um einen Fahrer zu organisieren, der die Blutprobe abholt.
Gegen 12 Uhr bleibt Zeit für eine kurze Pause. Huschak verbringt diese in der Küche, um etwas zu essen. Seit acht Uhr ist sie in der Praxis. Über ihrem Kopf baumeln beim Essen sehr viele Karten von Familien, die sich für die Begleitung bedanken, liebe Worte an die Hebammen richten und ein Bild dazugelegt haben, auf dem auch der Nachwuchs zu sehen ist. Zu einer dieser Familien mit Neugeborenen geht es als Nächstes.
Kapitel 3: Die Zwillingseltern
Auf dem Weg in die Stadt erzählt Huschak, warum sie Hebamme geworden ist. „Ich bin jung Mutter geworden, und meine Erfahrung der Geburt war nicht so, wie ich es erwartet habe.“ Hinter der Windschutzscheibe ihres Autos liegt eine Karte: „Hebamme im Dienst“. „Ich dachte mir, das muss besser gehen. Eigentlich habe ich Soziologie und Pädagogik studiert. Der Hebammen-Beruf war gar nicht präsent bei mir.“ Die 43-Jährige macht erst mal eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin, lernt eine Hebamme kennen und schlägt den Berufsweg ein. Das war 2008.
Huschak biegt vom Friedrichsring in die Quadrate ein. „Das Schöne an meinem Beruf ist die Abwechslung. Natürlich gibt es Dinge, die nach einem Schema ablaufen, der Rest ist aber individuell.“ Die meiste Arbeit fällt für Hebammen nach der Geburt an. Täglich sind sie in den ersten Tagen bei den Babys zuhause. Wie bei Lina und Maila.
Die Zwillinge sind wenige Wochen alt. Als Huschak bei der Familie klingelt, öffnet Vater Hamed Montazeri mit Baby im Tragetuch die Tür. Huschak bewegt sich selbstständig in der Wohnung. Während sie Jacke und Schuhe auszieht, ist Montazeri schon wieder im Wohnzimmer. Dort wartet auch schon Mutter Meike Rittmeier. Huschak geht ins Badezimmer und wäscht sich die Hände, ehe sie auf dem Sofa Platz nimmt.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
„Wie läuft es bei euch?“, fragt sie. Das Paar schaut sich an. „Man schlägt sich so durch. Es geht immer irgendwie.“ Bei Huschaks Besuch schlafen die Zwillinge ruhig auf dem Oberkörper ihrer Eltern im Tragetuch. Als eines der Babys quengelt, setzt sich der Vater in Bewegung und geht im Wohnzimmer auf und ab. „Ich mache am Tag 12 000 Schritte“, sagt er und lacht.
In die Elternrolle findet sich das Paar langsam ein. „Vergesst dabei nicht, auf euch zu achten“, sagt Huschak. Die Eltern des Paares helfen mit und bringen Essen vorbei. „Bindet die Großeltern, sobald sie möchten, noch mehr ein, damit sie euch später entlasten können.“ Rittmeier und Montazeri nicken. Huschak beantwortet ihnen vor allem viele Fragen. Damit die Zwillinge beim Spazierengehen nicht frieren, will die Mutter wissen, wie dick sie sie anziehen sollte. Der Vater fragt, wie er die Babys vom Tuch ablegen kann, ohne sie aufzuwecken. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ohne Karolin wäre. Es ist ein Rund-um-Paket von Tipps, bis hin zu dem Gefühl von Sicherheit, das sie uns gibt.“
Nachdem sie einen Termin für die nächste Woche ausgemacht haben, verabschiedet sich Huschak, läuft alleine zurück zur Haustür und zieht sie hinter sich zu. Die Hebamme war fast eine Stunde bei der Familie. Abgerechnet werden die Termine von der Kasse. 38 Euro gibt es als Pauschale dafür. „Die Pauschale ist ein Problem.“ Denn berechnet sind diese Termine mit 20 Minuten. „Das reicht meist nicht. Entweder du beutest – hart gesagt – dich aus, weil du dir die Zeit nimmst, die es wirklich braucht, oder die Familien werden ausgebeutet, was man nicht will. Der Wert der Arbeit muss gesehen werden und sich in der Bezahlung widerspiegeln. Das wäre fair.“
Rund zwei Drittel ihres Gehalts setze sich aus Kassenleistungen zusammen. Damit kommt Huschak auf rund 2 800 Euro brutto im Monat. Weitere Einnahmen kommen durch Privatleistungen hinzu – etwa dem Yoga-Kurs, für den sie die Kosten festlegt. 30 bis 45 Stunden in der Woche arbeitet sie. In der Selbstständigkeit als freiberufliche Hebamme schwankt das Gehalt. Auch weil Huschak im Sommer fast doppelt so viel arbeitet wie im Winter.
Kapitel 4: Das erste Bad
Es ist fast 14 Uhr. Tanja Richtberg öffnet mit Baby Lilly auf dem Arm die Tür und geht zurück ins Wohnzimmer. Wieder dasselbe Prozedere. Huschak hängt ihre Jacke auf, wäscht sich die Hände und setzt sich neben Richtberg auf die Couch. Weil sie mit vielen Menschen am Tag in Kontakt ist, testet sie sich weiterhin selbst auf Corona. Hündin Emma beobachtet die Besucher, gähnt und streckt sich, bevor sie sich in ihrem Körbchen verkriecht. Sie wirkt unbeeindruckt, und das, obwohl ein besonderer Tag ist: Das Baby wird zum ersten Mal gebadet. „Ich bereite schon mal die Wanne vor“, sagt Hebamme Huschak und verschwindet im Badezimmer. Die Mutter nutzt die Zeit, um ihre Tochter zu stillen, und erzählt, wie es ihr geht. „Ich bin froh, dass ich auch beim zweiten Kind eine Hebamme habe. Sonst hätte ich nach der Geburt weniger Ruhe gegeben.“ Zwischendurch kontrolliert sie, ob ihre Tochter richtig trinkt. Hinter Richtberg schweben im Wohnzimmer pinke Luftballons. „It’s a girl“ steht auf einer Girlande, die am Fenster hängt.
Als Huschak kurze Zeit später zurückkommt, ist die Mutter fürs Erste fertig mit dem Stillen. Angekommen im Kinderzimmer legt Huschak das Baby in eine Hängewaage, um es zu wiegen. Danach folgt ein intimer Moment. Eingewickelt in ein Tuch hebt Huschak das Baby langsam über die Wanne, die im Badezimmer nebenan aufgestellt ist. Das Tuch verfärbt sich dunkler, als es mit dem Wasser in Berührung kommt. Sanft streicht Huschak das Wasser auf das Tuch und greift vorsichtig nach Lillys Händen, um ihr das Wasser zu zeigen. Aber Lilly schreit. „Jedes Baby ist anders, mein Erster hat sich richtig in die Wanne gechillt, sie scheint es noch nicht zu mögen“, sagt Mutter Richtberg schmunzelnd. „Das wird schon.“ Wenige Minuten später hat sich Lilly beruhigt, als sie wieder an der Brust ihrer Mutter liegt. Zuvor hat Huschak sie eingeölt und Richtberg gezeigt, an welchen Stellen sie ihre Tochter kontrollieren soll, damit sich dort keine Hautschuppen absetzen. Einmal in der Woche soll Lilly gebadet werden. Und die Mutter soll Übungen für die Rückbildung machen. „Dafür nehmen wir uns beim nächsten Mal Zeit.“ Der nächste Termin ist in wenigen Tagen. Huschak schließt die Tür hinter sich und nimmt schnell noch für Richtberg die Pakete des Postboten entgegen, bevor sie zurück zum Auto läuft.
Die Uhr des Armaturenbretts zeigt 15 Uhr an, als Huschak den Schlüssel in der Zündung umdreht. Sie hat nun eine längere Pause, bevor sie am Abend noch einmal einen Yoga-Kurs gibt, der um 20 Uhr zu Ende ist. Ein langer Arbeitstag. Ob sich Huschak nochmal für ihren Beruf entscheiden würde? „Immer wieder“, sagt sie und freut sich, wie glücklich sie ihre Antwort macht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-unverzichtbare-fachkraft-so-ist-die-arbeit-als-hebamme-in-mannheim-_arid,2054650.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/feudenheim.html