Berlin. Als Chancenministerium bezeichnet Bettina Stark-Watzinger ihr Haus gerne. Aber zum Start muss sich die neue Ministerin für Bildung und Forschung vor allem mit den Risiken der Corona-Pandemie befassen - und mit den Schwächen des deutschen Bildungssystems. Im Interview mit unserer Redaktion sagt sie, was ihr trotzdem Hoffnung macht.
Sie haben Ihr Abitur auf einer katholischen Mädchenschule absolviert, anschließend Volkswirtschaft und später noch Psychologie studiert. Wie prägt dieser Bildungsweg Ihren Blick auf die Pandemie?
Bettina Stark-Watzinger: Er hilft, zu verstehen, was wir im Augenblick alles erleben. Warum es etwa Menschen gibt, die sich wissenschaftlichen Erkenntnissen verschließen - und wie wir damit umgehen. Bildungseinrichtungen wie Schulen spielen in dieser Frage eine wichtige Rolle, auch bei der Aufklärung.
Studierte Volkswirtin
- Die neue Bildungsministerin stammt aus Bad Soden am Taunus, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
- Seit 2017 gehört Bettina Stark-Watzinger dem Bundestag an, seit 2021 führt sie die hessische FDP.
- Die 51-Jährige war auch schon in leitender Position an der European Business School in Oestrich-Winkel tätig. Studiert hat sie Volkswirtschaftslehre (Frankfurt) und Psychologie (London).
Führt die Omikron-Welle wieder zu Schulschließungen?
Stark-Watzinger: Wir müssen alle bekannten Maßnahmen nutzen, um Schulschließungen möglichst zu vermeiden: Hygienekonzepte, das Tragen von Masken im Unterricht, das Testen, die schnelle Impfung von Schülern und das Boostern von Lehrern. Bisher sind die Schulen kein Pandemietreiber. Omikron breitet sich sehr schnell aus, aber die Wissenschaft hat noch kein endgültiges Urteil über die Gefährlichkeit gefällt. In dieser Situation dürfen wir jedoch nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen Vorkehrungen auch für den Bildungsbereich treffen, falls Omikron schlimm wird.
An welche Vorkehrungen denken Sie?
Stark-Watzinger: Die erste Priorität ist natürlich, die Schulen offen zu halten. Deshalb hat die Bundesregierung zum Beispiel gerade das Luftfilterprogramm verlängert. Vorbereiten müssen wir uns auf die Gestaltung von Wechselunterricht, wenn er wieder erforderlich wird. Wir müssen die digitale Ausstattung der Schulen rasch verbessern und dafür sorgen, dass die Gelder des Digitalpakts schneller abfließen. Und wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass Schulschließungen notwendig werden könnten - nicht flächendeckend, aber regional.
Wir sind im zweiten Pandemiewinter. Wie kann es sein, dass Fragen von Luftfiltern und Wechselunterricht nicht geklärt sind?
Stark-Watzinger: Wir brauchen mehr Tempo. Beispiel Digitalpakt: Die Gelder, die der Bund bereitstellt, werden von den Ländern zu zögerlich abgerufen. Wir sind an vielen Stellen noch zu bürokratisch. Um die Prozesse zu vereinfachen, müssen sich Bund, Länder und Kommunen an einen Tisch setzen. Das Geld ist da. Jetzt müssen wir die Umsetzung gemeinsam beschleunigen.
Sie haben das Impfen von Schülern angesprochen. Kennen Sie die Impfquote an den Schulen?
Stark-Watzinger: Von den 12- bis 17-Jährigen sind 61 Prozent mindestens einmal und 51 Prozent vollständig geimpft. Impfbereitschaft ist also vorhanden. Wichtig sind niedrigschwellige Impfangebote. In Absprache mit Schulen und Eltern sollten mehr mobile Impfteams an Schulen eingesetzt werden, wie es beispielsweise in Schleswig-Holstein gemacht wurde. Man impft ja auch in Fußballstadien. Warum also nicht an Schulen?
Viele Jugendliche lassen sich nicht impfen, weil sie im Netz hanebüchene Geschichten über Nebenwirkungen und Spätfolgen gelesen haben. Wie werden die Lehrer ihrer Verantwortung gerecht?
Stark-Watzinger: Die Lehrerinnen und Lehrer gehen bereits mit gutem Beispiel voran. Studien zeigen, dass sie zu über 90 Prozent geimpft sind. Jeder sollte in seinem Umfeld für Impfungen werben. Das gilt natürlich auch für Lehrer.
Impfstoffe für Grundschulkinder sind inzwischen zugelassen, trotzdem hat die Ständige Impfkommission keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen. Enttäuscht Sie das?
Stark-Watzinger: Mein Wunsch wäre, dass die Ständige Impfkommission schneller wird. Wir müssen uns die Aufstellung dieses Gremiums anschauen, denn die Mitgliedschaft ist ein Ehrenamt. Und wir müssen der Stiko die Daten zur Verfügung stellen, die sie braucht, um zügiger zu einer Empfehlung zu kommen. Wir müssen uns fragen, ob die Stiko in ihrem jetzigen Format pandemiefit ist.
Würden Sie ein eigenes Kind im Grundschulalter impfen lassen?
Stark-Watzinger: Ich würde mich mit einem oder zwei Ärzten meines Vertrauens austauschen und dann mit dem Kind darüber sprechen. Meine Tendenz wäre allerdings ganz klar, dass mein Kind geimpft wird.
Im neuen Jahr wird der Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht abstimmen. Wie fällt das Votum der Abgeordneten Stark-Watzinger aus?
Stark-Watzinger: Ich werde mich dann entscheiden, wenn die Gruppenanträge vorliegen. Es gibt unterschiedliche Konzepte einer allgemeinen Impfpflicht - auch eine teilweise Impfpflicht für eine bestimmte Altersgruppe oder für Menschen mit einem besonderen Risiko. Wir sollten diese Debatte respektvoll und auf breiter Basis führen.
Wie muss der Antrag gestaltet sein, damit Sie im Bundestag zustimmen?
Stark-Watzinger: Vor allem muss er verhältnismäßig sein. Es muss etwa Klarheit herrschen, ob wir mit dieser Form der Impfpflicht die Krise nachhaltig bekämpfen können. Meine persönliche Tendenz geht zu einer partiellen Impfpflicht. Genauso wichtig ist allerdings, dass wir die entsprechende Impf-Infrastruktur bereitstellen. Dass wir Impfzentren abgebaut haben, war aus heutiger Sicht falsch. Das darf nicht wieder passieren.
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