Corona - Hausärzte halten den Stopp für die weitere Verabreichung des umstrittenen Vakzins für falsch / Kritik an Impfgipfel-Absage

Astrazeneca-Schock – und jetzt?

Von 
Alessandro Peduto und Julia Emmrich
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Der Covid-19 Impfstoff des schwedisch-britischen Pharmakonzerns Astrazeneca ist in Kritik geraten. © dpa

Berlin. Die Aussetzung des Astrazeneca-Impfstoffs in Deutschland verpasst der Pandemie-Bekämpfung einen erneuten Dämpfer. Nicht nur in der Ärzteschaft stieß die Entscheidung auf deutliche Kritik. Nach Angaben des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) hatte es sieben Fälle gegeben, in denen Blutgerinnsel der Hirnvenen im zeitlichen Zusammenhang zur Impfung aufgetreten waren. Drei der Fälle seien tödlich verlaufen. Allerdings ist weiterhin unklar, ob es einen ursächlichen Zusammenhang gibt.

Neben Deutschland haben inzwischen mehr als ein Dutzend weitere EU-Mitgliedstaaten die Verwendung von Astrazenca ausgesetzt. Emer Cooke, Chefin der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erklärte am Dienstag, man sei immer noch „zutiefst überzeugt“, dass die Vorteile des Impfstoffs das Risiko der Nebenwirkungen überwiegen. Die Behörde will am Donnerstag ihre Einschätzung zur weiteren Verwendung abgeben.

Für Deutschland hat die Astrazeneca-Aussetzung erhebliche Folgen. Immerhin ist es das zweitwichtigste Vakzin gegen das Corona-Virus. Tausende Impftermine mussten abgesagt werden. Auch die Entscheidung über die geplante Verabreichung in Hausarztpraxen verzögert sich. Dabei sollten Bund und Länder an diesem Mittwoch festlegen, ab wann Hausärzte Astrazeneca impfen. Nun wurde der Termin auf Freitag verschoben.

Wie groß ist der Schaden für die Impfkampagne?

Auch wenn die EMA zu dem Ergebnis kommt, dass der Wirkstoff von Astrazeneca weiterhin verwendet werden darf, müssen die Menschen länger auf ihren Corona-Schutz warten. Denn tausende Impftermine wurden abgesagt und müssen nachgeholt werden. Die Hausärzte warnen vor negativen Folgen. „Die Aussetzung des Impfstoffs von Astrazeneca maximiert den Imageschaden, unter dem die deutsche Impfstrategie von Beginn an leidet“, sagte der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, dieser Redaktion. Der Schritt trage nicht dazu bei, „das schwindende Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wieder zu stärken“.

Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, sagte, parallel zu der Überprüfung der Einzelfälle solle die Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff fortgesetzt werden. Der Impfstopp sei falsch: Die Bundesregierung habe über den Kopf der Menschen hinweg einen Stopp verfügt, ohne zu berücksichtigen, dass die Menschen bei entsprechender Aufklärung selbst entscheiden können, ob sie geimpft werden wollen oder nicht“, so Johna. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte die Absage des Impfgipfels als „kontraproduktiv und falsch“. Das Treffen müsse stattfinden.

Was, wenn die EMA Astrazeneca die Zulassung entzieht?

Es wäre ein dramatischer Rückschlag im Kampf gegen Corona. Damit würde einer von derzeit drei Impfstoffen in Deutschland komplett wegfallen. Der Kampf gegen das Virus käme damit viel langsamer voran. Auch die Impfpriorisierung, die ja zuletzt wegen mehr verfügbarer Dosen gelockert wurde, würde wohl neu debattiert werden müssen, da es insgesamt weniger Impfstoff gäbe. Ein Entzug der Zulassung gilt derzeit aber als unwahrscheinlichere Variante.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu jüngsten Verdachtsfällen?

Die sieben Fälle einer speziellen Thrombose, die Grund des Aussetzens der Astrazeneca-Impfungen waren, betrafen laut PEI Menschen zwischen etwa 20 und 50 Jahren. Sechs davon hätten eine sogenannte Sinusvenenthrombose gehabt, alles Frauen in jüngerem bis mittlerem Alter. Ein weiterer Fall mit Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen sei medizinisch sehr vergleichbar gewesen. „Alle Fälle traten zwischen 4 und 16 Tagen nach der Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff Astrazeneca auf“, hieß es. Drei der sieben Betroffenen seien gestorben.

Die Zahl der Fälle nach Impfungen mit Astrazeneca ist den Angaben nach statistisch bedeutend höher als die Anzahl von Hirnvenenthrombosen, die normalerweise in der Bevölkerung ohne Impfung auftreten. Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, werde aktuell untersucht. Weiter betonte das Institut, von den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel sei nicht die Altersgruppe betroffen, die ein hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Covid-19-Verlauf habe – also nicht Senioren, sondern Menschen in jüngerem bis mittlerem Alter. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erklärte, das Risiko liege bei etwa 1:250 000. Für Ältere überwiege daher der Nutzen einer Impfung.

Worauf sollten Geimpfte besonders achten?

Entwickeln sie 4 bis 14 Tage nach der Impfung mit Astrazeneca dauerhafte Kopfschmerzen oder punktförmige Hautblutungen, sollten sie einen Arzt aufsuchen.

Was ist mit Menschen, die auf die zweite Astrazeneca-Dosis warten?

Nach Ansicht von Experten müssen sie sich zunächst keine Sorgen um fehlenden Immunschutz machen. „Nach allem, was wir wissen, ist es nicht problematisch, die zweite Impfung aufzuschieben“, sagte Stefan Kaufmann, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. Bereits die erste Dosis schützt vor schweren Verläufen. Laut Herstellerangaben sollte die zweite Dosis innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach der ersten Dosis gegeben werden. Der Impfstoff ist ungeöffnet im Kühlschrank sechs Monate haltbar.

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