Doppel-Ministerpräsident - Bernhard Vogel spannt den Bogen zwischen seiner Tätigkeit in Rheinland-Pfalz und Thüringen

„Es gibt blühende Landschaften“

Von 
Walter Serif
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Bernhard Vogel (rechts) mit Reporter Walter Serif in Speyer. Der Kurpfälzer ist der einzige Politiker, der in zwei Bundesländern Ministerpräsident war. © Venus

Speyer. In Bernhard Vogels Politiker-Brust schlagen zwei Herzen. „Als ich 1988 meine politische Karriere in Rheinland-Pfalz beendete, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, noch einmal Ministerpräsident zu werden – und das in einem Bundesland, das es 1988 noch gar nicht gab“, blickt der 86-Jährige im Gespräch in seinem Haus in Speyer auf den Wendepunkt seiner Laufbahn zurück.

Von 1992 bis 2003 war der frühere CDU-Politiker Regierungschef in Thüringen. Im Gegensatz zu seinem mit innerparteilichem Streit verbundenen Abgang in Rheinland-Pfalz gelang Vogel im Freistaat der Rücktritt zum optimalen Zeitpunkt. Mit Dieter Althaus baute er auch noch den geeigneten Nachfolger auf.

Der Pfälzer denkt jedenfalls oft und gerne an die Thüringer Zeit zurück. Dabei schwingt auch ein bisschen Stolz mit. „Städte wie Erfurt, Dresden oder Potsdam brauchen den Vergleich mit keiner Landeshauptstadt in Westdeutschland zu scheuen“, sagt er. Und mit Blick auf den legendären Ausspruch des verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl meint Vogel: „Später als erhofft, gibt es jetzt blühende Landschaften.“

Aber nicht überall. „Wie schwer der wirtschaftliche Umbau ist, sehen wir ja noch heute“, räumt Vogel ein. Dafür gibt es nach seiner Einschätzung auch einen demografischen Grund: Weil jeweils zwei Millionen Menschen vor dem Bau und nach dem Fall der Mauer abwanderten, sei die Einwohnerzahl im Osten heute so niedrig wie zuletzt 1905, verweist Vogel auf eine Studie des Münchener Ifo-Instituts. Zum Vergleich: Im Westen hat sich die Bevölkerungszahl seither verdoppelt.

Der Speyerer betont, dass nicht die Wiedervereinigung, sondern die lange Trennung vom „Wirtschaftswunder“-Land für die auch heute teilweise schwierigen Verhältnisse verantwortlich sei: „1989 war die Wirtschaft der DDR nicht konkurrenz- und lebensfähig.“ Die Gefahr sei groß gewesen, dass der Osten nach der Wiedervereinigung zum Süditalien Deutschlands werden könnte. „Diese Gefahr wurde abgewendet. Das lag auch an der Arbeit der Treuhand, die meiner Meinung nach zu Unrecht kritisiert wurde.“

Aber hat die Treuhand nicht die DDR-Wirtschaft plattgemacht? „Das ist viel zu einseitig. Es war doch in Wahrheit so: Nicht einmal die DDR-Bürger wollten damals noch die alten DDR-Waren kaufen. Also war es auch nicht mehr zu verantworten, sie weiter zu produzieren“, sagt Vogel und nennt ein Beispiel aus Thüringen für die Folgen des schmerzhaften Umbaus. „In Eisenach produzierten fast 10 000 Arbeiter den Wartburg, auf den die Kunden bis zu 20 Jahre warten mussten. Nach dem Mauerfall wollte ihn keiner mehr kaufen, sondern lieber einen VW oder BMW haben.“ Schließlich wurde in Eisenach ein Opel-Werk angesiedelt. „2000 Arbeiter produzierten dann mehr als vorher 10 000, das bedeutet auch, dass 8000 arbeitslos wurden“, erklärt er die sozialen Folgen des Umbaus der Planwirtschaft.

In den vergangenen 30 Jahren sei der „Weg lang und steinig“ gewesen lautet das Fazit jenes Mannes, der in der alten Bundesrepublik als Politiker groß geworden ist und dann das Rentnerdasein aufgab, um sich einer neuen Herausforderung zu stellen. Der Vorteil dabei: Vogel kennt die Befindlichkeiten der West- und Ostdeutschen gleichermaßen.„Den Menschen im Osten muss das gelegentlich geäußerte Gefühl genommen werden, nur Bürger zweiter Klasse zu sein. Auch dadurch, dass sich die Westdeutschen mehr für das Leben im Osten interessieren sollten, als sie das leider nach der Wiedervereinigung getan haben.“

Und woran liegt das? Die Ostdeutschen hätten sich zu DDR-Zeiten sehr stark für die Bundesrepublik interessiert. Sie konnten sich – wenn sie nicht im Raum Dresden, dem „Tal der Ahnungslosen“, lebten – in der ARD und im ZDF informieren. „Kein Westdeutscher schaute dagegen die Aktuelle Kamera im DDR-Fernsehen. Er hätte ja auch nichts erfahren“, sagt Vogel. Manche im Westen hätten in der Wiedervereinigung nur die erfreuliche Vergrößerung der Bundesrepublik gesehen. „Sie haben aber nicht begriffen, dass sich nicht nur im Osten, sondern auch im Westen etwas ändern muss“, sagt Vogel.

Er hält jedenfalls nichts davon, wenn die früheren DDR-Bürger sich kleiner machen oder gemacht werden, als sie es damals waren. „Es war schwieriger, in der DDR ein einigermaßen anständiges Leben zu führen. Deshalb hätten die Westdeutschen allen Grund, für die Lebensleistung dieser Menschen Hochachtung und Dankbarkeit zu zeigen. Das gilt natürlich besonders für deren größte Lebensleistung: die friedliche Revolution.“

Bernhard Vogel

  • Bernhard Vogel wurde am 19. Dezember 1932 in Göttingen geboren. Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Volkswirtschaft erst in München, dann in Heidelberg. Er promovierte beim legendären Dolf Sternberger.
  • Vogel trat 1960 der CDU bei, sein sechs Jahre älterer Bruder Hans-Jochen war da schon in der SPD. Nach zwei Jahren im Bundestag (Wahlkreis: Neustadt an der Weinstraße) gab Vogel 1967 das Mandat zurück und wechselte als Kultusminister ins Mainzer Kabinett. 1971 wurde er in den Landtag gewählt, den Landesvorsitz übernahm er 1974.
  • Ministerpräsident wurde Vogel 1976. Zwölf Jahre später trat er zurück und gab auch den Parteivorsitz auf. 1992 das Comeback als Ministerpräsident in Thüringen. 2003 beendete er seine politische Laufbahn. was

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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