Worms. Folgt man nur den Zahlen, dann haben sowohl Karl der Große als auch Barbarossa die meisten ihrer Hof- und Reichstage in Worms abgehalten und sich auch darüber hinaus ausgesprochen häufig in der Stadt aufgehalten. Eine Landkarte dokumentiert die Häufungen. Je mehr Versammlungen und Aufenthalte, desto größer der Punkt um die jeweiligen Städtenamen. Das Ergebnis: Beim Namen Worms sind die Punkte in Rot (Karl der Große) und blau (Barbarossa) am dicksten. In Worms habe Karl zweimal geheiratet und sich sogar häufiger aufgehalten als in Aachen, sagt der Wormser Künstler Eichfelder. Erst als im Dezember 790 die Wormser Pfalz des Herrschers abbrannte, verlegte er den Schwerpunkt seiner Herrschaft nach Aachen.
Das Kunstwerk - eine „Borbetografie“, wie Eichfelder es in Anlehnung an den ersten überlieferten Namen der keltischen Siedlung „Borbetomagus“ nennt.
Weil diese beiden Herrscher allerdings kaum sichtbare Spuren in Worms hinterlassen haben, holt Eichfelder dies jetzt nach. Er wird ihnen einen mächtigen Thron bauen, der aus 19 schweren Rotsandsteinblöcken demnächst auf dem Weckerlingplatz stehen soll. Er hat zwei Sitzflächen in entgegengesetzte Richtungen mit einer gemeinsamen Rückenlehne. Die Sitze symbolisieren die beiden Herrscher. Je nachdem, auf welcher Seite man Platz nimmt, erblickt man den Kaiserdom oder das Museum der Stadt in der mittlerweile säkularisierten Andreaskirche.
Mythos Worms
Veranstaltungen begleiten die Schau. So spricht Historiker Matthias Becher über Karl den Großen und sein Wirken in Worms (28.09.), und Gerold Bönnen, Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, beleuchtet den Stellenwert von Worms für Friedrich I. Barbarossa (13.10.).
Eichfelder hat die Sagengeschichte Worms’ auch etwa in Kriemhilds Rosengarten (Rheinufer) oder an Siegfrieds Grab (Torturmplatz) thematisiert.
Noch sind nicht alle Genehmigungen für das 7,5 Tonnen schwere Gebilde beisammen. Als Modell aus Holz kann der Thron jedoch schon bestaunt und gerne auch bestiegen werden. Das Gebilde ist Mittelpunkt einer Ausstellung, die die 3000-jährige Geschichte der Luther-, Nibelungen-, Reichs- und Judenstadt künstlerisch aufarbeitet. Eichfelder baut leidenschaftlich mit am „Mythos Worms“, so der Name der Schau, die noch bis zum 1. November im Museum Andreasstift am Weckerlingplatz zu sehen ist.
Marschierende römische Armee
Die Wände des ehemaligen Kirchenschiffs ziert nun ein 30 Meter langes und drei Meter hohes, hintergrundbeleuchtetes Kunstwerk, eine „Borbetografie“, wie Eichfelder es in Anlehnung an den ersten überlieferten Namen der keltischen Siedlung „Borbetomagus“ nennt. Es dominieren die Farben Rot und Grün. Rot steht für Gewalt und Leid, Grün für die Hoffnung. Immer wieder züngelt in dieser kunstvoll im Wortsinne vielschichtig arrangierten Stadtgeschichte das Rot flammenartig nach oben, wobei Grün das Werk durchaus dominiert - Eichfelder ist Optimist.
Ein Jahrhundert misst einen Meter auf dem Werk, dort hat Eichfelder jeweils die Gesichter und Formen der Zeit untergebracht, die im Dunst der Geschichte verschwimmen und zuweilen besser aus drei Metern Entfernung zu erkennen sind. Lediglich die historisch verbürgten Ereignisse sind in mehr oder minder großen Kreisen schriftlich festgehalten. Den Rest darf der Betrachter selber entdecken und sich erschließen, etwa eine marschierende römische Armee im ersten Jahrhundert. Etwas später spielt der Heilige Martin die Hauptrolle. Er musste sich der Legende nach als erster prominenter Kriegsdienstverweigerer in Worms vor Kaiser Julian verantworten und wanderte für seine neu entdeckte christliche Friedfertigkeit in den Kerker - dort wo später die Martinskirche entstanden ist. Das alles lässt sich auch in Eichfelders Werk entdecken.
1200 Jahre später - und somit zwölf Meter weiter auf der „Borbetografie“ - steht ein anderer Martin wieder in Worms vor einem Kaiser, um sich zu rechtfertigen. Namenspatron Luthers war übrigens genau jener Martin von Tours, den heute jedes Kind durch seinen legendären Dienst am Armen kennt, als er seinen Mantel teilt. Es sind viele große und kleine Geschichten in dem riesigen Kunstwerk versteckt. Etwa die mittelalterliche Stadtmauer, die mit einem Teil des Lösegeldes für Richard Löwenherz bezahlt wurde. Immerhin wurde der Deal seiner Freilassung in Worms verhandelt.
Balken eines Klimadiagramms
Dass die Pest und das erste Judenpogrom der Stadt fast zum gleichen Zeitpunkt stattfand, ist leider kein Zufall. Das ungebildete Volk schob den Juden die Pest in die Schuhe, weil sie weniger Opfer zu beklagen hatten. Dabei waren die Juden schlicht reinlicher in der Körperpflege. Am Ende steht dann doch ein eher pessimistischer Ausblick. Die angedeutete Zukunft auf dem letzten Teilstück der Borbetografie ist rot. Allerdings züngelt da nichts. Vielmehr sind es Balken eines Klimadiagramms, die nach oben ausschlagen und die ansteigenden Grade symbolisieren.
Es gibt vieles zu entdecken auf diesen 30 Metern und 3000 Jahren. Für Erläuterung der vielen versteckten Andeutungen sorgt ein Audioguide, den sich jeder Handybesitzer herunterladen und anhören kann.
Im gut klimatisierten Weißen Saal neben dem Kirchenschiff gibt es weitere Werke von Eichfelder zu sehen, die mit der Borbetografie korrespondieren, digital geschaffene Kunstwerke, die dreidimensional wirken, und Petroglyphen, die aus Sand, Acryl, Aluminium und Öl entstanden und tatsächlich dreidimensional sind.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms_artikel,-worms-mythos-worms-30-meter-fuer-3000-jahre-stadtgeschichte-_arid,2110254.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms.html