Worms. Das schmuck sanierte Wohn- und Geschäftshaus in der Fußgängerzone, in dem unter anderem eine Buchhandlung, mehrere Büros und Privatwohnungen untergebracht sind, ist eines von nur noch sehr wenigen barocken Gebäuden, die die Innenstadt von Worms vorzuweisen hat. Ein zweites steht in Blickweite am Ludwigsplatz, ein drittes beherbergt am Neumarkt wenige Hundert Meter weiter südlich im Schatten des Kaiserdoms eine Apotheke. Besichtigen lassen sich die Häuser nicht. Sie haben jedoch eine wechselhafte Geschichte hinter sich.
Seinen Namen hat der Wambolder Hof vom Adelsgeschlecht der Familie Wambold von Umstadt. Auch in Bensheim gibt es einen einstigen Adelshof, der sich zwar geringfügig anders schreibt, nämlich „Wambolter Hof“. Aber es ist dasselbe Geschlecht, das die beiden repräsentativen Residenzen errichten ließ.
Barocker Festungsbauer
Erbaut wurde das Wormser Gebäude in der heutigen Kämmererstraße im Jahr 1710 von dem in seiner Zeit sehr namhaften Architekten Maximilian von Welsch. Der gilt als bedeutender Vertreter des barocken Festungsbaus, der auch in der Region seine Spuren hinterlassen hat. So vollendete er unter anderem die Festung von Mainz. Aber auch Schlösser hat er geschaffen, etwa in Bruchsal, das Schloss Biebrich in Wiesbaden und das nicht mehr existierende Mainzer Lustschloss Favorite gegenüber der Main-Mündung.
Zudem schuf von Welsch neben weiteren repräsentativen Adelshäusern 1710 den Wambolder Hof – als Palais für die Wormser Domherren der Wambolds von Umstadt. Sie waren Mitglieder des Domkapitels. Worms war bis zum Jahr 1801 Bischofssitz. Das Domkapitel besaß sowohl in kirchlichen als auch weltlichen Angelegenheiten eine erhebliche Machtfülle. Insofern übten die Domherren einen großen Einfluss auf die Verwaltung des kleinen Wormser Territorium aus. Allerdings wohnten die adligen Domherren ebenfalls selten in der Stadt. Deshalb benötigten sie einen repräsentativen Bau für die Zeit, in der sie in der Stadt ihre Geschäfte verrichteten.
Erholung vom Erbfolgekrieg
Das Findbuch des Staatsarchivs Darmstadt weist drei Wambolds von Umstadt aus, die das Amt eines Domherren in Worms bekleideten. Ein Anselm Kasimir Freiherr Wambold von Umstadt war seit 1691 Domherr von Worms, wirkte aber auch in Speyer und Mainz. Das belegt einmal mehr, wie eng die Verbindungen der drei oberrheinischen Zentren in Mittelalter und früher Neuzeit war. Anselm Kasimir starb 1723, dürfte den Bau der Residenz um das Jahr 1710 demnach aktiv begleitet haben. Ein weiterer Vertreter der Familie Wambold von Umstadt, Franz Christoph, war übrigens der letzte Domdekan, also Vorsteher des Domkapitels, bevor das Bistum Worms 1801 aufgelöst wurde.
Der Wambolder Hof steht zudem architektonisch für eine Zeit, in der sich Worms von dem Grauen des Pfälzischen Erbfolgekrieges zu erholen versuchte. Die Zerstörung dürfte ähnlich fürchterlich gewesen sein wie die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs. Im Grunde markiert der Pfälzische Erbfolgekrieg den Anfang vom Ende der großen Bedeutung der alten Reichsstadt.
Doch das Leben kehrte in die niedergebrannte Stadt zurück. Und dabei profitierte Worms auch architektonisch durchaus von dem Kampf der Katholiken und der Lutheraner um die Vorherrschaft. Beide Seiten versuchten, sich auch durch sakrale und profane Gebäude zu übertreffen und ihre Bedeutung für die Stadt so sprichwörtlich zu untermauern. Es entstand die 1725 eingeweihte evangelische Stadtpfarrkirche, die Vorgängerin der heutigen Dreifaltigkeitskirche am Marktplatz. Und nur wenige Jahre später, von 1738 bis 1742, schuf der bedeutende Würzburger Architekt Balthasar Neumann den Hochaltar des Wormser Doms.
Zu Fuß durch zwei Jahrtausende
Der Wambolder Hof in der Kämmererstraße 42 kann als Wohn- und Geschäftshaus im Besitz des Deutschen Museums in München nicht von innen besichtigt werden.
Allerdings bietet eine Stadtführung unter dem Titel „Zu Fuß durch zwei Jahrtausende“ allerlei Informationen auch über den pfälzischen Erbfolgekrieg und seine Folgen für die Stadt. Buchbar ist eine Stadtführung, die auch in den Dom, ans Lutherdenkmal und über den jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“ führt, der seit 2021 Teil des Unesco-Welterbes ist. Karten lassen sich online über die Internetadresse www.worms-erleben.de reservieren.
Die Führungen finden samstags ab 10.30 Uhr sowie sonn- und feiertags ab 14 Uhr statt. Treffpunkt ist jeweils am Südportal des Wormser Doms. Eine Führung dauert zwei Stunden und kostet 8 Euro pro Person. Kinder bis 14 Jahre sind frei.
Weitere barocke – wiederaufgebaute – Häuser gibt es in der Kämmererstraße 53, in der ein Optikerfachgeschäft zu finden ist, und am Neumarkt 1, das Eckhaus zur Andreasstraße. Auch diese Häuser sind im Privatbesitz und nicht zu besichtigen.
Ein Besuch lohnt jedoch die Dreifaltigkeitskirche am Marktplatz, die ebenfalls in der Reformationszeit zwischen 1709 und 1725 entstand. Die Außenmauern hielten den Bombenangriffen stand. Der Innenraum brannte aus, wurde neu gestaltet und ist absolut sehenswert. Die Kirche ist von 9 bis 17 Uhr geöffnet. bjz
Das Baugewerbe habe durchaus von der Anwesenheit des Klerus und der bischöflichen Regierung in Worms profitiert“, schreibt Historiker Gunther Mahlerwein in der „Geschichte der Stadt Worms“. Nach der Stadtzerstörung 1689 habe die Geistlichkeit den Wiederaufbau von mehr als 70 Gebäuden in Auftrag gegeben. „Diese teilweise sehr aufwendig gebauten Häuser und Höfe dürften alleine den Bauhandwerkern über viele Jahre eine gute Auftragslage verschafft haben“, schreibt Mahlerwein. Auch der allergrößte Teil der 910 Häuser, 100 Scheunen und zehn Mühlen, die 1805 in Worms gezählt wurden, stammen aus dem 18. Jahrhundert.
Barocke Substanz zerstört
Es entstanden viele weitere Adelshöfe in der Stadt, von denen spätere Stadtplaner und letztlich der Zweite Weltkrieg nicht viel übrig gelassen haben. So schloss sich dem Wambolder Hof in der Kämmererstraße der Wessenberger Hof an, Residenz eines weiteren Adelsgeschlechts, das ebenfalls eine Reihe von Domherren stellte. Das Gebäude musste Ende des 19. Jahrhunderts dem Kaiserlichen Hauptpostamt weichen. Dieser Bau machte im Jahr 2004 wiederum der Kaiser Passage Platz. Das Einkaufszentrum lockt heute zum Shoppen in die Wormser Innenstadt. In der nur wenige Hundert Meter entfernten Andreasstraße bot der Bettendorfhof einen bedeutenden Schauwert. Er wurde jedoch auch im Krieg zerstört. Die Ruinen mussten einem typischen, funktionalen Nachkriegsbau aus Beton, Stahl und Glasfassaden weichen, der zuerst das Landratsamt des Kreises Worms, dann das Gesundheitsamt und das Katasteramt der Stadt beherbergte. Der Bau im Besitz der Stadt steht seit Jahren leer. Ideen für das Andreasquartier gibt es viele. Es fehlt fehlt jedoch an Geld und Zug.
Zurück zum Wambolder Hof: Auch dieses Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Doch blieb ihm das Schicksal vieler anderer barocker Residenzen erspart. Seinen Wiederaufbau verdankt das Gebäude dem Wormser Bürger Friedrich Apfel und dessen Frau Hanna. Es entstand jedoch neu in einfacherer Form. Gleichwohl ist das Gebäude heute mit feuerrot abgesetzten Fenstereinfassungen und zwei kleinen Reliefs ein schmucker Blickfang. In der Mitte des langgestreckten Palais fällt eine von Säulen flankierte Einfahrt auf, über der ein kleiner Balkon thront. Auch im Inneren bietet ein weit auslaufendes Treppenhaus viele Blickfänge, die der Öffentlichkeit freilich verborgen bleiben. Die Türen zu den einzelnen Wohnungen und Büroräume sind aufwendig aus Holz gearbeitet und in schwarzen Rahmen gefasst. In die Fenster sind schmucke Glasmosaiken eingelassen.
Deutsches Museum als Erbe
Nach dem Tod ihres ersten Ehemanns heiratete Hanna Apfel den Physiker Erich Bragard. Die beiden wohnten selbst im Wambolder Hof. Da beide Ehen kinderlos geblieben sind, vermachte Hanna Bragard den Wambolder Hof dem Deutschen Museum in München. Testamentarisch verfügte die Erblasserin, dass die Mieteinnahmen des Hauses der Luftfahrt- und Schifffahrtsausstellung zugutekommen sollen. Aktuell wird das Geld dort gut gebraucht – schließlich wird die Schifffahrtsschau gerade aufwendig saniert.
Dass das Deutsche Museum Immobilien vermacht bekommt, geschehe nicht gerade häufig, so eine Sprecherin. Der Wambolder Hof habe durch seine Geschichte zudem eine besondere Bedeutung.
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Hanna Bragard hat auch in anderer Weise den Grundstein für nachhaltige Wohltätigkeit gelegt. 1995 gründete sie die Hanna-Bragard-Apfel-Stiftung. Deren Zweck ist die finanzielle Förderung der Alzheimer Forschung, unter der ihr zweiter Mann litt. Gespeist wird die Stiftung unter anderem aus den Erlösen eines weiteren Wohn- und Geschäftshauses, das etwas weiter südlich des Wambolder Hofes in der Kämmererstraße steht. Die Mieteinnahmen dieses Wohn- und Geschäftshauses sorgen immerhin dafür, dass die Stiftung jährlich rund 45 000 Euro für Forschungsprojekte ausschütten kann.
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