Wormser Liebfrauenkirche: Das Kleinod im Rebenmeer

Die Wormser Liebfrauenkirche entstand in fast 200 Jahren Bauzeit. Noch heute ist sie Ziel einer bekannten Marien-Wallfahrt

Von 
Klaus Backes
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Blick durch das Portal des verschwundenen Kreuzgangs auf Reben und die Liebfrauenkirche. Das Foto symbolisiert die jahrhundertelange Verbundenheit zwischen Gotteshaus und Wein. © Klaus Backes

Worms. Wir sind mächtig stolz auf unsere Liebfrauenkirche.“ Ernst Josef Unselt deutet auf das riesige Gebäude. Dann zählt der Pfarrgemeinderat drei Alleinstellungsmerkmale auf: Die größte rein gotische Kirche in Rheinland-Pfalz, die Marienwallfahrt und schließlich der Wein, der um das Gotteshaus wächst. Bis zur Auflösung im Jahr 1802 gehören die rund 15 Hektar großen Wingerte dem Liebfrauenstift und gelangen dann in private Hände. Im 19. Jahrhundert genießt der hier angebaute Riesling Weltruhm, zu den Kunden zählt das englische Königshaus. Doch da die Marke „Liebfrauenmilch“ nicht geschützt ist, nutzen viele andere Winzer den Namen, der bald für süßen und billigen deutschen Weißwein steht. Die Besitzer der Weinberge um die Kirche ziehen schließlich die Reißleine, geben ihren Produkten die Bezeichnung „Liebfrauenstift-Kirchenstück“ und lassen diese schützen. So erhalten die Weine aus einer der weltweit traditionsreichsten Lagen wieder ihre Exklusivität zurück.

Pure Gotik: Blick ins Langhaus der Liebfrauenkirche. © Backes

„Sie ist ein Kleinod im Rebenmeer“, charakterisiert Gerd Sonnenberg, Stadtführer und ebenfalls Mitglied der Pfarrgruppe Worms-Nordstadt, das Gotteshaus, das ab 1276 entstand. Ältester erhaltener Bauteil ist das Südportal. Dann kommt es um 1310 zu einer Planänderung, die vermutlich mit der wachsenden Bedeutung der Marienwallfahrt zu tun hat, die allerdings erst 1478 schriftliche Erwähnung findet. Damit in Verbindung steht wohl auch die Gründung des Stifts für zwölf Kanoniker im Jahr 1298. Es sind keine Mönche, sondern Priester, die nicht in den Stiftsgebäuden, sondern in benachbarten Häusern leben. Das Ziel der Wallfahrt, eine um 1260 geschaffene und als wundertätig geltende Marienfigur, hat alle Stürme der Jahrhunderte überdauert, auch ein kleines Wunder. Denn übereifrige Verfechter der Reformation pflegen solche Bildwerke zu zerstören. Eine Quelle von 1565 charakterisiert die Statue denn auch als „groß abgöttisch Marienbild, dazu (…) ein groß Wallfahrt gewesen, auch welchem durch Hülff des Teufels viel Zeichen geschehen“. Eine berühmte Wallfahrt, die mit denen nach Rom und Santiago de Compostela verglichen wurde. Über Wunder wird berichtet, über wächserne Abbilder von geheilten Gliedmaßen an den Kirchenwänden. Die Wallfahrt gibt es noch heute. „Aber sie reduziert sich leider“, bedauert Gerd Sonnenberg. „Vor 20 Jahren ist man noch vom Dom durch die Altstadt hierher gezogen.“

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Das Gelände um die Kirche weist eine lang zurückreichende Geschichte auf. Hier lag – durch Ausgrabungen belegt – einer der spätantiken und frühmittelalterlichen Friedhöfe von Worms. Vermutet wird, dass dabei eine Kapelle stand, später eine 1173 genannte Marienkirche.

Pfälzischer Erbfolgekrieg trifft auch Liebfrauenkirche

Nach seiner Gründung kämpft das Liebfrauenstift mit wirtschaftlichen Problemen, weshalb die Zahl der Kanoniker von zwölf auf sechs halbiert wird. Erst als die Einkünfte der Pfarrei St. Amandus an das Stift fließen, bessert sich die Situation, eine Voraussetzung für den folgenden Umbau des Gotteshauses, das mit seinem Chorumgang an französische Kathedralgotik erinnert. Eifrig fördern die Zünfte der Stadt Worms das Bauprojekt, das sich von 1276 bis 1465 hinzieht, fast 200 Jahre. Ihre Wappen belegen dies. So entsteht eine kreuzförmige dreischiffige Basilika mit zweitürmiger Westfassade, 78 Meter lang und 22 Meter breit. Im 15. Jahrhundert wird ein zweigeschossiger Kreuzgang an der Südseite der Kirche angefügt, von dem heute nur noch die Umfassungsmauer und ein Portal stehen.

Die Katastrophe des Pfälzischen Erbfolgekriegs trifft 1689 auch die Liebfrauenkirche. Die Franzosen brennen sie nieder. Es gelingt, die Wallfahrtsmadonna nach Mainz zu evakuieren. Fast alles andere geht zugrunde. 1692 kämpfen Franzosen und Reichstruppen in der Kirche. Erst 1702 kehren die Kanoniker zurück. Der Neubeginn gestaltet sich mühsam. 1712 erfolgt die Neuweihe der Kirche. 1773 beten immerhin wieder zehn Kanoniker in der Liebfrauenkirche. Dann, 1802, ordnen die Franzosen die Auflösung des Stifts an. Die Kirche dient mehrere Jahre als Lager für Heu und Stroh. „Sie war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts teilweise Ruine“, schildert Gerd Sonnenberg. 1898 erfolgt die Gründung der Pfarrei Liebfrauen. Den Zweiten Weltkrieg übersteht die Kirche fast unbeschadet. Mit viel Glück, denn während der zwischen 1960 und 1970 erfolgten Sanierung werden in der Dachkonstruktion mehrere nicht gezündete Stabbrandbomben entdeckt.

Tipps für Besucher der Liebfrauenkirche

Entfernung von Mannheim: 28 Kilometer

Fahrzeit: circa 30 Minuten

Eingabe ins Navi: Liebfrauenstift, 67547 Worms

Mit der Bahn: von Mannheim Hauptbahnhof fahren häufig S-Bahnen und Züge zum Wormser Hauptbahnhof, Fahrzeit etwa 30 Minuten. Von da aus ist Liebfrauen zu Fuß in circa 15 Minuten erreichbar.

Besichtigung: nur nach Voranmeldung.

Kontakt: Öffnungszeiten des Pfarrbüros: Montag, Freitag 9 – 12 Uhr, Dienstag 14 – 16 Uhr, und Donnerstag 15 – 18 Uhr. Adresse: Liebfrauenring 21, Rufnummer: 06241 – 44267, Mail: pg.worms-nordstadt@bistum-mainz.de

Internetseite: bistummainz.de

Literatur: Keddigkeit/Untermann und andere: Pfälzisches Klosterlexikon, Band 5, Kaiserslautern 2019.

Das Westportal zeigt den Marientod. Ergreifend, wie Jesus die als Kind dargestellte Seele seiner Mutter auf dem Arm hält. Darüber ist die Krönung Mariens dargestellt. Die Bogenläufe bevölkern die fünf klugen und die fünf törichten Jungfrauen, drei Engel und Christus. Besucher kommen nur in den Vorraum und stehen dann vor einem riesigen Gitter. Denn wegen Problemen mit Vandalismus ist das Gotteshaus nur im Rahmen von Führungen zu besichtigen. Schon vom Vorraum aus fallen bei sonnigem Wetter die „glühenden“ Fenster auf, die der Mainzer Glasmaler Alois Plum zwischen 1966 und 1995 geschaffen hat, einen Teil abstrakt, einen Teil figural. Manchmal erfüllt ein überirdisches Leuchten den Kirchenraum.

Ein kleines Wunder, dass etliche Kunstwerke die Plünderungen und Zerstörungen überstanden haben. An erster Stelle natürlich das Gnadenbild „Unserer Lieben Frau von Worms“, die um 1260 geschaffene und später überarbeitete Marienfigur an einem Vierungspfeiler. Ebenfalls aus dem Mittelalter stammen Teile des Marienaltars, ein Heiliges Grab, die Anna Selbdritt vom Südportal sowie die Maria mit Jesuskind über dem Nordportal und ein Sakramentshäuschen. Das hochwertige Chorgestühl entstand 1625.

Es gibt noch eine zweite Wallfahrt, die zum heiligen Valentin. Der Valentinstag gilt heute als Tag der Liebenden und bringt Blumengeschäften einen willkommenen Umsatzschub. „Vielleicht, weil er viele junge Paare getraut haben soll“, meint Gerd Sonnenberg dazu. Aber eigentlich ist Valentin der Patron der Kranken. Die Reliquien des Heiligen sind 1689 verbrannt. Doch einen Teil davon hatte Liebfrauen 1454 nach Kiedrich im Rheingau verschenkt, und 1875 kam ein Teil davon wieder zurück nach Worms.

Das Ziel der Wallfahrt: Um 1260 entstand die Madonnenfigur. © Backes

Der Sage nach verdankt die Liebfrauenkirche ihre Entstehung übrigens einer unwahrscheinlichen Gestalt: dem Teufel. Der Höllenfürst hat es demnach auf die Seele eines dem Wein verfallenen Ritters abgesehen. Mit unwiderstehlicher Beredsamkeit erzählt er seinem wieder einmal schwer angetrunkenen Opfer von den feurigen südlichen Weinen. Der Ritter verkauft schließlich seine Seele für einen Weinberg, der dieses unvergleichliche Getränk hervorbringen soll. Und wie durch Zauberhand entsteht auf seinem Acker ein prächtiger Wingert. Seine Zweifel an dem Geschäft ertränkt der Ritter mit dem herrlichen Tropfen aus dem neuen Weinberg und kommt in seiner Einfalt zu dem Schluss, dass ein solch guter Wein nur ein Geschenk Gottes sein könne. Großzügig verteilt er ihn an Kranke und Klöster, nennt ihn „Liebfrauenmilch“ und lässt sogar eine Kapelle zu Ehren der Gottesmutter in dem Weinberg errichten. Das kann dem Teufel nicht gefallen, und schnell will er sich der Seele versichern, die so gar nicht für die Hölle bestimmt scheint. Doch Maria, gerührt von der frommen Einfalt des Ritters, schickt ihre Engel zur Rettung, und der Teufel muss ohne Beute abziehen. Aus der Kapelle aber entwickelt sich die Liebfrauenkirche.

Eine große Kirche ist immer Baustelle. Das gilt nicht nur für gigantische Gotteshäuser wie den Kölner Dom, sondern auch für Liebfrauen. Seit 2005 läuft die Außensanierung, die noch acht oder zehn Jahre dauern soll. Ein Glücksfall: Die vier Weingüter, denen die um die Kirche liegenden Wingerte gehören, kooperieren mit der Kirchengemeinde. So können Patenschaften für 80 000 Rebstöcke erworben werden, um einen Teil der Sanierung zu finanzieren. Liebfrauen und Wein: eine Verbindung, die nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft hat.

Redaktion

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