Viernheim. Eines ist zunächst klar. Nämlich so gut wie nichts. Groß ist sie, diese Halle an der Wiesenstraße in Viernheim. Laut ist es hier. Viele Menschen arbeiten ziemlich hart. Und vor allem: Es ist irgendwie chaotisch. Der Besucher hat keine Chance, auf sich allein gestellt hier durchzublicken. Wir sind im Lager des Lebensmittel-Lieferdienstes Picnic.
Diese kleinen, süßen Minilaster hat jeder schon mal gesehen in Viernheim und der Region. Landrat Christian Engelhardt (CDU) macht bei Picnic Station auf seiner Sommertour. Die Gäste sollen erfahren, dass hinter dem vermeintlichen Chaos ein filigran ausgeklügeltes logistisches Warenwirtschaftskonzept steckt.
Joshua Brox wird über die 25.000 Quadratmeter führen, es ist die ehemalige Lagerhalle von Galeria Kaufhof. Hinten auf seinem T-Shirt steht „Captain“. Das heiß, der junge Mann ist Teamleiter. Er empfängt Landrat, Wirtschaftsförderer und Presse in der Kantine. Gute-Laune-Musik. An den Tischen sehr junge Leute, ihre Herkunft ist international. Sie machen Frühstückspause. Das kostet nichts, Essen und Trinken sind umsonst.
„Ja, die Belegschaft ist international, viele Religionen sind vertreten. Wir sind multikulti“, sagt der Captain. Nein, das ist nicht nur so ein Spruch. „Wir gehen gegen jede Art von Diskriminierung innerhalb der Mitarbeiter vor. Und wenn es nicht anders geht, verabschieden wir uns auch von Leuten.“ Es gibt einen Ruheraum, damit Kollegen ungestört beten können.
Captain Brox führt über die 25.000 Quadratmeter
Standortleiter Karl Köpke kommt in die Kantine. Also dann, auf ins „Chaos“. Im August 2023 hat die Firma Picnic in der ehemaligen Lagerhalle von Galeria Kaufhof losgelegt. „Einer der Eigentümer hat das Gebäude mal als alte Lady bezeichnet“, sagt Köpke. Ja, sie hat mächtig Runzeln, die alte Dame. Der Boden ist uneben. Deshalb rattern die Transportwagen so laut umher. Um den Boden zu erneuern, sei die Zeit vor der geplanten Inbetriebnahme zu knapp gewesen, so der Standortleiter. Na ja, und das viele Geld. Nicht nur in der Kantine spielt Musik, auch hier draußen. Damit sie das Geratter übertönt, entsprechend laut.
Der Marsch führt an schier endlosen Regalgängen vorbei. Darin wuseln die Mitarbeiter. Stellen leere Kisten in die Regale, andere ziehen viele Meter weiter volle auf ihren Wagen. Auf ihren Shirt-Rücken steht „Shopper“, Einkäufer. Shopper sind die normalen Lagerarbeiter. „Sie werden über Mindestlohn bezahlt“, sagt Köpke. Trotz des Krawalls und der Maloche scheint hier gute Laune zu herrschen. Alle grüßen mit einem freundlichen Lächeln. Und bienenfleißig sind sie obendrein.
Die Hierarchien sind denkbar flach. Da ist der Shopper, der Captain und der Supervisor, der Schichtleiter. Und der Standortleiter, versteht sich. Man ist per Du. Englisch oder Deutsch müssen alle ein bisschen können. „Wir wollen, dass die Mitarbeiter sich mit Kollegen und Chefs austauschen können. Es soll hier nicht anonym zugehen“, sagt Köpke.
Einkäufer, witzig, die Leute kaufen ja tatsächlich für andere ein. Nur eben anders. Sie steuern mit der einen Hand ihren elektrischen Karren, in der anderen halten sie den Handscanner. Der weist ihnen den Weg zu den Waren, die ein Kunde bestellt hat. Und zwar so, dass der Mitarbeiter sich von vorne nach hinten durcharbeiten kann, ohne auch nur einmal zurücklaufen zu müssen, erklärt der Captain.
Das Chaos lichtet sich so langsam
12.000 Produkte, auch tiefgekühlte, warten hier auf die Shopper. Wahnsinn. Das sei viermal so viel, wie ein Discounter vorhält. Und dabei geht es in den Regalen kreuz und quer. Die unterschiedlichsten Produkte stehen nebeneinander. Joshua Brox: „Damit verhindern wir Verwechselungen. Wenn etwa Kosmetika unterschiedlicher Marken zusammenstehen, kann es nämlich dazu kommen.“ So langsam lichtet sich das Chaos.
Picnic
Die Deutschland-Zentrale des niederländischen Konzerns befindet sich in Düsseldorf.
Am Standort Viernheim haben 180 Menschen einen Job.
Edeka ist mit 35 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.
Der Deutschland-Umsatz betrug 2023 rund 391 Millionen Euro .
Von Viernheim aus werden 15.000 Kunden in der Region beliefert.
Zu diesem Eindruck tragen auch die vielen Plastikfolien und leeren Kartons überall auf dem Boden bei. Das sei keine Schlamperei, sondern durchdacht, sagt Karl Köpke. „Wir bekommen die Ware in Großhandelsgrößen verpackt geliefert. Mitarbeiter, die einräumen, lassen die Verpackungen einfach fallen, sie werden regelmäßig weggeräumt.“
Der Kunde kann bis 23 Uhr via App für den nächsten Tag bestellen. Er bekommt prompt ein Zeitfenster von zwei Stunden für die Lieferung. Tags darauf wird dieses Fenster auf 20 Minuten verkürzt. So weiß der Besteller ziemlich genau, wann seine Sachen kommen. Übrigens: 40 Euro sind Mindestgebot. Ein gut gelernter Fahrer schafft bis zu 19 Lieferungen pro Stunde.
Wocheneinkauf klar der Schwerpunkt
Auch zwischen Lieferant und Kunde soll es nicht anonym zugehen. Ein nettes Hallo, ein paar freundliche Worte sind erwünscht. „Wir nennen das das Milchmann-Prinzip. Der Kunde freut sich, wenn der Fahrer kommt“, erklärt der Standortleiter. Zielgruppe seien junge Familien, sie seien internetaffin. „Außerdem, wer macht schon gerne mit kleinen Kindern seinen Wocheneinkauf.“ Also, nicht schnell das Vergessene nachbestellen, sondern gleich den gesamten Wocheneinkauf. Das sei klar der Schwerpunkt.
Zum Großeinkauf gehören auch Obst und Gemüse. Das gibt es hier in rauen Mengen. „Was morgens reinkommt, ist abends wieder draußen“, so Köpke. Frische sei das A und O. Deshalb auch regelmäßige Qualitätskontrollen. Die Boxen für Kühlwaren sind isoliert, bevor sie gepackt werden, kommt Trockeneis hinein.
Picnic bezieht den weit größten Teil der Ware vom Edeka-Zentrallager in Heddesheim. Da liegt der Gedanke nahe, dass ich etwas mehr bezahlen muss als im Edeka-Markt. Wegen des Transports vor meine Haustür. Weit gefehlt, sagt Köpke. „Wir sind keinen Cent teurer als Edeka, oft sogar günstiger.“ Und das geht so: „Wir haben zwar eine Logistik, sparen uns aber die teuren Verkaufsflächen. Außerdem ist unser ganzes System auf Effizienz getrimmt. Dafür ist es bei uns eben nicht so schön, wie in einem schicken Supermarkt.“
„Die Menschen bekommen Struktur und Bestätigung“
Landrat Engelhardt hat seine diesjährige Sommertour unter das Thema Investitionen gestellt. Daran mangele es in Zeiten von Konjunkturschwäche naturgemäß. Da komme die Investition von Picnic in Viernheim sehr gelegen. Zudem gebe es Anlass zur Hoffnung. Das Prognos-Ranking zu Entwicklungschancen habe den Kreis Bergstraße 2019 noch auf Platz zwölf in Hessen gelistet. Das aktuelle Ranking sehe den Kreis inzwischen auf Platz vier. Dass Picnic in Viernheim bei aller Effizienz soziale Verantwortung sieht, war schnell verstanden. Karl Köpke bestätigt es noch einmal: „Ja, das ist schwere Arbeit. Aber wir beschäftigen hier viele Menschen, die großes Pech hatten im Leben. Hier bekommen sie Struktur und Bestätigung, das tut ihnen gut. Und uns freut das. Auch wenn wir es nicht bei allen schaffen, sie aufzurichten.“
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