Viernheim. Die Viernheimer sitzen in den Bänken der Michaelskirche. Aber es gibt keinen Gottesdienst. „Wir wollen Kirche anders erleben als sonst“, begrüßt Pfarrer Dr. Ronald A. Givens viele Viernheimer zum „Kirchenwandeln“. Die Pfarrei Heiliger Johannes XXIII. und die Stadt Viernheim haben gemeinsam einen Beteiligungsprozess gestartet, der die Zukunft der drei leerstehenden Kirchen in den Blick nimmt. Unter dem Motto „Vertraute Orte, Neues Leben“ sollen Ideen zur weiteren Nutzung der Michaelskirche, der Hildegardkirche und der Marienkirche entwickelt werden.
Nicht nur Bauwerke, sondern Orte der Gemeinschaft
„Alle drei Kirchen sind mehr als nur Bauwerke; sie sind Orte des Glaubens, der Hoffnung, des Trosts und der Gemeinschaft. Sie sollen nicht verfallen“, betont Erster Stadtrat Jörg Scheidel die besondere Bedeutung der Gotteshäuser für Viernheim. Und jeder habe persönliche Erinnerungen an „seine“ Kirche. „Ich war jahrelang Messdiener in St. Michael“, berichtet Scheidel. Pfarrer Givens ergänzt: „Und die Marienkirche ist meine Kirche, hier habe ich angefangen.“ Stadt und Pfarrei wollen zusammen mit den Viernheimern neue Konzepte erarbeiten, wie die Kirchen auch weiterhin lebendige Mittelpunkte der Stadt sein können.
„Vertraute Ort - Neues Leben“
Mit dem Kirchenwandeln startete der öffentliche Beteiligungsprozess.
Jeder Viernheimer kann seine Vorschläge und Ideen zur künftigen Nutzung der Kirchen sowohl analog als auch digital abgeben.
Die Online-Plattform ist über Homepages der Stadt Viernheim und der Pfarrei Hl. Johannes XXIII. erreichbar.
Die Postkarten zum Ausfüllen sind an den Stelen in den drei katholischen Kirchen, in der Drachenbücherei, in den vier katholischen Kindertagesstätten, im Bürgerbüro sowie im Café Rall erhältlich.
Die Ideensammlung läuft bis zum 26. Oktober.
Für weitere Informationen und Fragen sind „Marktgespräche“ geplant :Am Samstag, 27. September, um 8 Uhr an der Hildegardkirche und um 10 Uhr am Hallenbad sowie am Freitag, 17. Oktober, um 12.30 Uhr im Sozialzentrum.
Alle Ideen werden danach bei einer Klausurtagung vom Pfarreirat besprochen und anschließend durch die Mitglieder des Runden Tisches gesichtet und eingeordnet.
Im Frühjahr 2026 findet eine öffentliche Projektwerkstatt statt, in der die besten Ideen weiterentwickelt werden.
Bei einer öffentlichen Abschlussveranstaltung im Juni 2026 sollen die Empfehlungen zur neuen Nutzung der Kirchen vorgestellt werden. su
Timo Buff von der Bürogemeinschaft Sippel Buff erläutert den Beteiligungsprozess, der mit dem Kirchenwandeln startet. „Ideen sollen von den Bürgern kommen“, setze man für die künftige Nutzung der Kirchen auf „Schwarmintelligenz“. Jeder sei eingeladen und aufgefordert, seine Ideen, Visionen, Vorstellungen für die Kirchen einzureichen. Der Pfarreirat und der Runde Tisch beraten über diese Ideen.
Rund 200 Teilnehmende sind beim Rundgang dabei
„Wir wollen die Kirchen dafür noch einmal genau in den Blick nehmen“, beginnt Buff den Rundgang zu drei Kirchen. Rund 200 Teilnehmende machen sich gemeinsam auf den Weg – die meisten machen alle Stationen mit, andere sind nur bei einer oder zwei Kirchen dabei.
In St. Michael, die erst vor wenigen Jahren saniert wurde, erhalten die Gäste ein Paket mit allen wichtigen Informationen zum Zukunftsdialog. Vor St. Hildegard sperrt ein Gitter die maroden Treppenstufen vor dem Hauptportal ab. Innen schlägt den Kirchenwandlern ein unangenehmer Geruch entgegen. Die drei Jahre der Schließung wegen der Schäden am Dach wirken sich aus.
Faszinierend ist dennoch das Farbenspiel in der großen Glasfensterfront und die herausragende Akustik – das wird deutlich, als der Kirchenchor wie in allen drei Kirchen singt. In der Marienkirche wurden Tische und Stühle in der Kirche aufgestellt, an Stellwänden sind die Ergebnisse des Runden Tischs nachzulesen.
An allen drei Orten gehen die Organisatoren auf die geografischen Besonderheiten ein – die Einordnung im Stadtgebiet, die umliegende Wohnbebauung, die Straßenlage. Erreichbarkeit zu Fuß, per Rad und mit dem Auto muss in den Blick genommen werden und die Einflüsse und Auswirkungen der Nachbarschaft.
Scheidel macht Ausführungen zum Denkmalschutz: „Es gibt für alle drei Kirchen keine strikten Vorgaben, was geht oder was verboten ist.“ Aber auch die Geschichte der Kirchen in Viernheim und ihre Besonderheiten werden erwähnt.
„Das ist eine Emanzipationskirche“, erklärt Pfarrer Givens zu St. Michael. Man habe sich von der großen Apostelpfarrei gelöst. Es sei wegen der Zugezogenen auch die Kirche der Viernheimer, nicht der „Vernema“. Vom Altar aus lässt sich das Panorama der Stadt Jerusalem in den Fenstern sehen.
St. Hildegard erinnere dagegen an Jona im Innern des Wals. Wie „ausgespuckt“ seien Menschen vertrieben worden, hätten außer ihrem Glauben alles verloren – und in der Hildegardkirche eine Heimat gefunden. „Aber wer heute ausgespuckt wird und eine neue Heimat sucht, hat eine andere Vision“, weiß Givens.
Die Marienkirche ist als Ort der Auferstehung gebaut worden, nach dem Dreißigjährigen Krieg wollten Bauern einen Raum für ihren Glauben schaffen. „Das war eine Kirche der Armen, das sieht man heute noch an den einfachen Fenstern“, klärt der Pfarrer auf. Gold und Marmor seien erst später in der ältesten Kirche Viernheims verbaut worden. Für sie gelte es nun, eine neue Form der Auferstehung zu finden.
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