Viernheim. Artenschutz-Experte Dirk Bernd aus Lindenfels will die etwa 60 Tiere große Kolonie von Breitflügelfledermäusen, die nach seinen Angaben unter Metallverkleidungen auf dem Dach des Viernheimer Rathauses siedeln, unbedingt retten. Im Interview erklärt er warum und was jetzt – da beschlossen ist, das Rathaus abzureißen – zu tun wäre.
Herr Bernd, Sie haben die Stadtverwaltung am 13. Juli dieses Jahres über den Sachverhalt schriftlich informiert und Ihre Unterstützung angeboten. Haben Sie bis heute eine Antwort aus Viernheim bekommen?
Dirk Bernd: Nein.
Können Sie sich das erklären?
Bernd: Womöglich sehen die Verantwortlichen keinen Anlass zu handeln, oder sie haben keine Eile.
Der Erste Stadtrat und Baudezernent sagte im Gespräch mit dieser Redaktion, das werde im Zuge der Baugenehmigung geprüft. Bis dahin vergehen aber mindestens noch ein oder zwei Jahre. Könnte man die Zeit nicht sofort nutzen, um zu klären, was zu klären ist?
Bernd: Je früher, desto besser. Man braucht für diese Prüfung etwa ein Jahr. Und das ab März oder April, wenn die Tiere aus der Winterruhe erwachen. Dann kann man davon ausgehen, dass man herausfinden kann, ob diese Kolonie noch andere Quartiere in der Nähe hat.
Wie prüfen Sie denn überhaupt, ob und wie viele Fledermäuse auf dem Rathaus-Dach siedeln?
Bernd: Indem ich sie zähle, wenn sie in der Dämmerung ausfliegen. In der Regel nutzen Fledermäuse ein Quartier. Die Koloniemitglieder sind immer vollzählig in den Monaten Mai und Juni, immer dann, wenn die Weibchen hoch schwanger sind und ihre Jungen bekommen. Es gibt aber auch Arten, wie etwa die Breitflügelfledermaus, die nutzen mehrere Quartiere, es muss nicht nur eins sein. Wenn das der Fall ist, variieren die Zahlen. Und um das herauszufinden, muss man einige Tiere abfangen, mit Sendern versehen, ihre Wege verfolgen und tagsüber die Signale suchen, wenn diese nicht vom Rathaus kommen. So kann man weitere Quartiere finden. Diese Prozedur dauert mindestens ein Jahr.
Was ist besonders an der Breitflügelfledermaus und warum steht sie unter diesem strengen Schutz?
Bernd: Sie kommt hauptsächlich im mitteleuropäischen Raum vor. Und wir haben hier eine große Verantwortung. Die Kolonien siedeln ausschließlich im Oberrheingraben. Im Odenwald findet man sie nur überwinternd, Kolonien fehlen hier vollständig. In der Ebene finden sie ihre Nahrung, etwa den Maikäfer.
Sind die Tiere das ganze Jahr über an einer Stelle?
Bernd: Sie bleiben an Ort und Stelle in ihrer Wochenstube, wenn sie ihre Jungen bekommen. Das reicht von Frühsommer bis August. Im August spalten sich die Kolonien in kleine Gruppen auf, um andere Ort zum Winterschlaf aufzusuchen. Das sind oft Dachstühle oder Felsspalten.
Aber sie kehren immer wieder zurück?
Bernd: Solange es dieses Quartier gibt, ja. Das ist eine richtige Tradition bei den Muttertieren, und die wird an die Jungtiere weitergegeben.
Noch mal die Frage, warum Fledermäuse so streng geschützt sind in Europa.
Bernd: Das resultiert aus ihrer Bedeutung für das Ökosystem. Sie nehmen hier eine besondere Stellung ein.
Hat sich ihr Bestand reduziert?
Bernd: Wie mittlerweile fast alle unserer 25 heimischen Fledermausarten. Einige sind bereits unwiederbringlich ausgelöscht. Dieser Entwicklung müssen wir entgegenwirken.
Wenn Sie jetzt im April oder Mai anfingen, die Tiere auf dem Rathaus zu verfolgen, und es käme dabei heraus, dass Sie keine anderen Quartiere als Ausweichmöglichkeit haben?
Bernd: Dann würde diese Kolonie durch den Abriss des Gebäudes zerstört. Die Tiere würden verstreut werden, sie würden sich nicht neu organisieren, keine Jungen mehr bekommen, und die Kolonie wäre verschwunden. Dann wäre diese Art in Viernheim ausgestorben.
Das wollen Sie verhindern. Wie geht das, wenn das Rathaus das einzige Quartier wäre?
Bernd: Es gibt mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann man das Gebäude erhalten, in ein Gesamtkonzept integrieren, bei dem das Dach erhalten bleibt. Oder man reißt das Gebäude im Oktober ab, hat aber bis März/April des kommenden Jahres ein neues da stehen mit vergleichbaren Bedingungen auf dem Dach. Eine Wiederherstellung des Quartieres muss auch dann erfolgen, wenn noch weitere Gebäude von der Kolonie im Jahresverlauf genutzt werden, auch das muss in ein Neubaukonzept integriert werden.
Haben Sie so einen Prozess schon einmal begleitet?
Bernd: Ja, solche Fälle habe ich oft. Beim Abriss von Gebäuden ist jedoch häufig die Zwergfledermaus betroffen, unsere häufigste Art. Sie kann mit entsprechenden Maßnahmen auch an Nachbargebäuden angesiedelt werden. Dies funktioniert bei der hier betroffenen Breitflügelfledermaus nicht. Hier können schon Veränderungen der Ein- und Ausflüge am Dach im Zuge von Sanierungen zur Aufgabe der Lebensstätte führen.
. . . aber ein Komplettabriss mit dem Vorkommen einer Kolonie der Breitflügelfledermaus ist für Sie Neuland?
Bernd: Ja, aber glücklicherweise tauchen solche Fälle nicht oft auf, allein weil die Art so selten ist. Es gibt bundesweit keine erfolgreich verlaufene Umsiedlungsmaßnahme, bei der die Ansiedlung in einem Nachbargebäude gelungen wäre. Ich hatte bisher einen Abrissfall mit der Betroffenheit von Einzeltieren der Art. Auch hier wurde das Quartier am Neubau in optimierter Form wiederhergestellt und angenommen. Es funktioniert definitiv nur, wenn man den Tieren am gleichen Ort einen Ersatz von gleicher Art und gleichem Umfang bereitstellt.
Einige Meter weiter weg funktioniert es nicht?
Bernd: Nein. Selbst an einem Nachbargebäude würde das nicht funktionieren. Das ist nun wirklich hinlänglich probiert und erforscht worden. Die Tiere nehmen das nicht an. Sie haben ihr Quartier in den Koordinaten, sie kehren immer dorthin zurück, und nur dorthin. Aus diesem Grund werden die Tiere auch immer weniger, weil es ihnen sehr schwer fällt, sich anderswo anzusiedeln.
Wenn die Stadt es einfach laufen lässt und sich nicht um die Fledermäuse schert?
Bernd: Dann bekommt sie keine Genehmigung für den Abriss. Ganz einfach.
Im Oktober mit dem Abriss dieses großen Gebäudes zu beginnen, um im Frühjahr darauf ein neues dastehen zu haben – das kann nicht Ihr Ernst sein. So eine Maßnahme dauert Jahre.
Bernd: Man muss das eben gründlich erörtern. Womöglich könnte ja zunächst die Hälfte des Gebäudes abgerissen, dort etwas Neues aufgebaut und später die zweite Hälfte abgerissen werden. Oder das Rathaus bleibt stehen und wird energetisch saniert. Das wäre eh die beste Lösung für die Tiere. Aber, wie gesagt, wenn die Tiere Ausweichquartiere haben, ist der Druck nicht so hoch.
Das heißt, es wäre sinnvoll, den Sachverhalt schleunigst zu untersuchen?
Bernd: Unbedingt. Je früher die Stadt sich darum kümmert, umso sauberer kann man arbeiten. Viernheim nennt sich Brundlandt-Stadt, es schreibt sich also die Ökologie und die Erhaltung der biologischen Vielfalt auf seine Fahnen. Und wenn es dann um eine streng geschützte und noch dazu gefährdete Art geht, müssten doch die Alarmleuchten angehen. Die Stadt hat hier eine ganz besondere Verantwortung. Sie muss sich die richtigen Leute suchen – und tun, was getan werden muss.
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