Viernheim. Der Beschluss ist gefasst: Die Stadtverwaltung zieht in die noch im Bau befindliche Ellipse am Bannholzgraben, das alte Rathaus wird abgerissen, die Nutzung der dann freien Fläche sollen ein Ideen- und Investorenwettbewerb ergeben. Wir berichteten. Die Nachricht vom geplanten Abriss hat inzwischen den Naturschützer Dirk Bernd auf den Plan gerufen: Fledermäuse, die auf dem Dach siedeln, stehen in Deutschland und Europa unter strengem Schutz. Der könne so weit reichen, dass das Gebäude gar nicht abgerissen werden darf, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Stadtverwaltung ist über den Sachverhalt zumindest informiert. Eine zuverlässige Quelle aus dem Rathaus bestätigt indes die jahrelange Existenz der Kolonie.
Dirk Bernd betreibt in Lindenfels im Odenwald sein Büro für Faunistik und Landschaftsökologie. Die Faunistik beschäftigt sich mit der Erforschung des Tierartenbestands in einem bestimmten Gebiet. Bernd hat keinen Abschluss in Biologie oder Zoologie. Er hat sich von der Pike auf in die Materie eingearbeitet und bezeichnet sich selbst als „Naturschutz-Gutachter“.
Bis 50 000 Euro Strafe
Mehrere renommierte Ökologen, die diese Redaktion immer wieder um ihre Expertise bittet, bescheinigen Dirk Bernd allerdings absolute Seriosität, ausgeprägtes Fachwissen und gerade in Sachen Fledermaus eine sehr profunde Kenntnis. Das bestätigt auch Ulrich Weinhold, promovierter Biologe und Inhaber des Instituts für Faunistik in Heiligkreuzsteinach im Odenwald.
Weinhold hat bereits für eine ganze Reihe von Kommunen Gutachten erstellt beziehungsweise von Baumaßnahmen bedrohte und geschützte Tiere umgesiedelt. Gewisse Popularität erlangte er in der Region mit der Begutachtung und Umsiedlung der Feldhamster auf dem Gelände der damals geplanten SAP Arena in Mannheim. Er sagt, Bernd sei unbestritten eine Koryphäe, was seine Kenntnis über Fledermäuse anbelangt.
Und Weinhold gibt seinem Kollegen aus Lindenfels recht: „Fledermäuse stehen europaweit unter strengem Schutz. Das ist bei einem möglichen Abriss des Viernheimer Rathauses unbedingt zu beachten. Wenn nicht, machen sich die Verantwortlichen strafbar.“ Der Bußgeldkatalog des Landes Hessen sieht für das Fangen, Verletzen oder Töten einer Fledermaus eine Strafe von 50 000 Euro vor.
Bei den Tieren, die auf dem Rathausdach siedeln sollen, handelt es sich laut Dirk Bernd um die Breitflügelfledermaus. Sie sei äußerst selten geworden. Er wolle der Stadt Viernheim keine Probleme machen, etwa den Abriss des Gebäudes mit allen Mitteln verhindern. „Aber ich will, dass die Tiere auf jeden Fall gerettet werden“, sagt er.
Aber genau da bestehe die Krux. „Fledermäuse lassen sich nicht so einfach umsiedeln. Sie gehen nicht in Kästen, aus denen man sie dann an anderer Stelle wieder freilässt.“ Die Breitflügelfledermaus sei eine spaltenbewohnende Art, die bevorzugt an Gebäuden siedelt. Die Tiere seien zwischen 15 und 20 Gramm schwer und hätten eine Spannweite von rund 30 Zentimetern, ähnlich der einer Amsel.
Dirk Bernd hat das Umweltamt der Stadtverwaltung im Juli, als er von den Abrissplänen erfahren hatte, per E-Mail über den Sachverhalt informiert und seine Hilfe bei der Suche möglicher Lösungen angeboten. Er mache jedes Jahr im Mai ein Monitoring, also zähle die Tiere, wenn sie in der Abenddämmerung ausflögen. Die Kolonie sei zwischen 50 und 70 Tiere groß und siedle schon mindestens 30 Jahre auf dem Rathaus. Die Kreisverwaltung hat Bernd ebenfalls informiert.
Bürgermeister Matthias Baaß erklärte auf Nachfrage, ihm sei einmal etwas wegen Fledermäusen zugerufen worden, aber Genaueres wisse er nicht. Im Übrigen verweise er auf den Ersten Stadtrat, der sei als Baudezernent zuständig.
Erster Stadtrat Jörg Scheidel erklärte, er kenne die E-Mail von Dirk Bernd. Er gehe jedoch zunächst von einer „Behauptung“ aus. Bislang habe ihm niemand in der Stadtverwaltung die Existenz der Fledermäuse bestätigt. Auf die Frage, ob er das Wissen Dirk Bernds in Zweifel ziehe, sagte Scheidel: „Nein, aber wir müssen ohnehin eine Baugenehmigung für den Abriss erlangen. In diesem Zuge wird sicher auch der Artenschutz eine Rolle spielen.“ Im Detail und aus eigener Veranlassung habe man sich im Rathaus mit der Angelegenheit noch nicht beschäftigt.
Gesprächsangebot
Experte Bernd sagt, wenn es Spitz auf Knopf gehe, könnten die Fledermäuse den Abriss gänzlich verhindern. Was die Baugenehmigung für den Abriss betrifft: Die darin involvierte Umweltbehörde beim Kreis Bergstraße erklärt auf Nachfrage ganz allgemein, der Artenschutz sei auf jeden Fall zu beachten.
Dirk Bernd bietet der Stadtverwaltung eine gemeinsame Erörterung der Angelegenheit an, bevor sie einen Bauantrag stellt. Dem, so sagt Jörg Scheidel im Gespräch mit dieser Redaktion, wolle er sich auf keinen Fall verschließen. Aber schon heute sei er sich gewiss, das der Abriss komme. „Das entspricht meinem Naturell: Ich kämpfe immer für eine Lösung.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Meinung Rathaus-Chefs zu passiv