Schriesheim. Die Bombe platzt am 30. Januar dieses Jahres. Auf der Jahreshauptversammlung des Bundes der Selbstständigen (BdS) Schriesheim gibt Ortsvorsitzender Rolf Edelmann den Namen des Festredners der traditionellen Mathaisemarkt-Kundgebung seines Verbandes bekannt: Es ist Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister Bayerns. So wird Schriesheim der einzige Ort in der Region, an dem der aktuell umstrittene Politiker in diesem Jahr live erlebt werden kann.
Bereits damals sind die Reaktionen auf die Nachricht geteilt. Edelmann freut sich, einen so bekannten Politiker als Gast begrüßen zu können: „Die Menschen erwarten einen Redner, der bodenständig und für manch flotten Spruch gut ist.“ Man kennt „Hubsi“ vom Singspiel auf dem Nockherberg, dessen diesjährige Folge zwei Tage vor Aiwangers Besuch im Fernsehen zu sehen ist.
Aiwanger war schon damals kontrovers
Kritiker erinnern jedoch an manch unrühmliche Äußerung. 2019 verkündet Aiwanger, „Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte.“ In der Hoch-Phase der Corona-Pandemie lässt er sich zunächst nicht impfen und begegnet Kritik an dieser mangelnden Vorbildfunktion mit dem Vorwurf einer „Apartheidsdiskussion beim Impfen“; dafür wird er sogar von Ministerpräsident Söder formal gerügt.
Im Vorfeld seines Auftritts in Schriesheim führt der „MM“ mit ihm ein Telefoninterview. Über Handy stellt Aiwanger sich frühmorgens den Fragen. Die Antworten für die Mathaisemarkt-Beilage sind harmlos. Die dabei noch deutlichste Formulierung lautet: „Wir machen nicht jeden Mainstream-Käse mit.“
Am Montag, 6. März, 17 Uhr, ist es soweit. Am Schriesheimer Festplatz haben ein halbes Dutzend Polizisten in Uniform Aufstellung genommen, dazu einige in Zivil. Aiwanger fährt vor, natürlich in einem BMW, Typ 745, mittlerweile ebenfalls selbstverständlich ein E-Mobil.
Übliches Zeremoniell: im Gästehaus Hauser Pressegespräch bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen, Eintrag ins Goldene Buch der Stadt, Gang über den Rummel und durch das Gewerbezelt; trotz Zeitnot geht Aiwanger auf die Menschen zu, auf Aussteller ebenso wie auf fröhlich feiernde „Montagsmädels“. Seine unkapriziöse, offene Art kommt gut an. Zum Bayerischen Defiliermarsch hält er Einzug in das mit rund 2000 Interessierten voll besetzte Festzelt.
Kritik vom Wirtschaftsminister vor allem an Klimaaktivisten
Jan Dietz, Ko-Präsident des BdS-Landesverbandes, kündigt einen Redner an, der nicht der „political correctness“ huldigt. Und er wird nicht enttäuscht. Am Rednerpult angekommen, löst Aiwanger das Mikro aus dem Stativ, sodass seine Stimme lauter wird, kündigt an, seine Rede zu „nutzen, um Dinge auf den Punkt zu bringen.“ Und das macht er dann auch umgehend. „Ihr seid die, die anpacken und nicht auf der Straße kleben“, ruft er dem Publikum zur Einstimmung zu - der erste stürmische Beifall des Abends kommt auf.
Bereits mit diesen Worten „hat er sein Publikum“, wie Rhetorik-Experten formulieren würden. Und er lässt es nicht mehr los. Denn nun geht es Schlag auf Schlag, und diese „Einschläge“ treffen vor allem Klimaaktivisten und „ihre medialen Unterstützer“. Talkshows etwa, in denen „ein 17-jähriger Klimakleber, der gerade aus seinem Urlaub in Bali kommt, wichtiger ist als ein 40 Jahre lang tätiger Handwerksmeister.“
Inhaltlich wettert Aiwanger gegen den gerade beschlossenen Ausstieg aus dem Verbrennermotor zum Jahre 2035. Dies sei „wie das Schlachten der Milchkuh in der Hoffnung, dass der Esel im Stall nebenan Milch geben wird“, formuliert der Bayer.
Seine Herkunft aus der Landwirtschaft prägt auch seine Haltung zur Ernährung: „Ich bekenne“, ruft er unter Anspielung auf die damalige Entscheidung der EU-Kommission ins Zelt: „Ich esse lieber ein Schweineschnitzel als Käfer!“ Den tosenden Beifall unterbricht er mit dem Zusatz: „Wer den Heuschrecken-Riegel will, der soll damit glücklich werden.“ Doch er weigere sich, „mit den Käfern um die Wette fressen zu müssen.“ Bei aller Polemik, ja allem Populismus: In der einstündigen Rede fällt zum Beispiel kein einziges Wort gegen Flüchtlinge oder Migranten.
Nach Badner Lied und Nationalhymne rauscht er im Unterschied zu fast allen früheren Festrednern auch nicht davon. Nein, er mischt sich, was es zumindest in den letzten Jahren noch nie gegeben hat, unters Publikum, nimmt sich Zeit für Gespräche und für Selfies mit den Besuchern. „Vielleicht ja auch dies ein Rezept seines Erfolges in Bayern“, heißt es damals im „MM“-Bericht.
Hubert Aiwanger laut Fadime Tuncer ein "bayrischer Trump"
Die Reaktionen auf die Rede sind geteilt. Die Mehrzahl der Offiziellen zeigt sich zufrieden, ja begeistert. „Sternstunde der Mittelstandskundgebung“ findet Bettina Schmauder, Ko-Präsidentin des BdS-Landesverbandes. „Aiwanger kann Festzelt“, lobt auch Bürgermeister Christoph Oeldorf. „Er ist halt ein Bierzeltprofi“, ergänzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Föhr.
„Er kann Bierzelt“, bekennt sogar SPD-Landtagsabgeordneter Sebastian Cuny, hält die Rede für den hiesigen Anlass aber dennoch nicht für angemessen und feixt: „Ich dachte, der Politische Aschermittwoch wäre schon vorbei.“ Deutlicher wird seine Kollegin von den Grünen: „Aiwanger wurde seinem Ruf gerecht“, kritisiert die Landtagsabgeordnete Fadime Tuncer: „Er ist ein Spalter und Populist, ein bayrischer Trump.“
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