Schriesheim. Nun ist es also so weit. Die Tür bleibt zu. Dort, wo sonst die Speisekarte ihren Platz hat, ein Aushang: Das Wirtsehepaar verabschiedet sich, das Haus, seit langem angekündigt, ist geschlossen, nach fast 60 Jahren. Eine Zäsur für Schriesheim. Das Gästehaus Hauser war/ist eine Institution in der Weinstadt.
Denn „der Hauser“, der noch so heißt, als längst ein Wirt anderen Namens hier wirkt, ist mehr als eine Gaststätte. Schon alleine durch seine einzigartige Lage, direkt am Festplatz und daher jeweils im März, an Mathaisemarkt, am Puls des Lebens.
Das Gasthaus Hauser in Schriesheim entsteht, als der Festplatz noch leer ist
Namensgeber: Georg Hauser, ab 1962 Kellermeister der Winzergenossenschaft. Doch als sich die WG 1967 entschließt, ihren Wein nicht mehr in Schriesheim auszubauen, sondern im Badischen Winzerkeller in Breisach, da will der traditionsbewusste Hausers-Schorsch diesen Weg nicht mitgehen. Er kündigt, macht sich selbstständig, um seinen Wein fortan selbst zu vermarkten - vom Rebstock bis ins Glas.
Dabei herrscht, als er hier beginnt, noch Leere. Der Festplatz ist erst seit zwei Jahren angelegt, seine Umgebung noch kaum bebaut, als Hauser und seine Frau Käthe 1966 den ersten Spatenstich setzen. Im Jahr darauf, an Ostern 1967, werden die ersten acht Doppelzimmer bezogen und subzessive auf 24 erweitert.
Hausers begründen eine ganz eigene Atmosphäre
Die Gäste spüren: Hier leben zwei für ihren Betrieb. Käthe Hauser kümmert sich in der Küche selbst um die Brathähnchen, während ihr Mann bei den Gästen – nicht selten mit kessen Sprüchen – die Honneurs macht. Und er pflegt die Tradition: Kultstatus erhält der Frühschoppen am Sonntagmorgen, bei dem er das Viertel zu einem einmalig niedrigen Preis ausschenkt – bis zum Währungswechsel konstant für zwei D-Mark, danach zu einem Euro.
1976 wird dort, wo eine Tiefgarage geplant war, der Bacchuskeller gebaut. Fortan gilt die Faustregel, dass an Mathaisemarkt in drei Straußwirtschaften von unterschiedlicher Klientel gefeiert wird: von der Jugend beim Wehweck, von den Erwachsenen beim Majer und von den Älteren beim Hauser.
Mit dem Mathaisemarkt verbunden ist „der Hauser“ auch durch einen anderen Programmpunkt: das Kaffeetrinken, zu dem sich die prominenten Festredner jeweils vor der im Festzelt anstehenden Mittelstandskundgebung mit der Presse einfinden. Und für eine Pinkelpause oder zum Frischmachen nutzen.
Käthe Hausers Lieblingsgast wird Lothar Späth. Bei einem seiner vielen Besuche ist der langjährige Ministerpräsident derart in Eile, dass er vergisst, sich ins Gästebuch einzutragen. Ihm trägt sie den Lederband auf die Straße nach.
Politgrößen kehren ein und verewigen sich im Gästebuch
Große Namen finden sich in diesem Gästebuch, das Käthe Hauser bei Start des Hotels anlegt. Der erste Politiker, der sich am 7. März 1973 verewigt, ist Helmut Kohl, damals Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Als Kanzler kommt er 1992 wieder. Als Käthe Hauser ihm ein Stück Torte anbietet, scherzt er: „Wenn das die Hannelore wüsste!“ „Herzlichen Dank für Speis und Trank“, dichtet Franz Josef Strauß am 7. März 1988.
Apropos Politik: Hauser ist der erste und damals einzige Wirt, der den neu gegründeten Grünen sein Nebenzimmer vermietet; kein Anderer ist damals bereit, die im tief konservativen Schriesheim noch als politische Schmuddelkinder geltenden „Ökopaxler“ reinzulassen. Und am 15. Januar 1987, vor fast 40 Jahren, spricht hier ein Referent – „an führender Stelle im hessischen Umweltministerium tätig“, wie es in der damaligen Einladung heißt. Sein Name: Winfried Kretschmann.
Serviettenhändler ebnet den Weg zum neuen Pächter
Doch das Alter fordert von dem Wirtsehepaar seinen Tribut. Im Jahr 2000 fährt Georg Hauser seinen letzten Jahrgang ein, gibt die Weinberge ab, in ihrer Blütezeit drei Hektar. Und auch der Wechsel im Gästehaus wird nunmehr unvermeidlich.
Die Lebensplanung der Hauser-Töchter ist eine andere, und so werden Pächter gesucht. Ein Serviettenhändler bringt die Kunde davon an Ernst und Ingrid Schmitt, die in Gräfenhausen bei Darmstadt ein Hotel führen. Schmitt macht sich auf zu Hauser. Die beiden finden sofort einen Draht zueinander. Nur in einem ist Hauser kompromisslos: Verkaufen will er nicht. So bleibt es für Schmitt beim Pachten. Hausers wohnen weiter im Nachbarhaus, bis Georg in ein Pflegeheim zieht, in dem er 2014 mit 80 Jahren stirbt. Seine Frau Käthe ist mittlerweile stolze 88 Jahre alt und pflegebedürftig.
Schmitte-Ernst bald so bekannt wie Hausers-Schorsch
Ernst Schmitt legt derweil los, leistet erhebliche Investitionen. Auf rund 150.000 Euro beziffert er selbst die Ausgaben der zurückliegenden 22 Jahre. Doch die sind auch nötig. Die Zimmer verfügen anfangs nur über Waschbecken. Um Bäder einzubauen, wird ihre Zahl von 24 auf 17 verringert. Die Auslastung ist gut, liegt zuletzt bei 80 Prozent. Die sechsmonatige Corona-Schließung übersteht das Haus ohne Blessuren.
Wer befürchtet, das wird doch nichts mit zwei Hessen im traditionsbewussten Schriese, der irrt. Ernst und Ingrid Schmitt, deren hessischer Akzent unverkennbar bleibt, werden mit offenen Armen aufgenommen – auch, weil sie selbst sich einbringen. Bei allen Festen sind sie präsent. Mehreren bekannten Stammtischen geben sie Heimat. Der Schmitte-Ernst gehört bald dazu wie einst der Hausers-Schorsch.
Nun ziehen die Schmitts wieder zurück nach Hessen
Doch mit der Zeit kommen die Schmitts in ein Alter, in dem andere schon mehr als anderthalb Jahrzehnte im Ruhestand sind: sie 81, er 79. 2024 erleidet er einen Schlaganfall und einen Herzinfarkt. Lange im Vorfeld wählen sie das Auslaufen des Pachtvertrages zum 30. September 2025 als Anlass für das Aufhören.
Gerne würden die beiden, die bislang oben im Hotel wohnen, in Schriesheim bleiben. Doch wie viele andere, so finden auch sie nichts Passendes, kehren daher zurück in ihre hessische Heimat, nach Griesheim, wo beide herstammen, ziehen dort ins Haus ihres Sohnes.
Klar, dass sich in den letzten Tagen Abschiedsgeschenke zu Bergen türmen, Tränen Seen füllen könnten. Doch unabhängig von den persönlichen Bindungen, für die der Abschied eine Zäsur bildet, herrschen in Schriesheim Sorgen: Wo kommen die Vereine für ihre Versammlungen unter in einer Stadt, in der es kaum noch Gasthäuser gibt? Geht das dramatische Sterben der Gastronomie in Schriesheim weiter? Was kommt, ist noch offen.
Und da keine Nachfolger feststehen, die das Inventar übernehmen könnten, und es auch mit der Tochter der Gründer keine Einigung über eine Ablöse gibt, bieten die Schmitts es zum Verkauf. Erstmals am vergangenen Samstag. „Die Resonanz war erstaunlich“, freut sich Schmitt, als der „MM“ am Nachmittag vorbeischaut. Noch die Woche über ist Gelegenheit für Schnäppchen. Durch den Seiteneingang.
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