Schriesheim. Was tun, wenn gar nichts mehr geht? Wie handeln im Moment der größten Krise? Sabine Musseleck hat für solche Fälle ihre ganz persönliche Strategie. Sie geht in den Wald, hört ihre Lieblings-Playlist und umgibt sich mit Dingen, die ihr guttun. Sie nennt das „eine Art Erste-Hilfe-Kasten für die Seele“.
Jetzt hat sie ein Buch zum Thema geschrieben: „Mein Krisen-Set – Erste Hilfe für die Seele durch Selbstfürsorge“ ist als „Book on demand“ erschienen und fasst Musselecks bewährte Strategien zusammen. Dass sie ihre Erfahrungen mit anderen teilen könnte, ist für die 54-Jährige nicht neu: „Das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht.“
Autorin Sabine Musseleck aus Schriesheim: In einer Lebenskrise schalten viele in einen Panikmodus
Als eine Freundin mit nur neun Jahren ihre Mutter verlor, war sie da, überwand ihre Angst, etwas Falsches oder Taktloses zu sagen: „Ich habe manchmal auch nur mit ihr zusammen geschwiegen.“ Und das half. Ansonsten kamen in den folgenden Jahren noch verschiedene Strategien dazu und als Destillat aus allem ein Notfallset. Man kann es auf dem Einband sehen: In einem transparenten Beutel sind darin Rationen von allem, was ihr guttut, und sie erklärt: „Das ist das, was bei mir funktioniert. Andern können wieder ganz andere Dinge helfen.“
Was sie anbiete, sei das Ergebnis von dem, was sie sich über Jahre notierte: „Das ist wie ein Büfett, von dem sich jeder das für ihn Passende herunternehmen kann.“ Die Vorbereitung ist für sie wichtig, denn in einer Lebenskrise schalten viele in einen Panikmodus und können dann nicht mehr für sich selbst sorgen. Und um Selbstfürsorge geht es ebenfalls.
Medizinische Diagnosen überlässt die Autorin lieber Fachleuten
Von der Idee bis zum fertigen Buch dauerte es, das weiß sie ganz genau, „15 Monate und drei Tage“. Im Gespräch berichtet sie, wie es dazu kam: „Ein guter Freund stand auf einmal bei mir vor der Tür und wusste nicht mehr weiter.“ Später lautete die Diagnose Burnout, doch das ist etwas, das die Autorin lieber Fachleuten überlässt. Selbst hat sie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert, zudem Anglistik und Germanistik.
Gebürtig in Dresden erlebte sie schon als Mädchen Bespitzelung und Druck durch das SED-Regime; erst Jahre später arbeitete sie das Erlebte in einer Therapie auf. Musseleck empfiehlt den Lesern, im Zweifelsfall Ärzte oder Therapeuten aufzusuchen; auch im Buch gibt es einen Adressenteil, der Anlaufstellen auflistet.
Doch in der Situation waren Empathie und Beistand gefragt. Und konkrete Hilfsmittel: Wasser in kleinen Schlucken trinken, Rescue-Tropfen einnehmen, bewusstes Atmen. Damit meint Musseleck die „4:8-Atemtechnik“: Beim Einatmen langsam bis vier zählen, beim Ausatmen im selben Tempo bis acht. Das helfe beim Runterkommen, weiß sie.
Tatsächlich wurde der Freund ruhiger, und die beiden machten einen Spaziergang im Wald, um Kraft zu tanken. Sie hörte dem Freund zu und fragte ihn schließlich nach seiner Ressourcenliste. So etwas hatte er nicht. Sie erklärte ihm das Prinzip: Aufgeteilt in verschiedene Lebensbereiche kann man sich notieren, was einen aufbaut und – genauso wichtig – was einen herunterzieht.
Das Buch ist barrierefrei und leicht lesbar, um Menschen in Krisensituationen nicht zu überfordern
Einschlafrituale gehören dazu, bestimmte Düfte, Farben, Getränke oder Gerichte. „So eine Liste kann sich im Lauf der Jahre ändern, denn wir ändern uns ja auch“, so Musseleck. Und so gehören zu ihrem Notfallset Nüsse, Düfte, Taschentücher und einiges mehr.
Zu ihren Ritualen gehört das Feiern kurioser Feiertage; die zweifache Mutter hielt vieles davon in einem Blog fest, berichtete von Kissenschlachten in den Lockdowns der Corona-Zeit. Oder sammelte Material für den „Tag der schlechten Wortspiele“. Denn Albernheit sei eine ihrer größten Ressourcen.
Eine Aktion, die Kraft geben kann, sieht sie auch in der Woche der Seelischen Gesundheit, die vom 10. bis 20. Oktober in ganz Deutschland stattgefunden hat.
Woche der Seelischen Gesundheit
- Vom 19. bis zum 20. Oktober fand in diesem Jahr die Woche der Seelischen Gesundheit statt. Das Motto: „Lass Zuversicht wachsen – Psychisch stark in die Zukunft.“
- Der Fokus lag auf den präventiven und psychosozialen Hilfsangeboten . Insbesondere wurden die Bedürfnisse (psychisch erkrankter) junger Menschen in den Blick genommen.
- Organisationen, Fachstellen, Selbsthilfegruppen und Kommunen bieten in dieser Woche jährlich verschiedene Aktionen, Vorträge, Workshops oder Informationsveranstaltungen.
- Die Beteiligten wollen Hilfsangebote sichtbar machen und das Bewusstsein für seelisches Wohlbefinden stärken . red
Zurück zum Buch: Es sollte „kein Theorie-Gedöns“ enthalten, sollte klein, praktisch, möglichst klar sein: „Denn wenn du in einer Krise bist, kannst du diese Theoriebegriffe nicht bewältigen.“ Auch die Schrift passt sich dem an, ist barrierefrei und leicht lesbar.
Ihr Sohn gehörte seinerzeit zu denen, die sie baten, ihre Erkenntnisse in Buchform zu fassen, und in seinem Freundeskreis wurde es gerne gelesen. Die Autorin glaubt, dass es gerade in der jüngeren Generation viele Menschen gibt, denen das Rüstzeug fehlt, mit Krisen umzugehen: „Vielen wurden immer alle Hindernisse aus dem Weg geräumt, sie lernen gar nicht, selbst mit Schwierigkeiten umzugehen.“
Was Musseleck auch bemerkt hat: „In Krisen glauben viele Menschen, dass sie völlig allein sind auf der Welt.“ Auch das war für sie ein Grund, Ratsuchenden eine Hilfe an die Hand zu geben. Diese Hilfe kann man bestellen – und im kommenden Jahr auch als Lesung erleben.
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