Schriesheimer Doppelmord

Rückblick: Als ein Mörder im Pappkarton aus U-Haft floh

Vor genau 25 Jahren macht der "Schriesheimer Doppelmord" Schlagzeilen - wegen seiner Brutalität, aber auch, weil einer der drei Täter aus der U-Haft in Mannheim in einem Pappkarton entfliehen kann

Von 
Konstantin Groß
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Ort des spektakulären Verbrechens von 1999 in Schriesheim: das Haus Ladenburger Straße 7 mit dem Durchgang zu den Gebäudetrakten a und b. © Konstantin Groß

Schriesheim. „Tragisches Ende eines tragischen Lebens“ - so lautet die Schlagzeile des „Mannheimer Morgen“ vor genau 25 Jahren, am 13. November 1999. Der Artikel berichtet über einen Mann und seinen Mitbewohner in Schriesheim, die „Opfer eines Schwelbrandes“ geworden seien. Doch kurz danach wird offenbar: Es ist kein Unfalltod, sondern Mord. Schauriges Detail: Um ihre Tat zu vertuschen, platzieren die Täter eine Zigarette in die Hand eines ihrer toten Opfer und legen Feuer.

Schriesheim, Ladenburger Straße 7b. Hier wohnen der Spanier Lorenzo M. und der Mazedonier Stojadin D. gemeinsam im ersten Obergeschoss eines heruntergekommenen Sozialwohnungsblocks. Am 12. November 1999, einem Freitag, gegen neun Uhr, bemerkt eine Frau, die direkt über den beiden wohnt, Brandgeruch. Sie alarmiert die Feuerwehr, die bald zur Stelle ist. Zu löschen gibt es jedoch nichts mehr. Das Feuer ist von selbst ausgegangen. Doch zu spät: Die beiden Bewohner können nur tot geborgen werden, in zwei verschiedenen Räumen. Dies jedoch erscheint verdächtig. Der Staatsanwalt ordnet eine Obduktion an.

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Zwei Tage später die Gewissheit: „Die beiden Männer sind einem Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen“, vermeldet der „MM“. Der Wohnungsinhaber und sein Mitbewohner kommen nicht als Folge des Feuers ums Leben, sondern „durch massive stumpfe Gewalteinwirkung.“ Der Brand entsteht erst nach Tötung der beiden - gelegt, an mehreren Stellen in der Wohnung. Offensichtlich in der Absicht, Spuren zu beseitigen, die Tat an sich zu vertuschen.

Schriesheimer Doppelmord: Situation beim Feiern eskaliert

Erst während der späteren Prozesse werden die schaurigen Einzelheiten der Tat bekannt. Die beiden Opfer lernen ihre Mörder, drei Männer aus Polen, kurz vor der Tat kennen. Gemeinsam - alle fünf fern ihrer Heimat oft einsam, dazu in prekären Lebensverhältnissen zwischen Hilfs- und Schwarzarbeiten - begeben sie sich in die Ladenburger Straße, feiern, spielen Karten. Bei viel Alkohol schlägt die Stimmung plötzlich um, ein Wort gibt das andere, die Situation eskaliert. Der Mazedonier wird mit Stockschlägen traktiert; er stirbt an inneren Verletzungen, vor allem in der Leber und der Niere.

Die übrigen Vier sitzen zunächst weiter beisammen. Bis die Polen sich einig werden, den Zeugen zu beseitigen: „Jetzt müssen wir auch den umbringen“, sagt einer. Auch der Spanier wird nun, auf einem Stuhl sitzend, durch Schläge und Tritte malträtiert, sein Brustkorb zertrümmert, sein Herz ebenso wie die Leber regelrecht zerfetzt, wie die Obduktion ergeben wird.

Was dann folgt, ist nahezu filmreif: Die Täter zünden eine Zigarette an und drücken sie einem der beiden Toten zwischen die Finger - um den Eindruck zu erwecken, der Mann sei mit einer Zigarette eingeschlafen und es dadurch zu einem Brand gekommen. Danach legen sie an mehreren Stellen Feuer, das jedoch bald erlischt, weil ihm auf Grund der geschlossenen Fenster und Rollläden die nötige Sauerstoffzufuhr fehlt.

Die Kripo Heidelberg bildet eine 30-köpfige Sonderkommission unter Leitung von Kriminalkommissar Heinz Gräter. Es folgt, was man aus dem Fernsehkrimi kennt: Beamte befragen die gesamte Nachbarschaft. Und dabei kommt heraus: Am Abend des Todestages halten sich mehrere fremde Männer in der Tat-Wohnung auf. Die Polizei bittet nun öffentlich um Hinweise. Einer lautet: Ein Mann wird am Vorabend der Tat gemeinsam mit den beiden Opfern an einer Tankstelle gesehen.

Nach ihm wird ab dem 16. November gefahndet - auch mit einem Phantombild. Zwei Tage später bereits wird der Gesuchte in seiner Wohnung in der Schriesheimer Talstraße verhaftet. Es ist der 23-jährige Pole Krzystof P. Er ist geständig und gibt seine zwei Komplizen preis. Zwei Tage danach wird einer der beiden in Heidelberg verhaftet: der 19-jährige D. Der dritte Mann jedoch setzt sich nach Polen ab.

Am 9. Mai 2000 erhebt die Staatsanwaltschaft Mannheim gegen D. und Krzystof P. Anklage wegen Mordes und Brandstiftung in einem besonders schweren Fall; immerhin wären 20 Hausbewohner in Lebensgefahr gewesen, wäre das Feuer nicht erloschen. Am 10. Oktober 2000 soll der Prozess gegen die beiden Angeklagten vor dem Mannheimer Landgericht beginnen.

Krzystof P. gelingt Flucht aus der JVA Mannheim in einem Pappkarton auf einem Lieferwagen

Doch am Tag zuvor gelingt Krzystof P. die Flucht aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim - auf spektakuläre Weise: in einem Pappkarton auf einem Lieferwagen, als dieser die JVA verlässt. In die Großfahndung wird sogar der Bundesgrenzschutz einbezogen, um zu verhindern, dass sich der Flüchtige in seine Heimat nach Polen absetzt, zudem eine Belohnung von 5000 D-Mark ausgesetzt. Vergebens. „Der Angeklagte ist nicht erschienen“, stellt die Vorsitzende Richterin Helga Schröder trocken fest, als der Prozess beginnt.

Denn der findet trotzdem statt, wenn auch nur gegen D. Nach anfänglichem Schweigen gesteht er seine Beteiligung, jedoch nur an der zweiten Tat. Der Staatsanwalt hält das für glaubhaft, lässt den Vorwurf bezüglich der ersten Tötung fallen. Am 20. Oktober 2000 wird der von Andrea Combé verteidigte D. zu sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt.

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Nicht einmal zwei Wochen später geht der Polizei auch Krzystof P. wieder ins Netz. Nach einem Hinweis aus der Bevölkerung durchsucht sie den Dossenheimer Wald - mit Spürhunden und Hubschraubern. Auf einem Waldweg in der Nähe der Ruine Schauenburg lässt sich der Geflohene widerstandslos festnehmen.

Am 14. Februar 2001 beginnt der Prozess auch gegen ihn. Bereits am Tag danach legt er ein weitgehendes Geständnis ab. In seinem Antrag fordert Staatsanwalt Armin Frank eine lebenslange Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, was eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren erschweren würde. Verteidiger Steffen Kling hält lediglich zwölf Jahre für angemessen - wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf Grund starken Alkoholkonsums. Am 23. Februar 2001 fällt das Gericht sein Urteil: lebenslange Haftstrafe, aber keine besondere Schwere der Schuld.

Der dritte Komplize bleibt acht Jahre lang verschwunden. Erst 2007 wird der 32-jährige Robert J. in Polen verhaftet, ausgeliefert und im Jahr darauf zu 15 Jahren Haft verurteilt.

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