Das Plakat für die Ausstellung - es zeigt eine junge Frau, schwebend, zwischen glutrotem Himmel und herbstlichen Blättern. „Wer ist sie? Gibt es sie wirklich?“, lautet die Frage des „MM“ an den Künstler. „Ja, in meiner Vorstellung“, schmunzelt Tigran Grigoryan und verschafft seinem Werk dadurch nur noch mehr beeindrucktes Staunen. Der aus Armenien stammende Maler gestaltet in diesem Jahr die Kunstausstellung auf dem Schriesheimer Mathaisemarkt, der am 1. März beginnt.
Das große Volksfest der Region - es ist eben nicht nur Halligalli, Rummelplatz und Festzelt, sondern seit rund 40 Jahren auch Schauplatz einer Kunstausstellung, organisiert vom Kulturkreis Schriesheim (KKS) im Haus der Feuerwehr, direkt am Festplatz. „Jährlich kommen gut 1500 Besucher“, berichtet KKS-Pressewart Dieter Weitz über die Veranstaltung, die damit einer der besucherstärksten Programmpunkte des Mathaisemarktes ist - und sicher auch einer der renommiertesten. „Und diesmal bieten wir etwas ganz Besonderes“, freut sich die KKS-Vorsitzende Gabriele Mohr-Nassauer.
Denn dieses Jahr macht die Ausstellung die Badische Bergstraße bekannt mit einem Künstler aus einem anderen geografischen Lebenskreis, der mit seinem Werk aber gerade deshalb eines zeigt: wie Kunst über Grenzen hinweg begeistern kann.
Spross einer großen Kulturnation
Tigran Grigoryan wird 1967 in Armenien geboren. Ein Volk im Kaukasus, uralte Kulturnation, doch erst 1918 ein eigener Staat, und dies auch nur kurzzeitig. Danach erzwungen Teil der Sowjetunion und erst nach deren Zerfall 1991 wieder unabhängig.
Bereits früh zeigt sich das Talent des kleinen Tigran. „Schon mit vier, fünf Jahren habe ich gezeichnet.“ Als die Kinder in der Schule gefragt werden „Wie stelle ich mir meine Zukunft vor?“, da antwortet der Junge nicht in einem Aufsatz, sondern mit einem Bild. Sogar seine Mathematikhefte verziert er mit Zeichnungen.
Das stört niemanden, denn Kultur ist in Armenien historisch wichtig. Garantie für das Überleben einer Nation, die jahrtausendelang von mächtigen Nachbarn bedrängt wird. Doch weder Europäer noch Osmanen können ihre Identität zerstören. Sie bewahrt ihre eigene Sprache, die zu keinem anderen Stamm gehört, ihre eigene Religion, die armenische Kirche, „die erste christliche der Welt“, wie Grigoryan erinnert.
Verfeinert wird sein jugendliches Talent im Studium der klassischen Malerei und als Meisterschüler an der Kunstakademie in der Hauptstadt Eriwan, die er mit höchster Auszeichnung abschließt. Fortan ist er als Dozent tätig. Doch die Rahmenbedingungen sind nicht derart, dass sie ihn zu der Überzeugung gelangen lassen, sich in seiner Heimat dauerhaft entfalten zu können. 1998 siedelt er nach Deutschland über, wird Teil einer großen Diaspora: Nur drei der zehn Millionen Armenier leben in ihrer Heimat, alle anderen verteilt über die Welt, der bekannteste unter ihnen: Charles Aznavour.
Grigoryan lässt sich in Weinheim nieder, verdient seinen Lebensunterhalt zunächst als Restaurator sakraler Kunst in ganz Deutschland, so zum Beispiel der Decke des Chors der Stiftskirche Wertheim. Mehrere Wochen lang, immer nur mit Arm und Blick nach oben: „Hinterher war mein Hals steif“, schmunzelt er.
Aber er gibt auch Kurse und malt natürlich selbst, bestreitet zahlreiche Ausstellungen in der Region - und noch mehr: In Hemsbach möbelt er im Auftrag der Stadt gemeinsam mit Schülern Profanbauten wie Trafostationen künstlerisch auf und schließlich sogar die 20 Meter lange und fünf Meter breite Fassade des örtlichen Gymnasiums.
Durch sein künstlerisches Engagement in der Region lernt ihn Elke Bellgart-Rapp kennen, selbst künstlerisch tätig und Mitglied im Schriesheimer Kulturkreis. In der Nachfolge von Romy Schilling übernimmt sie das Amt der Kuratorin für die Mathaisemarkt-Kunstausstellung - mit der Hauptaufgabe, Künstler zu finden, die sie beschicken können. Da denkt sie sofort an Tigran Grigoryan.
Der ist zunächst durchaus skeptisch. „Bilder in einer Feuerwehrhalle, so zwischen Schläuchen und Maschinen“, schmunzelt er heute über seine damaligen Sorgen. Doch da können ihn die KKS-ler beruhigen.
Es kommt zu einem Besuch des Vorstandes in Grigoryans Atelier in der Weinheimer Weststadt. Und der verfehlt seinen Eindruck nicht. „Als wir diese Pracht gesehen haben, da waren wir davon erschlagen“, bekennt Dieter Weitz. Denn die dargestellten Personen wirken nicht nur auf ihn wie Porträts der klassischen Malerei, fast schon fotografisch. Und so brennt ihm eine Frage auf der Seele, die er stellt, „obwohl sie mir fast ein wenig peinlich war“, wie er bekennt: nämlich jene, ob die Gesichter von Fotos abgemalt sind. Doch das sind sie nicht. „Reine Imagination“, versichert der Künstler über die dargestellten Frauen und deren geheimnisvolles, ja oft kühles Lächeln.
Beeinflusst seine frühere kulturelle Sozialisation in Armenien sein heutiges Werk? „Nicht, was die Motive angeht“, antwortet Grigoryan, „aber bei den Farben schon.“ Sie sind ausgesprochen intensiv, vor allem Rot und Orange, aber auch Blau.
In Schriesheim sind um die 30 Bilder zu sehen und zu erwerben. Viele hängen derzeit noch bei ihm: „Aber bald werden die Wände bei mir daheim leer.“ Und wohl die eine oder andere Wand daheim leer bleiben.
1. bis 10. März an allen Mathaisemarkt-Tagen im Feuerwehrhaus
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/schriesheim_artikel,-schriesheim-mathaisemarkt-spannende-kunstausstellung-_arid,2176527.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/schriesheim.html