Schriesheim. Eigentlich wäre die ganze Aktion im Stillen verlaufen. Doch in der Gemeinderatssitzung letzten Mittwoch fragt ein Bürger, wann denn endlich die im Sommer beschlossenen Zusatzschilder an der Hans-Pfitzner-Straße kommen. „Sie hätten heute schon hängen können“, antwortet Bürgermeister Christoph Oeldorf. Seit diesem Montag hängen sie nun.
Denn die meisten Kommunalpolitiker Schriesheims (auch jene, die gegen eine Umbenennung sind) stimmen darin überein, dass es sich bei dem 1869 geborenen Komponisten um einen „zeitlebens ausgeprägten Antisemiten und Anhänger des Nationalsozialismus handelt“, wie auf den Schildern nun zu lesen ist.
Fanatischer Judenhasser
Schon 1898 bekennt Pfitzner, „dass ich mich . . . als Antisemit ausgebildet habe“. 1930 schwadroniert er, „welche Gefahren das Judentum für deutsches Geistesleben und deutsche Kultur in sich birgt“. Hitler zeigt sich ihm erkenntlich: 1944 nimmt er Pfitzner in die berüchtigte Liste der „Gottbegnadeten“ auf, welche die darin Erwähnten von sämtlichen Kriegsverpflichtungen entbindet.
Als Pfitzners schändlichste Tat gilt das Musikstück, das er für Hans Frank komponiert, Chef des Generalgouvernements, „Schlächter von Polen“; das von diesem zu verantwortende Warschauer Ghetto ist die „Vorhölle von Auschwitz“. Als Frank 1945 vor dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal steht, da schickt Pfitzner ihm in die Zelle eine Solidaritätsadresse, die ihn seiner „dankbaren Verbundenheit“ versichert.
Im Juni 1945, also einen Monat nach der Kapitulation, bekräftigt er: „Das Weltjudentum ist ein Problem . . . Es wird noch einmal aufgegriffen werden, wobei man sich Hitlers erinnern wird, ihn anders sehen wird.“ Und zum Holocaust, dem sechs Millionen Menschen, darunter 1,5 Millionen Kinder, zum Opfer fallen, formuliert Pfitzner: „Nicht das Warum ist ihm (Hitler) vorzuwerfen, nicht, dass er es getan, sondern nur das Wie er die Aufgabe angefasst hat.“
Dennoch: Als Pfitzner 1949 in Salzburg stirbt, bleibt er verehrt vor allem in Österreich und Deutschland. Als 1976 in Schriesheim ein Neubauquartier nach Musikern benannt werden soll, da macht der vor Ort wohnende Musikwissenschaftler Hans Rectanus den Vorschlag „Hans Pfitzner“. Der habe nämlich einen lokalen Bezug, komponiert er doch einst die Musik für eine Aufführung des Kleist-Dramas „Käthchen von Heilbronn“ – Teil der historischen Identität Schriesheims, weil der „Ritter Wetter vom Strahl“ der Legende nach mit der hiesigen Strahlenburg in Verbindung steht.
Die Gemeinderat stimmt zu. Die Vergangenheit Pfitzners ist damals kein Problem. Die Zeit für eine angemessene Bewertung ist nicht nur in Schriesheim noch nicht reif. Doch im Zuge bundesweiter Diskussionen über belastete Straßennamen fliegt Pfitzner auf: Journalist Micha Hörnle macht die Schriesheimer Verwaltung Ende 2021 darauf aufmerksam.
Der neue Bürgermeister Christoph Oeldorf beantragt im Rat eine Umbenennung der Straße. Doch das Gremium stimmt im Juni 2022 dagegen – mit 15 Stimmen von CDU, Freien Wählern, FDP, AfD und Einzelstadträtin Breitenreicher gegen elf von Oeldorf, Grünen und SPD.
Allerdings wird ein Zusatzschild beschlossen – mit Kurz-Charakterisierung sowie QR-Code zu einer ausführlichen Darstellung. Erarbeitet wird sie von Stadtarchivar Dirk Hecht, persönlich kein Freund einer Umbenennung und kein Spezialist für die NS-Zeit; Thema seiner Promotion von 2005 ist „das schnurkeramische Siedlungswesen im südlichen Mitteleuropa . . . im Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit“.
Schriesheimer Sonderweg
Doch Hecht arbeitet sich ein, laut Literaturverzeichnis auch mit Biografien von Ludwig Schrott (1959) oder Sabine Busch (2001), die als „Pfitzner-freundlich“ gelten. In Hechts Text fehlen die für Pfitzners Fanatismus aufschlussreichen Zitate über die Juden, den Holocaust und Hitler. Der Gemeinderat hat laut Stadtpressestelle über seinen Text nie beraten.
Der Weg, den Schriesheim geht, ist in Deutschland eher die Ausnahme: Hamburg und Münster haben eine Umbenennung vorgenommen, Hannover, Lübeck, Wiesbaden und Frankfurt zumindest beschlossen. Österreichs Hauptstadt Wien wählte den Weg der Ergänzungstafel.
In Mannheim gibt es ebenfalls Ergänzungstafeln, etwa in den Straßen, die nach Kolonialverbrechern benannt sind – aber nur als Provisorium, bis die vom Rat beschlossene Umbenennung umgesetzt ist.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar "Hans-Pfitzner-Straße" bleibt eine Provokation