Schriesheim. Das Leben ist zuweilen ungerecht. Das gilt auch für die traditionelle Mittelstandskundgebung auf dem Schriesheimer Mathaisemarkt. Im vergangenen Jahr ist Hubert Aiwanger Festredner. Der Chef der Freien Wähler aus Bayern erntet im proppenvollen Festzelt mit populistischer Rhetorik standing ovations. Das Kontrastprogramm liefert am Montagabend Nicole Razavi. Die Stuttgarter Bauministerin spricht sachlich vor knapp besetzten Bänken. Und was die Resonanz betrifft, so gerät die Rede der CDU-Politikerin zum sprichwörtlichen Waterloo.
Dabei bringt die 58-Jährige - im Gegensatz zu ihrem Vorgänger von 2023 - Vieles mit, was einen Erfolg versprechen müsste. Als Erstes, dass sie ausgesprochen sympathisch rüberkommt. Ohne jede Allüren geht sie auf die Bürger zu, so auch beim Rundgang durch das Gewerbezelt. Die Zeit ist zwar knapp, trotzdem nimmt sie sich welche: zum Gespräch beim Anbieter von E-Rädern, beim Fensterbauer, beim Imker, zum Selfie vor einem großen Bild der Strahlenburg am Stand der Stadtverwaltung mit deren Mitarbeitern.
Ministerin Razavi: Spatenstich mit Olaf Scholz
Am Stand der Perseria merkt die Tochter eines persischstämmigen Vaters auf. „Ich hab’ lang nicht mehr Persisch gegessen“, bekennt sie: „Ich würde das gerne tun, aber ich muss weiter“. Sympathisch, ohne Zweifel. Doch in einer Rede in einem Festzelt ist das nicht rüberzubringen.
Zum zweiten: Sie entspricht exakt jenem politischen Klientel, das in diesem Festzelt die Mehrheit bildet. BdS-Ortschef Rolf Edelmann bekennt dies, als er in seiner Begrüßungsrede dem CDU-Bundestagsabgeordneten Alexander Föhr zuruft: „Du bist hier unter Freunden!“ Und auch gegenüber der Festrednerin ist das Zelt zu keiner Zelt ablehnend, gar feindlich. Und doch führt selbst diese grundsätzliche Sympathie die Langeweile nicht verbergen.
Die dritte Voraussetzung, die eigentlich Erfolg verspricht: Razavi hat etwas zu sagen. Und das im doppelten Sinne des Wortes. Vergangenen Dienstag empfängt sie in Freiburg den Bundeskanzler. Mit Olaf Scholz setzt sie den ersten Spatenstich zu einem ganz neuen Stadtteil von 62 Hektar Größe für 16 000 Menschen. Die Bilder von ihr mit ihm an den Schaufeln laufen über die Nachrichtenagenturen. Das schafft nicht jedes Mitglied der Stuttgarter Landesregierung, zu deren Medienstars sie ja auch gar nicht zählt.
Doch so geräuschlos sie ihr Ministerium leitet, so erfolgreich. Gerade bringt sie die vierte Novellierung der bei Bauherren berüchtigten Landesbauordnung auf den Weg. Darin vorgesehen geradezu Revolutionäres: Ist ein Bauantrag nach drei Monaten nicht abgelehnt, gilt er als genehmigt; Einsprecher sollen nicht mehr mit einem formlosen Schreiben dagegen gehen können, sondern nur noch per Klage. Im Baubereich also ein Abbau des „Bürokratiedschungel mit der Machete“, wie sie sagt, der langjährige Forderungen des Mittelstandes erfüllt. Und trotzdem keine Beifallsstürme auslöst, als Razavi dies hier verkündet.
Im Gegenteil. „Es genügt nicht das Wollen, man muss es auch tun“, ruft ihr Jan Dietz, der Ko-Präsident des BdS-Landesverbandes, hinterher. Ebenso wie die heftige Kritik, wonach die Union das Wachstums-chancengesetz im Bundesrat blockiert: „Es ist zwar in der Tat schlecht, aber besser als gar nichts.“
Zelt bestenfalls halb gefüllt
Überhaupt geht bei diesem Besuch Vieles schief: Auf der B 3 ist Stau, den auch die schwarze Limousine mit Stern und „E“ im Kennzeichen nicht umgehen kann. Entsprechend warten muss nach Pressekonferenz im Gasthaus Hauser und Rundgang durch die Leistungsschau das Publikum im Festzelt. Als der Tross der Ehrengäste eintrifft, sind ohnehin viele Bänke nicht oder knapp besetzt. Für 1750 Leute ist das Zelt zugelassen. „Nicht ganz die Hälfte sind da“, schätzt ein Polizeibeamter und nennt eine grobe Zahl: „500 bis 600“.
Und das Pech geht weiter: Als der Tross durch den Mittelgang zur Bühne schreitet, ist etwa auf halber Höhe nach das Flatterband gespannt, das den Promi-Bereich vom Rest des Zeltes abtrennt. BdS-Ortschef Edelmann muss es hochheben, damit die Ministerin durchschreiten kann.
Und wenn erst einmal der Wurm drin ist! Bürgermeister Christoph Oeldorf begrüßt die Zuhörer zum „Maimarkt 2024“. Diese Verwechslung des Mathaisemarktes mit der großen Verbrauchermesse in Mannheim sorgt immerhin für einen der seltenen Lacher der Kundgebung.
Wackere Rednerin
Obwohl Razavi wie jede/r an dieser Stelle vor ihr nicht mit Artigkeiten geizt. Sich erinnert an ihren letzten Besuch in Schriese, im Herbst 2021, als sie auf einer Veranstaltung im „Hirsch“ den Bürgermeisterkandidaten Oeldorf unterstützt, „der damals noch nicht die schmucke Amtskette trug“, heute aber, wie sie lobt, „im Amt prima ankommt“. Und auch die Mittelstandskundgebung an sich bekommt ihr Lob ab - als „größter Stammtisch des Mittelstands“ mit langer Reihe erlesener Festredner. „Man spürt den Mantel der Geschichte“, schwärmt sie und nennt Helmut Kohl. Bei seinem Namen ertönt seltener Szenenbeifall.
Denn der Funken mag einfach nicht überspringen. Da helfen auch keine Kalauer wie dem über Helmut Schmidt, dem bei der Arbeit der Ampel „die Mentholzigarette aus der Hand fallen würde“, oder davon, dass „wir von den Österreichern inzwischen nicht nur Fußballspielen lernen müssen.“ Am Ende ganze 20 Sekunden bestenfalls höflicher Beifall. Standing ovations? Weit gefehlt. Die Grußworte von Weinkönigin Anna, diesmal ganz am Schluss, gehen unter in der Sehnsucht des Publikums, das Ganze möge bald enden. Das Leben ist eben ungerecht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/schriesheim_artikel,-schriesheim-bds-kundgebung-auf-dem-mathaisemarkt-zieht-nur-wenige-an-_arid,2182578.html