Mannheim. Im 19. Jahrhundert hatte Mannheim einen traumhaften Schlossgarten, gelegen zwischen Schloss und Rhein. Doch dann gewann der Bau eines Hauptbahnhofs und einer Brücke nach Ludwigshafen an Wichtigkeit, so dass der Englische Garten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr durch Gleise und weitere Brücken zerschnitten wurde. Heute befindet sich an dieser Stelle ein wahres Labyrinth an Wegen, Treppen, Unter- und Überführungen, Mauern und alles, was das Kuriositäten-Kabinett des Städtebaus hergibt.
Am Mannheimer Schloss ist nur Mensawiese noch grün
Am Schloss selbst ist nur noch die Mensawiese grün, dann folgt das Labyrinth, grün wird es erst wieder an der Rheinpromenade im Stadtteil Lindenhof. Fotograf Robert Ettlinger erklärt in seiner derzeitigen Ausstellung im Marchivum dieses Areal zu einem „Unort“ - einem Ort, an dem man nicht verweilt. Es sei denn, man ist Graffiti-Sprayer oder Fotograf.
„Unorte - das klingt anklagend und mahnend. Der Schlossgarten hatte eine große Vergangenheit. Heute ist er ein Ort voller Gegensätze, bunt, grau und verrückt“, sagte Harald Stockert, Leiter des Marchivums, bei der Vernissage. Und auch die Zukunft sei stellenweise ungewiss, denn das Alte Eisstadion am Friedrichspark, inzwischen ein Lost Place, wird abgerissen, und noch sei unklar, was dort hinkommt.
„Im 18. Jahrhundert gab es nur einen kleinen Garten hinter dem Mittelbau des Schlosses. Nur der Hofstaat und Angestellte hatten Zutritt, es gab kleine Feiern oder mal ein Feuerwerk.“ Nach dem Tod des Kurfürsten Carl Theodor 1799 fragte man sich, was mit der Fläche geschehen sollte. Ein Englischer Garten wurde formiert, für jeden zugänglich, dieser sollte zum Anziehungspunkt werden.
Ich fotografiere weniger die Sehenswürdigkeiten, sondern Orte, die wir ausblenden.
Der französische Schriftsteller Victor Hugo war 1840 sehr beeindruckt von „den schönen Bäumen“. Auch der perfekte Ort für Heiratsanträge soll der Schlossgarten gewesen sein. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Mannheim Verkehrsknotenpunkt, und der Glanz war vorbei. Dafür rückte die Pfalz als Ausflugsziel in greifbare Nähe. „Außerdem gäbe es ohne den zugebauten Schlossgarten heute keinen Luisenpark“, so Stockert, denn der Luisenpark war der Ausgleich für die Bevölkerung.
Luisenpark? Viel zu schön für Fotograf Ettlinger: „Ich fotografiere weniger die Sehenswürdigkeiten, sondern Orte, die wir ausblenden.“ Der Künstler arbeitet analog und digital. „Ich ordne die Technik der Intention unter und nehme die, die zur Idee passt.“ Schwarzweiß passe zum Beispiel besser zu den Schienen und dem Beton, die Graffitis jedoch wollen Farbe, sonst gehe etwas verloren.
Besonders wichtig ist das Licht. „Ich war unterwegs zum Fotografieren, und wenn das Licht nicht gestimmt hat, bin ich wieder heimgefahren. Die besten Zeiten sind eine Stunde nach Sonnenauf- und eine vor Sonnenuntergang.“ Für ein bestimmtes Bild sei er eine Stunde da gestanden, bis das Licht passte.
Die Reise mit den 17 Bildern beginnt mit dem bekannten Hochhaus mit der auffälligen 50er-Jahre-Aufschrift „Rheinlust“, die vergeblich für Rheinromantik sorgen will, führt zu den Brückenanlagen Richtung Lindenhof, einem gespenstischen, engen Tunnel (bei dem man sich fragt, wie man so etwas überhaupt planen kann). Bunt wird es im Graffiti-Park, wo das Sprayen ausdrücklich erlaubt ist, entspannend und natürlich auf dem Lindenhof.
Unorte rund um den Mannheimer Hauptbahnhof
Vom Schloss gibt es ein beeindruckendes Panorama-Bild, auf einem weiteren bildet die Jesuitenkirche einen Kontrast zu einer Auffahrt Richtung Ludwigshafen, und den Abschluss bildet ein Blick auf die Schienen der Konrad-Adenauer-Brücke. „Durch die Bilder wird uns bewusst, dass unser Handeln Folgen hat“, fügte Alexa Becker hinzu, die Fotografen berät und coacht.
Die Fotografien entstanden zwischen 2020 und 2022. Ettlinger wohnt in Heidelberg und fuhr mit der S-Bahn immer wieder nach Mannheim zum Fotografieren. Hier schließt sich der Kreis: Die Motive befinden sich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs, wegen dem die „Unorte“ überhaupt erst zustande gekommen sind.
Die Ausstellung im Marchivum, Archivplatz 1, ist noch zu sehen bis Sonntag, 29. Oktober.
Ein Buch gibt’s vor Ort oder unter www.robert-ettlinger.de.
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